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Künstlerischer Ernst, konkurrenzloses Spiel: Hilary Hahn gibt Elgar und Vaughan Williams Raum. Foto: Kasskara/DG
Künstlerischer Ernst, konkurrenzloses Spiel: Hilary Hahn gibt Elgar und Vaughan Williams Raum. Foto: Kasskara/DG
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Haydn bis Holliger

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Jüngst aufgenommene Violinkonzerte
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„Pizzicato tremolando“: Dieser durch ein besonderes Anschlagen der Saiten mit mehreren Fingern erzeugte Effekt – eine Erfindung Edward Elgars – ist das Signal dafür, dass in dieser Kadenz Besonderes geschehen wird. Sie wird mehr sein als ein letztes Virtuositätenkabinett vor der Schluss-Stretta eines Finalsatzes, mehr als ein wehmütiger Rückblick der Solovioline auf das in den vorangegangen Sätzen Durchlebte. Das erregte Zittern im Untergrund bettet die Geige nicht einfach auf Blumen, es erinnert daran, dass deren Ton bei allem Aufblühen gefährdet sein könnte, im nächsten Moment in ganz andere Bezirke wegzudriften. Es verwandelt diese über sieben Minuten währende begleitete Kadenz in eine dramatische Szene, ein Konzert im Konzert.

Hier erweist sich endgültig, was Hilary Hahn mit ihrer Neueinspielung des Elgar-Konzertes gelungen ist: die Rückführung eines in epischer Breite sich verströmenden Konzert-Kolosses auf seinen Ausdruckskern. Der besteht nicht darin, die Übergänge von einer Note zur nächsten mit breiten Portamenti zu verschleifen und so die zu immer neuen Bögen gruppierten Phrasen möglichst bruchsicher zu verkleben, er äußert sich vielmehr in dem bei entsprechender Tongebung natürlich sich entfaltenden melodischen Fluss, den es durch Differenzierungen in der Binnengestaltung von Tempoeinheiten zu gliedern gilt. Das flexible Mitgestalten des London Symphony Orchestra ermöglicht diese Haltung, Hilary Hahns derzeit wohl konkurrenzloses Spiel erfüllt sie.

Sogar in den offenbar unvermeidlichen Starfotos spiegelt sich etwas von dem künstlerischen Ernst wider, den auch ihre Person ausstrahlt. In Ambiente und Farbgebung versuchen sie zumindest andeutungsweise den Geist jener vergangenen Epoche heraufzubeschwören, den auch die Musik ausstrahlt. Was dagegen ein offenbar als Sponsor fungierendes Berliner Nobelhotel, auf dessen Chaiselongue sich die 20-jährige Baiba Skride entsprechend bekleidet räkeln darf, mit Mozart und Michael Haydn zu tun hat, bleibt ein Rätsel. Die Gewinnerin des Reine-Elisabeth-Preises macht mit ihrem gesunden Ton und ihrer stilistischen Sicherheit nichts verkehrt und lässt sich in der Haydn-Rarität sogar ein wenig vom luftigen, kontrastreichen Klang des Kammerorchesters C. Ph. E. Bach anstecken.

Bis auf die gleiche, Mozart gleichsam aus dem Blickwinkel Paganinis betrachtende Kadenz Sam Frankos im ersten Satz gibt es da kaum Gemeinsamkeiten mit dem Litauer Julian Rachlin. Bei ihm wird Mozarts drittes Violinkonzert mit schlankem, fast gläsernen Ton bisweilen gar ein wenig nachlässig hingeworfen. Manch originelle Phrasierungsidee und ins Non-vibrato auslaufende Passage lässt aufhorchen, ebenso der nachdenkliche, nicht einfach bloß ausgesungene Mittelsatz, den Rachlin und das sehr sorgfältig begleitende BR-Symphonieorchester unter Mariss Jansons in ein kleines von der Oper her gedachtes Drama verwandeln. Auch im Kopfsatz des Brahms-Konzertes greift sein Ansatz noch, der jeder großen vibratogesättigten Geste misstraut und stattdessen mit harsch stechenden, fast trotzigen Doppelgriffketten nach der inneren Dramatik sucht. Der bloß angenehm luftige Finalsatz, vor allem aber das klanglich wie intonatorisch ziemlich verunglückte Adagio können dieses Niveau freilich nicht halten.

