Vom Alter und „kein bisschen weise“ hat einst ein überreifer Filmstar gesungen. Das konnte Besuchern binnen einer Woche zwar in den Sinn kommen – aber die große Münchner Theaterakademie bot eine Vielfalt anderer Adjektive als „weise“. Inmitten unserer düsteren Tage leuchtete und strahlte diese ihre andere Welt: die von Theater, Musik und Kunst als Korrektiv und „not-wendige“ Bestätigung all dererlei zweckfreien Tuns.
… und kein bisschen alt – Die Theaterakademie August Everding feiert ihr 30jähriges Bestehen: musiktheatralisch höchst munter und vielfältig
Neben Lydia Grün als Präsidentin der kooperierenden Musikhochschule steht mit Barbara Gronau erstmals auch eine Frau an der Spitze der Theaterakademie. Darauf konnte der weiter amtierende Kulturminister Marcus Blume durchaus stolz verweisen. Ein Glanzlicht der Gala zum „Dreissigjährigen“ war eine klassische Everding-Szene: Der bayerische Staat wollte die grundlegende Sanierung des maroden Prinzregententheaters nur zusammen mit der damaligen Münchner-Bürger-Spende von 6 Millionen beginnen; die aber wäre bei Nicht-Einhaltung eines faktisch nicht möglichen Baubeginns verfallen – weshalb Everding am Stichtag alle im maroden Haus Anwesenden in weiße Mäntel steckte, Pinsel und Töpfe verteilte, „Baubeginn“ vorspielen und für den Spendenfluss dokumentieren ließ…
Gronau wies dann auf den Zusammenklang von Tradition und Gestalten von Künftigem hin: sie stand am ältesten „Teil“ des Prinzregententheaters, dem erhalten gebliebenen Dirigentenpult von 1901 und hieß an die dreihundert ehemalige Alumni/ae willkommen; ebenso stolz konnte sie darauf verweisen, dass die bisherigen 1400 Absolventen alle in der Kulturszene beruflich tätig sind; es sei gelungen, „das Flüchtige an Hand der Struktur“ von acht durchweg praxisnahen Ausbildungsgängen Wirklichkeit werden zu lassen.
Dann übernahm das von Minister Blume angesprochene „Potpourri an Talenten“… in Auswahl: da verströmte Absolventin Alexandra Flood ihre zwischen der Wiener Volksoper und dem Madrider Teatro Real geschätzte lyrische Sopran-Süße; Genija Rykova, von der Akademie übers Münchner Residenztheater an die Berliner Schaubühne verpflichtet, kam mit ihrem Jazz-Trio und betörte durch ihren Blues-Ballad-Ton; nach einer hinreißenden Bilder-Show aus dem Studiengang Maskenbild samt dem Hinweis auf Oscar-Nominierungen für einige Ex-Alumni/ae begeisterten Mezzosopranistin Fabiana Locke vor allem vokal und Sopran Laura Oswald mit echtem Musical-Verve in „But the World goes round“ undundund…
… und in der Jubiläumspremiere schäumte dann Musical-Temperament schier über: in Mary Rodgers „Once upon a Mattress“, der Broadway-Adaption von Andersens Märchen „Die Prinzessin auf der Erbse“. Da war im kompakt guten Programmheft mal die Material- und Arbeitsleistung der Studiengänge Maske, Kostüm und Bühne aufgelistet, darin auch die Anregung, sich mit der Biografie der unterschätzten Komponistin Rodgers aus der Musical-Dynastie zu befassen. Da hatte Dirigent Andreas Kowalewitz aus den zahlreichen Musik-Fassungen für Bühne und Film eine für „zwölfköpfige Band“ mit sich selbst am Klavier gefiltert, die mit Tempo loslegte, innehielt, momentweise an die schon von Mary Rodgers verarbeiteten Auvergne-Lieder von Marie-Joseph Canteloube anklang, Liebesschmachten untermalte und dann wieder losfetzte. Da war die für alle Studierenden lohnende Mitarbeit eines Spezialisten für „Deutsche Gebärdensprache“, der an der Rolle des stummen Königs mitwirkte. Und schließlich Regisseur Philip Moschitz: Ensemblemitglied im preisgekrönten Juwel „Münchner Metropoltheater“, 2008 Absolvent der Akademie, seither erfolgreiche Karriere: auf der Bühne und als Regisseur, inzwischen auch Dozent an der Akademie.
All das ergab im bunt ausgeleuchteten Einheitsbühnenbild einer halb gespenstischen Königsburg: eine sonst oft nur „woke“, für Master-Studierende aber durchaus erlernens-praktizierenswerte Gender-Besetzung – also einen quer-durch-besetzten Hofstaat-Chor, der gut sang und tanzte, dominiert von Tim Morsbachs herrlich steif-weiblicher Königin im Pailletten-Feder-Kostüm-Traum, einen vom Muttersöhnchen zum unbeholfenen Jungmann reifenden Prinzen von Mats Visser, einer „Prinzessin Winnifred“ als Punk-Göre von Emily Mrosek, deren Bühnentemperament schier überschäumte, obwohl schon „Barde“ und „Erzähler“ Juliette Lapouthe ihrem T-Shirt-Spruch „I am shy“ turbulent widersprach. Dazu dann viele kleine theatralische Blitzlichter, etwa vom zweiten Liebespaar Lorena Brugger und dem warm tönenden Bariton Ömer Örgey, der aus dem Bühnenhimmel hereinschwebenden „Nachtigall“ Alida Will samt ihren alle Vokale wohltönend durchprobierenden Vokalisen oder der überreich amüsanten Gebärden-Gestik des stummen Königs von Luca Skupin – alles im enorm temporeichen Wechselwirbel bis hin zum ironisch kontrastierenden, „endlos“ langsam gedehnten Reit-Imitat… Daraus erwuchs ein höchst unterhaltsamer Musical-Abend, der statt Stepptanz eben rhythmisches Stampfen in woken Stiefeln, durchweg guten Gesang und: begeisternd ins Parkett heranflutende Spiel-Freude bot – tutti bravi! Wirklich 30 Jahre alt? Neee, sprudelige, pulsierende Theater-Jugend, Gegenpol zum realen Trott… eben „not-wendig“!
- Wer mehr von dem Allround-Theatraliker August Everding (1928-1999) live erleben will: Vom 30. November an präsentieren alle acht Studiengänge ein dreitägiges Musical- bis Opern-Programm unter „forEVERding“ in allen Räumen der sich mehr als munter präsentierenden 30jährigen Akademie. Deshalb: ad multos annos!
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