Packende Konzertmitschnitte des französischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks ORTF sind kürzlich beim Label Elemental Music erschienen. Und zwar so wie es sich gehört, aber oft nicht gemacht wird: Die Originalbänder aus dem Institut national de l’audiovisuel (INA) wurden sorgfältig restauriert und die Aufnahmen unter Beteiligung noch lebender Mitwirkender veröffentlicht, die dazu ebenso wie andere Musiker interviewt wurden. Zwei der Veröffentlichungen sind Cannonball Adderley gewidmet.
Cannonball Adderley, der Unerreichte
Der Personalstil des Altsaxophonisten war einer der vergnüglichsten der Jazzgeschichte, ein unwiderstehlich mitreißendes Gebräu aus komplexen und einfachen Ingredienzien. Die quirlige, geistvolle Bebop-Linearität Charlie Parkers prägte ihn am meisten. Benny Carters Eleganz, menschliche und klangliche Wärme fanden bei Cannonball ihren Widerhall, vor allem in den Balladen. Einen Schuss der Errungenschaften seines Freundes John Coltrane eignete er sich während der gemeinsamen Zeit in der Talentschmiede von Miles Davis an. Hinzu kommt, und dies ist Cannonballs eigentlicher Beitrag zur Entwicklung des Altsaxophons im Jazz, eine mächtige Dosis Soul. Die unglaubliche Virtuosität und der zupackende Drive seines humorvollen Spiels machten den beliebten und beleibten Künstler zum führenden Altisten, wenn nicht gar zur herausragenden Persönlichkeit des Soul Jazz.
Das Doppelalbum „Burnin´ in Bordeaux. Live in France 1969“ mit Nat Adderley (cnt), Joe Zawinul (p), Victor Gaskin (b) und Roy McCurdy (d) sowie das Album „Poppin’ in Paris: Live at L’Olympia 1972“ mit George Duke (p), Walter Booker (b) und wieder Bruder Nat und McCurdy zeigen das Cannonball Adderley Quintet inspiriert, in bester Spiellaune am Ende der Soul Jazz-Ära und gehen in allen Richtungen weit über diesen Stil hinaus. Änderungen in seiner Spielpraxis (Erneuerung des Vokabulars, Hinzunahme des von Coltrane popularisierten Sopransaxophons in Paris, Elektrifizierung einiger Instrumente, behutsam im 69er-, verstärkt unter dem Eindruck des Jazzrocks im 72er-Konzert) gingen nie grundlegend an das Wesen seiner Musik. Cannonball war einer der letzten Jazzer, die in diesen Jahren zunächst den Höhepunkt des Free Jazz, dann den Durchbruch der Rockmusik und damit einhergehend einen enormen Popularitätsverlust des Jazz erlebten, die es noch gleichzeitig vermochten, die Sprache des Volkes und die des Intellektuellen zu sprechen. Er erreichte breite Schichten, ohne sich künstlerisch zu kompromittieren, und Kenner, ohne elitär zu sein. Und er erreichte sie mit einer Musik, die seine Haltung als offener, kreativ gebliebener Vertreter des modernen Jazz-Traditionalismus verriet. Seine Offenheit spiegelte sich darin, dass sein Repertoire nicht nur von Bebop („Blue’n‘Boogie“), Soul Jazz („Why Am I Treated So Bad“) oder Modalem bis hin zu Großmeistern wie Leonard Bernstein und Duke Ellington reichte. Auch neutönerische Ideen seiner Sidemen Joe Zawinul und George Duke griff er auf, streifte dabei Rock und Free.
Er konnte es sich auch erlauben, eigene Erfolgsnummern ganz anders zu spielen, als das Publikum sie im Ohr hatte oder erwartete, wie in Paris den Song „Autumn Leaves“, für den er 1958 auf seinem Meilenstein „Something Else“ das definitive Arrangement gefunden hatte. Nicht etwa, um sich dem Publikum zuliebe dem melancholischen französischen Chanson zu nähern, das der Jazz-Standard ursprünglich war; nein, um hemmungslos zu fetzen. Daneben servierte er Ohrwurmtaugliches („Walk Tall“). Cannonball gelang der Spagat zwischen Experiment und Kommerz.
Natürlich fehlt auf beiden Alben der Hit „Mercy, Mercy, Mercy“ nicht, der 1967 auf Platz 11 der Billboard Charts gelandet war. Komponiert hat es Joe Zawinul, der übrigens einen Monat vor dem Konzert in Bordeaux an Miles Davis´ „In A Silent Way“ mitgewirkt hatte und einer der führenden Jazzrockpioniere war. Adderleys Einfluss bleibt bis heute noch maßgeblich. Seine Soli sind Lehrmaterial. Doch der Stil eines Großen ist mehr als nur ein Kuchenrezept, das man einfach nachbacken kann. So bleibt Cannonball bis heute in seiner Art unerreicht.
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