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Neue Musik-Zeitung - Vor 100 Jahren

Neue Musik-Zeitung – Vor 100 Jahren 

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Vor 100 Jahren: Mussorgski: „Der Jahrmarkt von Sorotschintzi“. Uraufführung in Breslau

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Neue Musik-Zeitung, 46. Jg., Heft 18, Juni 1925
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Modest Mussorgski ist in Deutschland als Opernkomponist nur durch den wundervollen „Boris Godunow“ bekannt geworden. Die praktische Propaganda für ihn ging 1913 vom Breslauer Stadttheater aus. Am 6. Mai d. J. fand abermals im Opernhause zu Breslau die deutsche Uraufführung eines Bühnenwerkes von Mussorgski statt; es ist die dreiaktige komische Oper „Der Jahrmarkt von Sorotschintzi“. 

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Der Breslauer Musikschriftsteller Dr. Heinrich Moeller, Herausgeber, Bearbeiter und Übersetzer der hervorragend wertvollen „Sammlung von fremdländischen Volksliedern“ (bei Schott) hat auch das Textbuch zum „Jahrmarkt“ vortrefflich übersetzt und die Oper unserem leider nach Charlottenburg gehenden Intendanten Tietjen empfohlen. Die Zelte des „Jahrmarktes“ sind schon in Petersburg (1917) und Monte Carlo (1923) aufgeschlagen worden, freilich in anderer Form. 

Die Formenverschiedenheit bei der Darbietung Mussorgskischer Opern ist eine Folge der sein Leben und Schaffen tragisch kennzeichnenden Tatsache, daß sein zerklüftetes Genie keine Oper in aufführbarem Zustande hinterlassen hat. Das gilt besonders vom „Jahrmarkt“, der im Original ein Torso ist. Hier kann ich nur auf die in Breslau benutzte neueste Bearbeitung von Tscherepnin eingehen. Dieser Schüler Rimskij-Korssakoffs verwendete zur Ausarbeitung einiger nur skizzierter Teile entweder Themen aus der Oper selbst oder gut passendes Musikmaterial aus anderen Werken Mussorgskis. Bei der farbigen und charaktervollen Instrumentierung folgte er, wie er im Vorwort erklärt, dem von der national-russischen Schule ausgebildeten Stil, der zur Zeit der Entstehung der Oper (1878) vorherrschte. Im Original fehlt vom 3. Akte die erste Hälfte. Da der pietätvolle Bearbeiter nichts hinzudichten wollte, war eine Rundung der Handlung nicht erreichbar. In Tscherepnins taktvollem Notbehelf vermißt man die Herausarbeitung der Pointe in der Gogolschen Novelle, die den Komponisten zu seinem Textbuch angeregt hat. 

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Vor 100 Jahren: Mussorgski: „Der Jahrmarkt von Sorotschintzi“. Uraufführung in Breslau

Vor 100 Jahren: Mussorgski: „Der Jahrmarkt von Sorotschintzi“. Uraufführung in Breslau

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Man tut am besten daran, es als ein Bilderbuch ukrainischen Volkslebens aufzufassen. Im kleinrussischen Volkstum liegen auch die kräftigen Wurzeln der an duftigen Melodieblüten reichen Musik. Schon beim Studium des Klavierauszuges (Breitkopf & HärteI) ist man entzückt von der wundervollen Lyrik, den rassigen Rhythmen, der reizvollen Harmonik mit ihrer Verwertung alter Kirchentonarten, der feinen Stimmungsmalerei und der Kunst, mit einfachen Mitteln Individuelles und Nationales scharf zu kennzeichnen. Um die größtenteils gute Aufführung machten sich Herr Mehlich als Kapellmeister und Heu Becker-Huert als Spielleiter verdient. Die sehr begabte Inhaberin der weiblichen Hauptrolle fand nicht immer den rechten derbkomischen Bauernton ; sie war zu sehr Cavalleria und zu wenig rusticana. Der „Hopak“ am Schluß, ein ukrainischer Volkstanz, entschied vollends den Erfolg der Oper.

Dr. Paul Riesenfeld, Neue Musik-Zeitung, 46. Jg., Heft 18, Juni 1925

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