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Ein paar feine Perlen für den November

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Neue Pop-CDs im Herbst
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Unglaublich. Das Jahr hat uns fast schon wieder eingeholt. Eben wurden noch Sommer-Veröffentlichungen angepriesen, schon geht es um die wärmeren Winterpublikationen der Phonoindustrie. Ein paar feine Perlen ließen sich da für November finden. Manche nachvollziehbar wie Phil Vetter oder My Morning Jacket. Andere dagegen bleiben eher offen und schwebend im Raum hängen. Gut, dass wir fühlend glauben, im Herbst und Winter mehr Zeit zu haben. Aber auch mehr Geld, um das alles zu kaufen?

Ein bizarres Album gibt es von Daryl Palumbo zu hören. Der ist gefürchtet als Bandmitglied der Hardcore- Helden Glassjaw, aber auch der Popband Head Automatica. Men Women & Children heißt das neue Projekt des Umtriebigen. Das Album nennt sich ebenfalls so. Zu hören gibt es breites künstlerisches Ausleben: Dance- und Disocpop mit schrägen Harmonien, kaum gefälligen Refrains und irgendwie einem ausgeflippten Boa- Strauß ähnlich. Hinter jeder Nummer eine seltsame Feder. Geprägt sind die Musikalien klar in den 70ern, warum man allerdings von dieser Platte hingerissen sein wird, ergibt sich wohl nie.

Der große Songwriter Andy Fairweather Low returniert mit seinem Album „Sweet Soulful Music“. Nach 40 Jahren im Business hat er sich eine längere Auszeit von 26 Jahren genommen, nun aber legt er los. Brillante Musiker hat er ins Studio geholt und alle sammeln sich um den Mittelpunkt des Albums: Andy Fairweather Lows wunderschönes Gitarren-, Mandolinen- und Ukulelespiel inmitten prächtiger Soul-, Blues-, Folk-, Pop-Nummern. Qualitativ wie emotional sehr hochwertig.

Gerade erst waren sie im Vorprogramm von Pearl Jam zu sehen: My Morning Jacket, die kantige US-Rockband, die sich ungern in Markt taugliche Korsette einpferchen lässt. Sänger Jim Jones hatte ein Drehbuch für Livekonzerte entworfen. Das nennt man dann Konzeptalbum; und so wurde die Doppel CD „Okonokos“, die dann auch noch als DVD erscheint zum wahren Kaleidoskop der Band. So klingt das also live: hypnotisch, betonhart, esoterisch, explosiv, emotional und distanziert. Eine spannende und beachtenswerte Achterbahnfahrt mit Rockmusik der nicht formatierten Art. Daumen hoch.

Pünktlich zur Vorweihnachtszeit und nach missglücktem Studioalbum erscheint der Stern Prince mit einer doppelten, ultimativen, unverzichtbaren „Best of“ CD namens „Ultimate“. Hier lässt sich sicher und zu Recht noch abräumen und die Rente festigen, denn Klassiker wie „1999, When Doves Cry, Purple Rain, Sign ‚O‘ The Times, Alphabet St.“ oder „Kiss“ darf man schon einmal kollektiert besitzen. Auf der zweiten CD finden sich Remixe und spezielle Versionen; musste nicht sein aber kann man verkraften.

Unspektakulär klingt es, wenn man erwähnt, dass Jay Bennett mit „The Magnificent“ ein Soloalbum veröffentlicht. Wer? Eine berechtigte Frage, der Antwort gegeben werden kann. Bei der dynamischen und elegischen und Grammy prämierten US- Band Wilco war Herr Bennett bis zum Ausstieg tätig. Mit Wilco hat dieses Album jedoch nichts zu tun. Es handelt sich um eine Collage, die ein brüchiger Songwriter gefertigt hat. Viel Folkwurzeln. Pop auch. Country in Maßen. Dazu unherkömmliche Songstrukturen. Ein Album, das man sich erarbeiten muss. Knallharte Maloche.

Dass sich Arab Strap nach sechs Studioalben, drei Livealben und ungezählten Tränen nun mit der Kompilation „Ten Years of tears“ verabschieden und auflösen, scheint kurz vor Ende des Jahres 2006 ein richtiges Drama zu sein. Die beiden schottischen Trunkenbolde waren für unendlich schöne Songwritermusik zwischen Akustikgitarre und Haudrauf- Elektronik zuständig. Hatten sie eine Seele erst erobert, wurde sie nie wieder freigelassen. Doch das wars nun. Wer herzlich flennen will, muss „Ten Years of tears“ kaufen.
Sehr offen und erfrischend präsentiert sich der Münchener Songwriter Phil Vetter, der früher mal in der Band „Garden Gang“ zu Gange war. „Say Goodbye to the moment“ trifft auch ganz gut die musikalische Absicht des Albums, denn an einem Moment oder einem Genre oder einem Thema lässt sich diese Musik nicht aufhängen. So lauscht man interessiert jedem neuen Song, hört ein wenig Pop oder Rock, auch mal Neil Young oder lässt sich einfach durch Swing inspirieren. Sehr kuschelig.

Kaum tot zu kriegen sind Skid Row, die New Yorker Band, die in den späten 80er-Jahren zusammen mit Bon Jovi in einem Atemzug zu nennen waren, wenn es um melodiösen Hardrock ging. Zwar verließ Aushängeschild Sebastian Bach die Band und fristet nun ein Broadway- Dasein, doch den Rest der Musiker störte das wenig. Das aktuelle Album „Revolutions per minute“ ist feinster Straßenrock mit exzellenter Gitarrenarbeit und ohne Rücksicht auf Verluste. Wer die Zeitmaschine zu Hause nicht anwerfen möchte, kann sich dieses Album als Ersatz halten. Aber klingt Rockmusik nicht zu allen Zeiten gleich?
Cerys Matthews dürfte man noch von der Band Catatonia kennen. Um deren Ende gab es böse wie spannende Gerüchte, die unter anderem Cerys Matthews Gesundheitszustand betrafen. Nun, „Never Said Goodbye“ ist mittlerweile das zweite Soloalbum der hübschen wie kantigen und unbequemen Singer/Songwriterin. An dessen Qualität gemessen, war Cerys Matthews wohl nie krank. Ihre klare, präzise Stimme windet sich jetzt um „Folk.Pop.Country.Songwritermusik.“, die mit allerlei elektronischen wie akustischen Instrumenten dargeboten wird. Eine sehr freundliche Cerys Matthews lernt man so kennen, die gar nicht mehr so grob verschlossen wirkt, wie man das zu Catatonia Zeiten noch unterstellte. Glasklare Popsongwriterin.

Men Women & Children – Men Women & Children (Inkubator, 20.10.06)
Andy Fairweather Low – Sweet Soulful Music (Proper Records, 17.11.06)
My Morning Jacket – Okonokos
(Red Ink, 27.10.06)
Prince – Ultimate
(Warner, 17.11.2006)
Jay Bennett – The Magnificent
(Ryko, 10.11.06)
Arab Strap – Ten Years of tears (Chemikal Underground Records, 27.11.06)
Phil Vetter – Say Goodbye to the moment (Substanz Rec., 10.11.06)
Skid Row – Revolutions per minute (Steamhammer, 20.10.06)
Cerys Matthews – Never Said Goodbye (Sanctuary, 29.09.06)

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