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Music Across the Ocean – Kulturelle Mobilität im transatlantischen Raum, 1800–1950, hrsg. von Carola Bebermeier/Clemens Kreutzfeldt/Melanie Unseld, transcipt Verlag

Music Across the Ocean – Kulturelle Mobilität im transatlantischen Raum, 1800–1950, hrsg. von Carola Bebermeier/Clemens Kreutzfeldt/Melanie Unseld, transcipt Verlag

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Zwei Seiten internationaler Musikgeschichten

Untertitel
Michael Haas’ „Die Musik der Fremde“ und der Tagungsband „Music Across the Ocean“
Vorspann / Teaser

Michael Haas: Die Musik der Fremde. Komponisten im Exil, übers. von Susanne Held, Reclam, Ditzingen 2025, 448 S., Abb., € 34,00, ISBN: 978-3-15-011501-5

Music Across the Ocean – Kulturelle Mobilität im transatlantischen Raum, 1800–1950, hrsg. von Carola Bebermeier/Clemens Kreutzfeldt/Melanie Unseld, transcipt Verlag, Bielefeld 2024, 321 S., Abb., € 49,00, ISBN: 978-3-8376-7513-9

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Verlorene Vermächtnisse

„Globalisierung“ durchzieht seit Langem auch nahezu alle Musik – und das besonders stark in solchen Phasen, wenn Krisen, Verfolgung und Krieg musisches Leben bedrohen. Diesem eher düsteren Aspekt von „körperlicher und geistiger Transplantation“ widmet sich Michael Haas seit Jahrzehnten: Er war Vizepräsident von Sony Classical, gewann mehrfach den Grammy und war bei Decca für die Reihe „Entartete Musik“ verantwortlich. Außerdem ist er Mitbegründer und seit 2016 Senior Researcher im „Exilarte Zentrum“ der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien.

Diese Kennerschaft ist in sein neues Buch „Die Musik der Fremde“ eingeflossen, mit dem er zwar kein Lexikon vorlegen, aber eine repräsentative Auswahl an „Komponisten im Exil“ vorstellen will.

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Michael Haas: Die Musik der Fremde. Komponisten im Exil, übers. von Susanne Held, Reclam, Ditzingen 2025, 448 S., Abb., € 34,00

Michael Haas: Die Musik der Fremde. Komponisten im Exil, übers. von Susanne Held, Reclam, Ditzingen 2025, 448 S., Abb., € 34,00

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Schon in den ersten Kapiteln des gut gegliederten Buches wird klar, dass bis heute zu oft Künstler im Vordergrund stehen, die es im Exil „geschafft“ haben, herausragend etwa Kurt Weill. Doch der weitaus größere Personenkreis war „monophon“ ohne Fremdsprachenkenntnis, sprach eher ein wenig Französisch als Englisch. Das fiel auch auf diejenigen mit „leichter Muse“ zurück, schließlich hörtern auch Operetten- und Opernkomponisten in der Regel nie mehr eine Note ihrer Werke: „Ihr Leben war gerettet, ihr Vermächtnis jedoch verloren.“

In sieben Kapiteln bereitet Haas dann einer Vielfalt von weniger Bekannten eine Lesebühne: Richard Fuchs, Wilhelm Rettich, Robert Fürstenthal, Walter Arlen, Hans Winterberg… bis hin zu „Missionaren“ in Fernost, einer Zweiten Wiener Schule in China oder dem Argentinier Guillermo Graetzer in Lateinamerika, dann Spuren in Japan, Indien und Afrika. Haas geht kurz auch auf Remigration und das Komponieren in Diktaturen bis hin zum Beispiel Schostakowitsch ein. Deutlich bleibt stets der „Kreativitätsbruch“. Für das Archiv „Exilarte“ bittet Haas um alle noch verfügbaren oder noch auffindbaren Dokumente.

Gefundene Gemeinsamkeiten

Ganz anders der Ansatz des von 2019 bis 2022 gelaufenen Forschungsprojekts „Musical Crossroads“ am Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (IMI), dessen begleitendes Symposium der Pandemie zum Opfer fiel und nun durch diesen Sammelband vertreten werden soll.

Der Atlantik wird hier als wechselseitiger „Handlungs- und Kommunikationsraum“ betrachtet und es wird nach klingenden Kontaktzonen gefragt.

So umreißt Melanie Unseld das Umfeld von Antonio Salieris und Friedrich Treitschkes Oper „Die Neger“ um 1800 in Wien. Den eurozentristischen Opernhorizont erweitert Axel Körner: Verdis zunächst wegen der Zensur in die britischen Kolonien verlegter „Ballo in Maschera“ wurde seit 1859 erfolgreich und deshalb weiterhin meist mit dem Ballett „Bianchi e neri“ kombiniert – einer Adaption von Harriet Beecher-Stowes „Onkel Toms Hütte“.

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Music Across the Ocean – Kulturelle Mobilität im transatlantischen Raum, 1800–1950, hrsg. von Carola Bebermeier/Clemens Kreutzfeldt/Melanie Unseld, transcipt Verlag

Music Across the Ocean – Kulturelle Mobilität im transatlantischen Raum, 1800–1950, hrsg. von Carola Bebermeier/Clemens Kreutzfeldt/Melanie Unseld, transcipt Verlag

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Susanne Rode-Breymann untersucht Benjamin Brittens US-Kontakt-und-Kompositions-Aufenthalt. Dazu bildet der „wienerische“ Lunchroom der geflüchteten Klavierpädagogin Edith Schreiner, in dem dann 1939–41 auch klassisch europäisch musiziert wurde, einen amüsant vorstellbaren, oft aber existentiell „Not-wendigen“ Kontrast.

Die für das US-Orchesterwesen einflussreichen Musikernetzwerke untersucht Joanne Cormac. Bei Wilhelm Furtwänglers Netzwerkversuchen hinsichtlich einer singulären Star-Karriere zwischen den Polen „Toscanini“ und „Bernstein“, also von 1925 bis zu seinem Tod 1954, zeigen sich dabei unerfreuliche „Monomanie“-Züge.

Greift man aus den rund 300 Seiten Themen-Stichpunkte wie „Triangulationsidee Karibik-USA-Europa“, „Transatlantische Praktiken in New Orlens“, das auch durch Europa tourende Frauen-Trompetencorps „Biseras“ oder die „Tiroler Nationalsänger“ in den USA heraus, so wird klar: der ganze Band ist eine Fundgrube an Aspekten, zwischen „Beethoven-Fest 1856“, Antebellum-Blüten in New Orleans oder Boston bis zu der eher problematischen „Rainer Family“. All das kann durch den reichen Fußnoten- und Literaturapparat vertieft werden – mal unterhaltsam, meist bereichernd.

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