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Der Liedermacher Fritz Baltruweit („Freunde, dass der Mandelzweig“) geht nach 30 Kirchentag in den Ruhestand. © Ralf-Thomas Lindner

Der Liedermacher Fritz Baltruweit („Freunde, dass der Mandelzweig“) geht nach 30 Kirchentag in den Ruhestand. 

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mutig – stark – beherzt. Der 39. Deutsche Evangelische Kirchentag in Hannover

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Fünf Tage lang haben sich Christen aus ganz Deutschland in Hannover auf dem 39. Deutschen Evangelischen Kirchentag getroffen, um ihren Glauben zu zelebrieren und zu feiern. In etwa 1500 Veranstaltungen wurde die ganze Breite dessen präsentiert und diskutiert, was Christen interessiert – von persönlichen Glaubensfragen bis hin zu der Frage, wie politisch Kirche sein darf. Und überall in der Stadt erklangen Musik und Gesang.

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Die Zeiten für die christlichen Kirchen in Deutschland sind alles andere als rosig: Alte, weiße Männer, Missbrauchsskandale, Kritik an politischen Äußerungen der Kirche und ein erheblicher Mitgliederschwund. Im Jahr 2021 sank mit 49,7 % die Anzahl der Mitglieder christlicher Kirchen erstmals unter die Hälfte der deutschen Gesamtbevölkerung. Ende 2024 hatten sowohl die Evangelische Kirche in Deutschland (18 Millionen) als auch die katholische Kirche in Deutschland (19,8 Millionen) jeweils weniger Mitglieder als der Allgemeine Deutsche Automobil Club (ADAC – 21,4 Millionen).

Trotzdem – und gerade dieses „trotzdem“ ist zentraler Teil der christlichen DNS – trifft man sich, feiert und ist voller Hoffnung. Der Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT) ist alle zwei Jahre so ein Treffpunkt, bei dem man zusammenkommt, um fünf Tage lang zu beten, zu diskutieren und viel zu singen. In diesem Jahr fand der DEKT unter dem Motto „mutig – stark – beherzt“ über den Maifeiertag zum fünften Mal in Hannover statt, wo auch im Jahr 1949 der erste DEKT stattgefunden hatte. Der DEKT versteht sich ausdrücklich als eine kirchliche Laienbewegung – unter Beteiligung zahlreicher Prominenter aus Kirche und Politik. Immerhin 650 solcher Gesprächsgäste konnte der Kirchentag begrüßen.

Kirchentage haben eine bewährte Struktur, in die man sich als Besucher hineinfallen lassen kann – das hilft, sich durch die etwa 1500 Veranstaltungen durchzuwuseln. Wie in einer altbekannten Liturgie oder einem immer wiederkehrenden Ritual weiß man zumindest wann bestimmte Veranstaltungstypen stattfinden. Frühmorgens Gebet und Bibelarbeit, dann ein Programm weitgefächertes Programm mit gesellschaftlichem, kulturellem oder geistlichem Schwerpunkt. Mittags und abends Gebet, spätabends Segen. Tagsüber mannigfaltige Workshops und der Markt der Möglichkeiten. Gerahmt wird das Ganze durch Eröffnungs- und Schlussgottesdienst und den Abend der Begegnung am ersten Tag.

„Wir sind viele und wir teilen dieselben Werte“, sagte eine Pastorin in Hannover. 81.000 Tickets waren verkauft worden. In der Innenstadt, wo die Events kostenlos waren, kamen zwischenzeitlich bis zu 150.000 Menschen zusammen. Ja, es war voll in Hannover – das konnte man überall spüren und sehen. Denn es gab da dieses wundersame Kirchentagsfeeling: Umsicht, Vorsicht, Rücksicht, Hilfsbereitschaft, gegenseitiges Wahrnehmen der Anderen. Menschen stehen in der Straßenbahn für andere Menschen auf und bieten ihn ihren Platz an. (Fast) Kein Gedränge am Eingang zu den Veranstaltungen, sondern ordentliche Schlangen – man wartet und kommt vielleicht dann doch nicht in die heiß begehrte Veranstaltung. Kein Stress – fast himmlischer Frieden!

Nichts geht mehr

Wenn gar nichts mehr ging – dann wurde einfach gesungen. Man rottete sich zusammen, hatte ja das rote Kirchentagsliederheft (neben der KirchentagsApp so etwas wie die unabdingbare Basisausrüstung eines jeden Kirchentagsbesuchers) dabei und sang. Irgendwer stimmte an, die anderen sangen mit. Im besten Fall waren zufällig einer oder mehrere der 4000 Musiker da, die den Gesang begleiteten. Daraus konnte aber schnell auch eine eigene Veranstaltung werden: Als der ABBA-Gottesdienst mit Feierabendmahl in der Petrikirche überfüllt war und niemand mehr hereingelassen wurde, formierte sich aus denen, die es nicht in die Kirche hineingeschafft hatten, schnell eine eigene Gemeinde. Es wurden ABBA-Lieder und kirchliche Lieder gesungen. Zwei Frauen, die sich offenbar vorher nicht gekannt haben, gestalteten vor der Kirche einen zweiten Gottesdienst mit kleiner Predigt und ebenfalls einem Feierabendmahl. Das funktioniert!

