Eine der faszinierendsten Orchesterkompositionen seit langer Zeit, die Jannik Giger hier abliefert. Nur: Es spielt gar kein Orchester. +++ Der Kölner Michael Ranta war einer der ersten Akteure der Neuen Musik, die sich substantiell mit der Musik Asiens beschäftigten. In den 1970er-Jahren lebte er längere Zeit in Taiwan. Ein Dokument dieser Zeit sind die „Taiwan Years“, drei Tonbandkompositionen, die elektronische und spirituelle Aspekte miteinander verbinden. +++ 2018 war Clara Iannotta Siemens-Förderpreisträgerin, nun ist in der hauseigenen CD-Reihe das dazugehörige Portrait erschienen, das mit größer besetzten Kompositionen das ganze Potential einer Klangfantasie freilegt, die sich in vielfarbigen Texturen kaum weniger sublim entfaltet als in eher homogenen Klangkörpern.
Eine der faszinierendsten Orchesterkompositionen seit langer Zeit, die Jannik Giger hier abliefert. Nur: Es spielt gar kein Orchester. Gigers „Orchester“ (2018) ist eine zweisätzige Sample-Komposition, die sich unzähliger orchestraler Versatzstücke aus Spätromantik und Moderne bedient. Die verquirlt Giger aber keineswegs zu einem postmodernen Zitatendschungel, sondern schmilzt sie zu einem irisierenden Klangstrom ein, wo das verwendete Material in einen Zustand des Ungreifbaren de- und transformiert wird. Natürlich gibt es da immer wieder augenblickshaft Allusionen orchestraler Rhetorik zwischen Wagner und Rihm, aber die sind als Klang-Partikel so organisch ins Ganze eingebunden, dass sie eher wie ein Trugbild erscheinen oder um mit Bookletautor Michael Kunkel zu sprechen: wie eine „Fata Morgana von Orchestermusik“. Ein unwirkliches Flimmern irgendwo im Dämmerzustand von Musikgeschichte und Musik als unmittelbarer Gegenwart. Dass Giger sich als Komponist und Medienkünstler mit den Mechanismen der Musikproduktion und deren Inszenierungsmodi besonders intensiv befasst, bezeugen auch die anderen Stücke, in denen Ambivalenzen ästhetisch produktiv werden. Der Mythos des Dirigenten wird hörspielartig ad absurdum geführt in „Krypta“ (2019): Giger hat zahlreiche prominente O-Töne aus Orchesterproben legendärer Pultstars zu einer abgründigen Montage vernetzt, welche die verbalen Selbstherrlichkeiten der Zunft in ein asemantisches Vokaltheater oder kurze Narrative der Komik oder des Grauens (Toscaninis Wüten!) verwandeln, flankiert von erwürgten Orchesterkommentaren. (Kairos)
Der Kölner Michael Ranta war einer der ersten Akteure der Neuen Musik, die sich substantiell mit der Musik Asiens beschäftigten. In den 1970er-Jahren lebte er längere Zeit in Taiwan. Ein Dokument dieser Zeit sind die „Taiwan Years“, drei Tonbandkompositionen, die elektronische und spirituelle Aspekte miteinander verbinden. „Kagaku Henka“ (1971) entstand kurz nach Rantas Zeit im Stockhausen-Ensemble auf Einladung von Toru Takemitsu im elektronischen Studio des NHK-Radio Tokyo: eine improvisatorische Kontemplation mit flirrenden Sounds der elektronischen Yamaha-Orgel „Electone“, glockigen Perkussionsklängen und Tupfern einer Hawaii-Gitarre. In den 1980er-Jahren hätte man dies möglicherweise als obsolete Klangtapete für substanzgeschwängerte Räucherstäbchen-Séancen fehlinterpretiert. Ein halbes Jahrhundert später strahlt das jedoch eine ungeheuer angenehme, ganz vorurteilsbefreite Ruhe aus. Eine wesentlich konkretere Reise durch die musikalischen Gefilde Taiwans verkörpert „China Filch“ (1975), eine Montage aus Feldaufnahmen zwischen Tempel und Marsch-Kapelle, traditionellen asiatischen Perkussionsinstrumenten und Radiosounds. (Metaphon)
2018 war Clara Iannotta Siemens-Förderpreisträgerin, nun ist in der hauseigenen CD-Reihe das dazugehörige Portrait erschienen, das mit größer besetzten Kompositionen das ganze Potential einer Klangfantasie freilegt, die sich in vielfarbigen Texturen kaum weniger sublim entfaltet als in eher homogenen Klangkörpern. Besonders eindrucksvoll geschieht dies im Orchesterstück „MOULT“ (2018/19), hier im UA-Mitschnitt von den Wittener Kammermusiktagen zu hören. Das Stück ist von den Häutungsprozessen bei Spinnen inspiriert und in der Tat ist das WDR-Sinfonieorchester mit unentwegten Ver- und Umwandlungen der Materie Klang beschäftigt. Das entwickelt im Ächzen, Pressen und Schleifen seiner Artikulationen oft verblüffend elektronisch anmutende Klangfarben. Dass Iannotta es wie momentan kaum eine andere Komponist*in versteht, aus einer permanenten Ambivalenz von Kontinuum und Ereignis, Kontur und Verwischung heraus im geläufigen Instrumentalapparat ganz neue Befindlichkeiten zu modellieren, demonstrieren auch die Ensemblestücke. Ihre illustren Titel sind angeregt von Gedichten Dorothy Molloys: „paw-marks in wet cement (ii)“ (2015–18), „Troglodyte Angels Clank By“ (2015) und „dead wasps in the jam-jar (ii)“ (2016) machen dem Mysterium ihrer Namensgebungen klanglich alle Ehre. Irisierende Klangräume für verstärktes Ensemble, wo das Unkalkulierbare der Artikulation gestaltbildend wird und in subtilen Beleuchtungswechseln das Abwesende anwesend. (Kairos)