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„dem universum die gänsehaut beibringen“

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Neue Paraphrasen von und zu Hans-Joachim Hespos
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Eva-Maria Houben: hespos – eine monografie, Pfau Verlag, Saarbrücken 2003, 360 S., Abb., Notenbeispiele, € 30,00, ISBN 3-89727-212-1

Wie lässt sich über einen Komponisten schreiben, der selber dem Reden und Schreiben über Musik, namentlich dem musikwissenschaftlichen, größte Skepsis entgegenbringt, der Wörter für „Oralfurze“ hält, aber zugleich in seinen Partituren nicht ohne eine Fülle verbaler Anweisungen auskommt und fortwährend mündliche oder schriftliche Äußerungen von sich gibt, die inzwischen zwei stattliche Textbände füllen?

Und wie lässt sich mit seiner widersprüchlichen Selbsteinschätzung umgehen, er habe die Musik stets nur als sie selbst und nicht als Transportmittel für anderes gesehen, obwohl sie zugleich hochgradig aufgeladen ist mit Ideen von Befreiung, Selbstbestimmung, Aufbruch, Schock, Verletzung, Verausgabung, Risiko, Veränderung. Hans-Joachim Hespos ist dieser Widerspruchsgeist und nicht zuletzt deswegen und wegen seiner unkonventionellen Musik ist er eine Extrem- und Ausnahmeerscheinung im gegenwärtigen Musikleben. Von einer Monografie über ihn ließe sich daher zu Recht eine entsprechend unkonventionelle Darstellungsweise erwarten.

Das jetzt erschienene Buch von Eva-Maria Houben – bereits die vierte Hespos-Publikation der Autorin – ist eine seltsam freie Rhapsodie. Es ist komponiert aus Gedankensplittern und zahllosen eingestreuten Zitaten aus bereits bekannten Texten und neuen Gesprächen, welche die Autorin seit 1999 mit dem Komponisten geführt hat. Über weite Strecken liest es sich gemäß der Hespos’schen Maxime „NO – ON“, die soviel wie „halt“ und „anders weiter“ meint, wie ein vielstimmiger Bewusstseinsstrom, der ohne klares Thema, ohne Systematik und Argumentationszusammenhang mehr oder minder frei assoziativ vorantreibt. Immerhin bieten ein Werk- und Personenregister präzisere Zugriffsmöglichkeiten. Im Gegensatz zu der von Heinz-Klaus Metzger Anfang der 1970er-Jahre geäußerten Forderung, für Hespos’ Musik müsse erst ein logisches Instrumentarium entwickelt werden, verzichtet die Autorin auf jede „Arbeit am Begriff“ und bekennt: „Nicht eine wie auch immer geartete Analyse kann das Ziel sein, sondern der Prozess der Rede selbst. […] Ergebnisse des Denkens und Sprechens gewinnen provisorischen Charakter“. In Form eines gedruckten Buchs von 360 Seiten nimmt sich solch ein Provisorium indes leicht monströs und ermüdend aus.

Im Anspruch orientiert sich die Publikation an Hespos’ Idee von der Augenblickshaftigkeit von Leben und Musik. Sie umkreist diesen Kerngedanken in zahllosen Variationen: teils mit wenig originellen Lyrizismen („Der Klang ist wie ein Vogel, wie ein Schmetterling, der durch den Raum fliegt“, S. 181), teils einem eng an Hespos angelehnten expressionistischen Sprachstil („Jetzt – Staunen, Sprach- und Atemlosigkeit: so lange wie möglich“), teils mit kryptischen Gewissheiten („Hespos Musik […] ist Musik der Hoffnung, nicht einer Hoffnung auf morgen, sondern der ‘Hoffnung auf jetzt’“, S. 90), oder mit persönlichen Leidensberichten („Ich werde bewegt, angerührt, gepackt und geschüttelt, und es reißt mich auch hoch vom Sitz“, S. 76). Vieles davon bleibt jedoch in leeren Behauptungen stecken, weil im Unklaren gelassen wird, was an dieser Musik rührt, wie sie packt und schüttelt und warum sie hochreißt. Nichtssagend bleibt auch die für Hespos zentrale Einsicht „Wer sich auf Hören einlässt, gibt alle Sicherheiten auf, lässt sich auf Risiko ein“ (S. 79). Angesichts der Tatsache, dass die meisten Hörer noch jedes Konzert unbeschadet an Leib und Seele überstanden haben, wären doch zumindest einige Andeutungen über die Art und Weise des gemeinten Hörens, der Sicherheiten und Risiken angebracht gewesen.

Statt Anspruch und Wirklichkeit kritisch zu prüfen, werden diese und ähnliche Weisheiten nur wiederholt. Wie Hespos setzt die Autorin Leben und Musik gleich. Biografische Stationen und die inzwischen 180 Opera werden durch lose Assoziationsbrücken verbunden, womit vieles bereits geklärt und präziserer Erörterungen überflüssig scheint. Zuweilen nimmt diese Parallelisierung groteske Formen an, etwa wenn ein Sprung des zweijährigen Hans-Joachim vom Balkon seiner Eltern als eine „Unternehmung musikalischer Natur“ gedeutet und als Indiz für seine spätere Ästhetik des Risikos und Springens ins „Unberechenbare“ und „Inkommensurable“ strapaziert wird. Auch wird der Meister nicht in einen musikhistorischen Zusammenhang mit vergleichbaren Ansätzen von Cage, Schnebel, Globokar und anderen gestellt. Für die Autorin bleibt ihr „Lehrer“ ein unvergleichlicher Solitär. Mit ihrem jetzigen Buch liefert sie zwar neue, wenn auch wenig andere Äußerungen als die bereits publizierten von und zu Hespos, aber keine Erklärungen darüber, ob und wie dieser dem „Universum“ eine „Gänsehaut“ beibringt. Vermutlich täte man daher besser, dem Rat der Autorin zu folgen und das über Hespos „soeben Geschriebene ad acta zu legen und sich Neuem zuzuwenden“.

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