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George Alexander Albrecht sitzt für ein Portrait vor einem Bücherregal und schaut ernst in die Kamera.

Der Komponist des Reqiuems, George Alexander Albrecht. Das Konzert der Philharmonischen Gesellschaft Bremen war bereits für den 85. Geburtstag des gebürtigen Bremers im Jahr 2020 geplant. Wegen der Corona-Pandemie musste die Aufführung verschoben werden. Albrecht konnte es leider nicht mehr erleben: Der Komponist und Dirigent verstarb 2021.

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„Requiem für Syrien“ in Bremen: das „Bellen eines Höllenhundes“

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Man kann kaum fassen, dass die Dresdner Philharmonie den Dirigenten George Alexander Albrecht (1935–2021) vor sieben Jahren mit einem „Requiem für Syrien“ beauftragte. Denn schon damals schrie die Bevölkerung von Syrien „Lass mein Volk leben“, wie es der syrische Dichter Monzer Masri in dem Werk ausdrückt. Damals waren aus dem uralten Kulturland bereits Millionen geflohen und Millionen litten Todesangst unter der Diktatur Assads. Seitdem wurde es nur immer schlimmer, bis 2023 zu den Kriegs- und Bürgerkriegsgräueln noch die Naturkatastrophen dazukamen. Die jetzige 2. Aufführung im Bremer Dom hatte von daher eine mehr als betroffen machende Aktualität, die sich am Ende nach Minuten langer Stille in stehenden Ovationen ausdrückte.

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Der Bremer Domchor unter der Leitung von Tobias Gravenhorst und die Bremer Philharmoniker unter der Gesamtleitung ihres Chefdirigenten Marko Letonja hatten sich des Werkes angenommen und eine erschütternde Aufführung realisiert. Der Vorwurf, der Komponisten sei einer klanglichen Liebe zur Spätromantik und besonders zur Musik Gustav Mahlers verfallen, wodurch es sich um keine ernstzunehmende Komposition des 21. Jahrhunderts handeln könne, funktioniert nicht: Dafür ist das Werk dramaturgisch zu gut gemacht, sind die chorischen und orchestralen Effekten zu mitreißend und durchweg zu glaubwürdig. Die großen ergreifenden Texte von Masri, Nazmi Bakr und dem Iraner SAID wurden von Erik Roßbander intensiv und mitfühlend auf Deutsch und von Lara Arabi auf Arabisch gelesen. Beantwortet wurden sie bedrohlich kriegerisch (gestopftes Blech und Schlagzeug) vom tobenden Orchester in brutaler Wildheit, von einer Kraft, die den möglichen Einwand, keine ganz Neue Musik zu sein, vollkommen verstummen läßt: „Wie das Bellen eines Höllenhundes“ soll es wirken, meinte der Komponist.

Komponierte Solidarität im spätromantischen Gewand

Albrecht verschränkt geschickt verschiedene Ebenen miteinander: Zu den arabischen Texten improvisiert Alaa Zouiten auf der arabischen Laute Oud, wobei Albrecht sich an den Hörgewohnheiten der klassischen Tradition orientiert und auf arabische Tonsysteme verzichtet. Dazu nehmen vier Gesangs-Solist*nnen individuelle Positionen ein: Der Bass zeigt vor seinem Tod das Bild seiner Mutter – ergreifend: Elias Gyungseok Han – , der Tenor besingt die Schönheit seiner Heimat – betörend: Sascha Emanuel Kramer. Dem traumverhangenen Sopran von Sarah-Jane Brandon ist ein Gebet anvertraut und die expressive Mezzosopranistin Valentina Kutzarova erzählt von einer syrischen Liebe. Mit Goethes „Gottes ist der Orient“ aus dem „Westöstlichen Divan“, jenem Alterswerk des Dichters, das die Versöhnung der Religionen und Weltanschauungen sucht, und Psalmen aus dem Alten Testament, tritt Ruhe und Verbundenheit ein, freilich nicht als Wirklichkeit, sondern als – vielleicht immer währende? – Sehnsucht.

Ein Platz im Herzen des Publikums und des Repertoires

Marco Letonja und Tobias Gravenhorst hinterließen einen gewaltigen Eindruck, der natürlich einmal mit der Aktualität des Werkes, aber auch mit seiner Qualität zu tun hat. Eine wunderbar passende Ergänzung war das sechzehnstimmige „Lux Aeterna“ von György Ligeti, das mit seinen geheimnisvoll fluktuierenden Klangflächen (hier ein Extra-Bravo für den Chor) eine der schönsten Ewigkeitsmusiken ist, die es überhaupt gibt.

Der Dom war ausverkauft. Vielleicht nimmt das Werk nun seinen Weg ins Repertoire der großen Chöre. Albrechts „Requiem für Syrien“ hätte es verdient.

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