Rachlins Bruder im Geiste scheint der zweite junge Grammophon-Geiger Ilya Gringolts zu sein. Sein asketischer Ton, der keine Drücker, kein Schwelgen zulässt, verwandelt das Sibelius-Konzert in eine moderne Klangstudie, was im zweiten Satz freilich bis ins Näselnde, Unattraktive geht. Auch das extrem abgebremste Finale überzeugt in seiner grimmigen Verbissenheit zunächst, erweist sich bei den Spielfiguren dann aber als arg gesucht und manieristisch. Demgegenüber wirkt Henning Kraggerud bei Naxos eindimensional, stellt seine solide Technik aber immerhin auch in den Dienst des kaum bekannten ersten Konzerts von Christian Sinding, einem in der Form originellen, harmonisch und in der konzertanten Zuordnung indes wenig visionären Werk.

Auch für das zweite Stück auf Gringolts‘ neuer CD, das erste Violinkonzert Sergej Prokofieffs, gibt es eine aktuelle Konkurrenzeinspielung. Wo der durchaus eigensinnige Russe grelle Fratzen schneidet und auch eine etwas prekäre Intonation in Kauf nimmt, wählt Julia Fischer einen ausgewogenen Mittelweg. Ihr zweiter Satz ist schneller, vielleicht auch vordergründiger, doch wo im dritten Satz Gringolts‘ Interesse erloschen zu sein scheint, setzt Fischer noch einmal nach. Aufmerksamkeit verdient das – mit Glasunows etwas altväterlichem Konzert als drittem Programmpunkt prall gefüllte – CD-Debüt der 21-Jährigen aber vor allem wegen ihres fulminanten Einsatzes für die mitunter geschwätzige, dafür aber rhythmisch mitreißende Brillanz des Khatchaturian-Konzertes. Das ist technisch über jeden Zweifel erhaben und beweist Geschmack beim Umschiffen der ein oder anderen Kitsch-Klippe.

Die nur zwei Jahre ältere Arabella Steinbacher steht ihr da im Grunde in nichts nach, vor der geigerischen Bewältigung muss man angesichts einer Live-Aufnahme den Hut vielleicht sogar noch tiefer ziehen. Die Klangqualität dieses Mitschnitts aus dem Münchner Gasteig erscheint allerdings, was die Orchesterpräsenz angeht, neben der SACD Julia Fischers beinahe vorsintflutlich. An die Stelle der hellwachen Verzahnung mit dem von Yakov Kreizberg fantastisch befeuerten Russischen Nationalorchester tritt hier das zweidimensionale Zerfallen in einen bewundernswerten Solovorder- und einen dumpf-mulmigen Orchesterhintergrund. (Dass das City of Birmingham Symphony Orchestra ganz anders klingen kann, zeigt die Studio-Aufnahme des Khatchaturian-Cellokonzerts).

Zurück ins Standardrepertoire führt uns Frank Peter Zimmermann mit einem vor interpretatorischer Intelligenz und leicht distanziertem Spielwitz schier berstenden Tschaikowsky-Konzert. Bruch bedarf da einer stärkeren emotionalen Identifikation; Zimmermann ist dazu bereit und bringt die notwendige Differenzierung in Tongebung und Vibrato mit, sie zu beglaubigen.

