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Vom Versuch, die Freiheit für sich zu retten

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Matthias Schmidt zieht Parallelen zwischen Mozart und Schönberg
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Matthias Schmidt: Schönberg und Mozart – Aspekte einer Rezeptionsgeschichte (Publikationen der Internationalen Schönberg-Gesellschaft, Bd. 5), Verlag Lafite, Wien 2004, 354 S., Abb., Notenbsp., € 34,00, ISBN 3-85151-073-9

Das kann man schon machen: Man öffnet eine Klammer, um darin einen großen ästhetischen Horizont zu umreißen. Das versucht auch Matthias Schmidt in seiner Abhandlung „Schönberg und Mozart – Aspekte einer Rezeptionsgeschichte“. Aber ist diese Klammer auch sinnfällig? Manches mag zunächst dafür sprechen. Mit Haydn und Mozart beginnt die große Zeit der Wiener Musik, mit der Zweiten Wiener Schule, also mit Schönberg, Berg und Webern endet sie. Beethoven, Schubert, Brahms, Bruckner und Mahler sind die überragenden Etappenpunkte dazwischen. Und Arnold Schönberg hat sich als Komponist wie als Lehrer immer wieder auf Mozart berufen. Da ist das gerne zitierte Bonmot zwischen Schönberg und George Gershwin, die sich in Beverly Hills immer wieder zum Tennisspielen trafen. Gershwin soll vom Plan eines Streichquartetts erzählt haben. Sein Satz „Aber es wird etwas Einfaches sein, wie Mozart“ soll Schönberg maßlos erregt haben. Denn einfache Musik war nicht seine Sache.

Schönberg hatte, wie vermutlich jeder Komponist, eine eigene Hierarchie der Vorgänger, von denen er Entscheidendes lernte. Das waren bei ihm (neben Mozart) Bach, Beethoven, Wagner und Brahms. Zu jedem merkte er in einem Aufsatz von 1931 mit dem Titel „Nationale Musik“ an, welche Techniken des jeweiligen Komponisten ihn besonders beeinflussten. Bei Mozart waren dies die „Ungleichheit der Phrasenlänge“, die „Zusammenfassung heterogener Charaktere in eine thematische Einheit“, die „Abweichung von der Geradtaktigkeit im Thema und in seinen Bestandteilen“, die „Kunst der Nebengedankenformung“ und die „Kunst der Ein- und Überleitung“. Kein Zweifel: Mozart war ein Komponist, der Schönberg in der Formulierung seiner eigenen musikalischen Techniken maßgeblich prägte. Aber von welchem Musikschöpfer könnte man sagen, dass das nicht so ist? Eine grandiose und zugleich singuläre Erscheinung trägt eben diese Früchte.

Von hier ab beginnt das Buch zwanghafte Züge zu tragen. Schmidt gliedert in zwei Großteile, in einen geschichtsästhetischen und einen analytischen, der sich Schönbergs Werksnotizen zu Mozart und dann einzelne Kompositionen von Schönberg und Mozart vornimmt. Wer das Buch liest, um eine Vielzahl von Aspekten und Zitaten aus den musikästhetischen Debatten zwischen 1780 und 1950 mitzubekommen, der wird (vor allem im ersten Teil) durchaus auf seine Kosten kommen, denn er hat eine Materialschlacht auf durchaus profunder Basis vor sich. Was das Lesen freilich so schwierig macht, ist die Tatsache, dass man immer wieder zu Konnotationen zwischen Mozart und Schönberg gedrängt wird, die schief liegen. Denn viel zu verschieden sind die Bedingungen, unter denen Mozart und Schönberg ihre Musik schrieben.

Mozart war in glücklicher Situation, denn die musikalischen Sprachmittel seiner Zeit trafen sich mit den allgemein verständlichen. Seine Größe machte aus, dass er dieses Glück nicht akzeptierte, sondern von innen heraus unendlich differenziert dagegen anschrieb. Bei Schönberg hingegen bewegten sich die Ausdruckstechniken bereits in isoliertem Umfeld. Was er an Mozart bewunderte, war dessen freier Geist, dessen Ungebundenheit sich bis in thematische Strukturen verfolgen lässt. Diese Freiheit suchte er auch für sich zu retten, aber er hatte einen diametral anderen Preis als Mozart zu entrichten. Darum nützt es wenig, wenn, wie Schmidt es auf Schritt und Tritt unternimmt, Parallelen in der thematischen Gestaltung, im motivischen Denken zwischen Mozart und Schönberg aufgewiesen werden.

Die Wiener Schule versuchte selbst immer aufzuweisen (etwa in Weberns Vorträgen „Der Weg zur Neuen Musik“), wie sehr sie in der Tradition wurzelt. Von einem Buch mit dem Titel „Schönberg und Mozart“ wäre über technische Parallelen und dankenswerte Materialfülle hinaus mehr Auskunft über das Extrem dieser Konsequenz zu erwarten gewesen.

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