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Gehobene Schätze: Montgomery, Tjader, Jamal

Untertitel
Jazzneuheiten, vorgestellt von Marcus A. Woelfle
Vorspann / Teaser

Immer wieder kommen betagte Live-Aufnahmen großer Jazzmusiker der Vergangenheit auf den Markt. Leider geschieht dies oft in unrestaurierter Audioqualität, in einfallsloser Aufmachung; bisweilen sind die Fundstücke sogar belanglos. Wie man aber mit Herzblut, gründlicher Recherche und dem Segen und Profit der Musiker und Nachlassverwalter gehobene Schätze in Prachtausgaben zugänglich machen kann, zeigt heute kaum jemand eindrucksvoller als der für mehrere Labels tätige Produzent Zev Feldman. Da wird Montgomery mit der gleichen Sorgfalt an die Öffentlichkeit gebracht wie man es auch von einem gefundenen Monet oder Mozart erwarten würde.

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In Zeiten zunehmender Akademisierung des Jazz sei daran erinnert, dass manche wegweisende Spielweise von Autodidakten entwickelt wurde, die schlicht ihrer Intuition folgten. Wes Montgomery ist so einer. Noten lesen hat er nie gelernt. Als er einmal Charlie Christian hörte, beschloss er, sich selbst beizubringen, auf der Gitarre zu jazzen. Da er auf seine Mitbewohner und Nachbarn Rücksicht nehmen musste, vertauschte er das übliche Plektrum mit dem leiseren Daumen. So entwickelte er seine legendäre Spielweise mit seinem ebenso sensiblen wie geschwinden Daumen, die ebenso unüblich, ja „technisch unmöglich“ ist und doch ebenso verblüffend funktioniert und wegweisend wurde wie Gillespies Blasen mit aufgeblähten Backen. Montgomerys eindrucksvolle Oktavläufe inspirieren seither Scharen von Gitarristen. In der letzten Phase seines Lebens, das bereits mit 45 Jahren endete, hatte er kommerziellen Erfolg mit Alben, in deren Arrangements er sich ausnahm wie ein Singvogel im goldenen Käfig. Eine löbliche, letzte Ausnahme bildete 1965 das Album „Smokin’ At The Half Note“, auf dem er mit dem Wynton Kelly Trio kompromisslos drauflosjazzte, das aber teilweise im Studio entstand. Für den Gitarrenstar Pat Metheny ist es „die absolut großartigste Jazzgitarrenplatte aller Zeiten“. Wer möchte nicht gerne mehr davon? Das Doppelalbum „Maximum Swing. The Unissued 1965 Half Note Recordings“ bietet mehr davon. Um ohne Netz und doppelten Boden als schwereloser Akrobat der Gitarrensaiten durch die Lüfte zu fliegen, stand Montgomery auch hier an einem Abend mit Wynton Kelly (p), Paul Chambers (b) und Jimmy Cobb (dr) ein Trio zur Verfügung, das einst bei Miles Davis zur swingenden Einheit geschmolzen war. An anderen Abenden fiel Chambers krankheitsbedingt aus, dafür sprangen andere Könner wie Ron Carter ein. Verblüffend ist Montgomerys Fähigkeit, in bis zu viertelstündigen Stücken völlig spontan zu bleiben, auch Wagnisse einzugehen, und doch jedem Solo eine vollendete Struktur zu verleihen, bei der sich Improvisation als das erweist, was sie sein soll: Spontankomposition. Jede Notenfolge entströmt seiner Gitarre in swingendem Fluss und in zwingender Folgerichtigkeit, in single notes, in Oktavpassagen und in Akkordsoli, die ihresgleichen suchen. Der Tonrestaurator Matthew Lutthans musste Wunder wirken, um die Schätze präsentabel zu machen. (Resonance)

Keine solche Probleme hatte Feldman mit den auch klanglich gelungenen Rundfunkmitschnitten aus dem „Penthouse“ in Seattle, wo die Aufnahmen zu den beiden folgenden Doppelalben entstanden. Im Falle von „Catch The Groove“ 1963–1967 mit den Quintetten des Vibraphonisten Cal Tjader, zu denen Musiker wie Wes’ Bruder Monk Montgomery (b), Clare Fischer (p), Armando Peraza (Conga, Bongo) gehörten. Fast alle wichtigen Vertreter des Latin Jazz sind lateinamerikanischer Herkunft. Cal Tjader, Sohn schwedischer Eltern, war die große Ausnahme. Der vor allem als Vibraphonist bekannte Multiinstrumentalist verschmolz wie nur wenige Jazz und afrokubanische Musik. Seine ersten Sporen verdiente er sich als Steppwunderkind. In seiner Musik ist er auch immer Tänzer geblieben, in der rhythmischen Souveränität, in der Beschwingtheit, Beweglichkeit und Gelöstheit seines Spiels. Die Aufnahmen stellen mit Nachdruck unter Beweis, dass er zu den eindrucksvollsten Jazzvibraphonisten gehörte. (Jazz Detective)

„Live at the Penthouse 1966–1968“ ist das dritte Doppelalbum der Reihe „Emerald City Nights“ mit bisher unveröffentlichten Aufnahmen des 2023 verstorbenen Pianomagiers Ahmad Jamal, die noch zu seinen Lebzeiten unter seiner Mitwirkung begonnen wurde. Zu hören ist er mit Jamil Nasser (b) und Frank Gant (dr). Jamals raffinierte, swingende Kunst wurde in dieser Rubrik in Heft 6/2023 ausführlich vorgestellt, so dass hier eine uneingeschränkte Empfehlung genügt. (Jazz Detective)

Mehr als ein i-Tüpfelchen zu Feldmans Veröffentlichungen (die es auch im LP-Format gibt) sind die dicken bebilderten Booklets, Futter für Leseratten und Denkmäler. Interviewpassagen und Texte der beteiligten Musiker, ihrer Angehörigen, von Musikern, die zu anderen Zeiten mit ihnen musiziert haben, von deren Angehörigen, von bewundernden Kollegen des gleichen Instruments oder sonstigen Größen, die eine Beziehung zu ihnen haben, von Betreibern der Spielstätten bzw. deren Angehörigen, von Tontechnikern, Musikjournalisten, Rundfunkleuten und Plattenproduzenten… So entsteht neben der kritischen Würdigung ein facettenreiches Bild des Alltags, des Wirkungsfeldes und des Privaten, in das man gerne eintaucht. In einer Zeit, in der Musik nur noch gestreamt wird und damit Hintergrundwissen als Quantité négligeable erscheint, ist dies aber die beste Möglichkeit, den physische Tonträger unersetzlich zu machen. (Jazz Detective) 

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