Nun ist der Kirchentag letztlich eine Insiderveranstaltung – nicht umsonst gibt es in diesem Zusammenhang auch den Begriff „Kirchentagschristen“ (also die, die eigentlich keine gemeindliche Bindung haben, aber immer wieder zum Kirchentag kommen – „viele und mit denselben Werten“). Der Kirchentag kann auf die Organisationen des Evangelischen Lebens zurückgreifen – aber die Mitglieder dieser Organisationen sind ohnehin vor Ort – wer atmet und krauchen kann, lässt sich aus diesem Umfeld einen Kirchentag nicht entgehen. Kirche ist da sehr autark: Die Diakonie kümmert sich um das Essen, die Johanniter-Unfall-Hilfe um die Verletzten und diejenigen, die meinen, sie könnten auch ohne Trinken durch den Tag kommen, die Pfadfinder sorgen für Ordnung und die Bläser(chöre) kümmern sich allerorten um den rechten Ton.

Musik auf dem Kirchentag

Manchmal ist man auf dem Kirchentag / in kirchlichen Gefilden an das Bonmot „wer für alles offen ist, der ist nicht ganz dicht“ erinnert. In Bibeldeutsch übersetzt würde man hier wohl zunächst an einen Psalmvers (Psalm 31,9) denken: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“ Gab es etwa zu Wolfgang Amadeus Mozarts Zeiten seitens des Vatikans ein Verbot der Übernahme von weltlicher Musik, Tanzmusik und speziell Menuetten in die Messen, so scheint die stilistische Grenze zwischen weltlicher und geistlicher Musik in unserer Zeit fast vollständig aufgehoben zu sein. Grundsätzlich scheint (fast) alles möglich zu sein – wenn es denn theologisch irgendwie ausreichend unterfüttert werden kann.

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Kurz vor ihrem Rücktritt hatte Annette Kurschus im Zusammenhang mit der Neuorientierung der Westfälischen Hochschule für Kirchenmusik gesagt: „Kirchenmusik hat das Potential, ein positives und begeisterndes Bild von der Kirche der Zukunft auszudrücken.“ Ob sie dabei wirklich diese Weite im Blick hatte, die der Kirchentag in Hannover angeboten hat, bleibt hier offen. Die Bandbreite geht vom selbst singen bis hin zu riesigen Orchesterensembles, von „Alter Musik“ bis hin zu experimentellen Klängen, von offensichtlich geistigem Inhalt (also z. B. Bibeltexten) bis hin zur Verarbeitung tagesaktueller Mainstreamthemen. Wer den Kirchentag wie eine musikalische Messe (im Sinne von Ausstellung) durchwandert hat, konnte hier spannende musikalische Erlebnisse mit nach Hause nehmen – z. B. das zweisprachige Brassoratorium „Fred – Frieden“, dass sich mit der Situation der deutschen und dänischen Minderheit beschäftigt (mit Drehorgel), oder den Operngottesdienst, der Elemente der Hannoveraner Operninszenierung „The Greek Passion“ von Bohuslav Martinů aufnimmt, einer doch sehr „anderen“ Passion.

Andererseits lässt sich nicht leugnen, dass es Traditionsstränge gibt, die sich seit Langem durch die Kirchenmusik ziehen und auch auf dem Kirchentag von zentraler Bedeutung sind: das Singen der Gemeinde, die Orgel als Instrument der Kirche, die Gesänge aus Taizé, Gitarren, der Chorgesang, die Blechbläser, ….

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Christlicher Glaube und Fremdenhass – „The Greek Passion“ von Bohuslav Martinů in der Staatsoper Hannover

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Am Ende des Leidens und Sterbens Jesu Christi steht am Ostermorgen seine Auferstehung von den Toten. Die Bibel lässt ihn den Frauen am Grab, den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus begegnen und er erscheint im Kreise seiner...

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Blechbläser

Ganz gemäß des Mottos des 3. Evangelischen Posaunentages in Hamburg im vergangenen Jahr „mittenmang“ haben sich die Blechbläser auch beim Kirchentag präsentiert. Überall im Stadtbild waren sie mit ihren Instrumentenkoffern zu sehen. Die ganz aktiven Bläser trugen ihre Trompeten häufig auch ohne Koffer bei sich – frei nach dem Pfadfindermotto „allzeit bereit“. Sicher: sie hatten ihre Auftritte in Gottesdiensten und Konzerten – im Kirchentagsleben waren sie aber immer schnell da und bereit, wenn es darum ging, einer kleinen spontanen Gruppe von Sängern da vorn an der Straßenecke mit einem Instrument zu begleiten und zu stützen. Das ist ihr großer Vorteil gegenüber der ortsgebundenen Orgel: sie sind da, wo man sie braucht und gerade draußen im Freien haben die Instrumente auch die notwendige Tragfähigkeit und Lautstärke.