Intellektuell auch der Zugriff Renaud Capuçons auf das Mendelssohn-Konzert. Stärker noch als der Solopart selbst, der nur gelegentlich durch das ein wenig konturlose Legato beeinträchtigt erscheint, überzeugt hier die Partnerschaft mit dem fabelhaften Mahler Chamber Orchestra. Auf die Erfahrung mit Originalklang-Dirigenten aufbauend lässt es sich von Daniel Harding zu einem transparenten, kammermusikalisch lebendigen Dialog mit dem Solisten animieren, der klanglich nicht auf Brahms voraus, sondern auf Mozart zurückweist. Davon profitiert auch das nach wie vor sträflich vernachlässigte Spätwerk Schumanns. Vor allem der Kopfsatz des allgemein als sperrig und undankbar beiseite geschobenen Konzerts entwickelt eine intensive, dabei nie eingedickte oder forcierte Dringlichkeit und für den Finalsatz, dessen ungewöhnlicher Satzcharakter als langsame Polonaise in viel zu schnellen Interpretationen regelmäßig massakriert wird (einzig Gidon Kremer und Nikolaus Harnoncourt wagten das Originaltempo), findet diese Neueinspielung einen spielbaren, überzeugenden Kompromiss.

Wem das alles zuviel des (überwiegend) jugendlichen Konzertüberschwanges wird, dem bleiben zwei Alternativen. Da wäre Heinz Holligers Violinkonzert, eine in der sezierenden Bloßstellung geigerischer Möglichkeiten kompromisslose Hommage an den Schweizer Maler (und Geiger) Louis Soutter, dessen letzter Satz „alle Brillanz und Virtuosität von vorher verschluckt“, so Holliger treffend. Wie Thomas Zehetmairs Violinton sich über dem desolaten Brummen des Orchesters noch einmal gebrochen kraftlos erhebt und einen letzten Gang über diese zerborstenen Klangfelder antritt, das ist ohne Beispiel.

Und da wäre Ralph Vaughan Williams‘ meisterhafte Miniatur „The Lark Ascending“. Wie Hilary Hahn diese auskomponierte Spannung zwischen dem auch in der Musik naturhaft Klingenden und einer imaginären Volksmusik erstrahlen lässt, öffnet die Ohren wieder. Für Altes, für Neues.

Diskografie

• Elgar: Violinkonzert, Vaughan Williams: The Lark Ascending, Hilary Hahn, London Symphony Orchestra, Colin Davis, Deutsche Grammophon 00289 474 5042
• Mozart: Violinkonzert Nr. 3, Rondo C-Dur, Schubert: Rondo A-Dur, Michael Haydn: Violinkonzert B-Dur, Baiba Skride, Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach, Hartmut Haenchen, Sony Classical SK 92939
• Mozart: Violinkonzert Nr. 3, Brahms: Violinkonzert, Julian Rachlin, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Mariss Jansons, Warner Classics 2564 61561-2
• Prokofieff: Violinkonzert Nr. 1, Sibelius: Violinkonzert, Ilya Gringolts, Göteborgs Symfoniker, Neeme Järvi, Deutsche Grammophon 474 814-2
• Sibelius: Violinkonzert, Sinding: Violinkonzert Nr. 1, Henning Kraggerud, Bournemouth Symphony Orchestra, Bjarte Engeset, Naxos 8.557266
• Khatchaturian/Glasunow: Violinkonzerte, Prokofieff: Violinkonzert Nr. 1, Julia Fischer, Russian National Orchestra, Yakov Kreizberg, PentaTone Classics 5186 059 (SACD)
• Khatchaturian: Violinkonzert, Cellokonzert, Arabella Steinbacher, Daniel Müller-Schott, City of Birmingham Symphony Orchestra, Sakari Oramo, Orfeo C 623 041 A
• Tschaikowsky/Bruch: Violinkonzerte, Frank Peter Zimmermann, Oslo Philharmonic Orchestra, Manfred Honeck, Royal Philharmonic Orchestra, Paavo Berglund, Sony Classical SK 93129
• Mendelssohn/Schumann: Violinkonzerte, Renaud Capuçon, Mahler Chamber Orchestra, Daniel Harding, Virgin Classics 7243 5 45663 2 5
• Holliger: Violinkonzert „Hommage à Louis Soutter“, Eugène Ysaye: Sonate für Violine Solo Nr. 3, Thomas Zehetmair, SWR Sinfonieorchester, Heinz Holliger, ECM New Series 1890 476 1941

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