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Fritz Baltruweit

Seit den 1960er Jahren haben sich in Deutschland einige christliche Liedermacher mit ihren Liedern hervorgetan. Ihre Lieder behandeln neben grundsätzlich christlichen Themen auch zeitgeschichtliche Themen. Sie werden oftmals einfach mit der Gitarre begleitet oder auch mit einer kleinen Combo mit E-Pianos, Solo-Instrument (Flöte, Geige) und kleinem Schlagwerk. Oftmals gibt es auch einen Chor.

Zu den bekanntesten Liedermachern gehört sicher der Theologe Fritz Baltruweit. Lieder, ja, Ohrwürmern, wie „Freunde, dass der Mandelzweig“, „Gott gab uns Atem“, oder „Wo ein Mensch Vertrauen gibt“ stammen von ihm und werden von einer großen Fangemeinde gesungen. Sogar ins Evangelische Gesangbuch sind einige seiner Lieder bereits aufgenommen worden.

„Lieder sind nicht nur Schöpfungsgaben, die befreien und heilen, sondern sie schaffen auch Wirklichkeit“, schreibt Baltruweit im Vorwort eines seiner Liederbücher. Und: „Martin Luther wusste sehr gut, wieviel mehr die Lieder seine Theologie verbreiteten und in den Herzen der Menschen verankern als seine Traktate.“

Vor ein paar Jahren ist Baltruweit in Pension gegangen. Mit dem Kirchentag in Hannover will er nach 30 Kirchentagen, an denen er teilgenommen hat, auch musikalisch etwas kürzertreten und die große Bühne verlassen. Am 3. Mai hat er in der Marktkirche in Hannover sein Abschiedskonzert vom Kirchentag gegeben, betont aber, dass er nur von der „aktiven“ Kirchentagsteilnahme zurücktritt. Selbstverständlich wird er auch zum nächsten Kirchentag wieder kommen und zuhören. Auch mit der Musik will (und kann?) er nicht wirklich aufhören – kleinere Auftritte sind schon wieder geplant, seine Gitarre wird also noch nicht an den Nagel gehängt!

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Neues Gesangbuch

Im vergangenen Jahr hat das Evangelische Gesangbuch seinen 500. Geburtstag gefeiert. Seit 1524 hat es viele Gesangbücher hauptsächlich für den gottesdienstlichen Gebrauch gegeben. Das derzeit in Gebrauch befindliche „Evangelische Gesangbuch“ (EG) wurde zwischen 1993 und 1996 eingeführt. Es bot gegenüber seinem Vorgänger dem „Evangelischen Kirchengesangbuch“ (EKG – eingeführt 1950 und 1969) erstmals Neues Geistliches Liedgut, Kanons und Liedsprüche an. Zudem war es nicht mehr zum alleinigen Gebrauch im Gottesdienst konzipiert, sondern als Gesangbuch, das auch in den Gruppen der Gemeinde (z. B. Frauenhilfe, Konfirmanden) Verwendung finden sollte.

Bereits seit 2020 arbeitet wieder eine Kommission an einem neuen Gesangbuch, das im Rahmen des Kirchtages erstmals öffentlich einem größeren Publikum vorgestellt wurde und das wahrscheinlich ab 2028 eingeführt werden soll. Dafür wurden bereits aus 17.000 Liedern etwa 500 ausgesucht, die im neuen Gesangbuch aufgenommen werden sollen. Grund dafür, dass es „schon wieder“ ein neues Gesangbuch geben soll, ist sicher die große Flut an vielen neuen Liedern, die zum Teil bereits verwendet/gesungen werden. Neue Gottesdienstformen und neue Texte für die Gottesdienste sollen mit dem neuen Gesangbuch mehr Verbreitung finden. Zudem soll das Gesangbuch die Neuerungen der letzten Perikopenrevision – insbesondere bei den Wochenliedern – berücksichtigen. Und natürlich soll das Ganze viel digitaler werden!

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In der ersten Präsentation wurden auch das neue Design und die neue Gliederung vorgestellt. Sechs große Abschnitte soll das Gesangbuch haben (Tageszeit, Jahreszeit, Feierzeit, Allezeit, Lebenszeit, Weltzeit). Diese sechs Gruppen werden im Logo (einem rechts oben geöffneten Kreis) durch kleine verschiedenfarbige Segmentbögen dargestellt. – Es gibt noch viel zu tun. Die ersten Praxistests werden ab September 2025 durchgeführt.

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