Artur Schnabel: Scholar of the piano (Aufnahmen 1932 bis 1948)
EMI Classics 50999 2 65064 2 5, 8 CDs
Wäre Musik, solche nach historisch sich gewandelt habenden Regeln festgeschriebene, nicht vom Wesen her kreativ, könnte sie einzig in Vitrinen klimatisch neutral gesichtet und mit Ohrstöpsel gesichert im immer selben Akustikgewand wahrgenommen werden: Der eine Beethoven wäre ein für alle Mal festgezurrt, der andere Bach endgültig abgehakt und die spezielle Donaueschinger Uraufführung für alle Zeiten verbindlich konserviert. Glücklicherweise ist das nicht so. Und sogar die Macher von Festspielen sogenannter Neuer Musik bieten ja aktuell Interpretationsvergleiche an im Konzert, indem sie das identische Stück zweimal spielen lassen – von zwei verschiedenen Ensembles. Zum Glück also gibt es Tonträger.
Denn mit denen lässt sich kontinuierlich Interpretationsgeschichte erweisen und beweisen, dergestalt lässt sich Struktur und Sentiment, lassen sich Tempo und Transzendenz in Folge transportieren. Sicher lässt sich auf solchen Wegen auch munter abkupfern mangels eigener Gestaltungskraft. Aber wer auf sich hält, der findet schon den subjektiv objektiven Weg der Darstellung. Solche Pfade freilich führen nicht nur zuweilen und doch eher häufig durch endloses Flachland. Manchmal jedoch gibt es Ausreißer ins Hochgebirge des interpretatorischen Ingeniums, auf den pyramidalen Gipfel, dessen Spitze nur Platz für ein Gipfelkreuz bietet.
Einen der höchsten im pianistischen Gefilde hat Artur Schnabel erstbestiegen, erklommen, erobert. Technisch instand gesetzte Aufnahmen aus den Jahren 1932 bis 1948 bieten eine gute Übersicht zum Thema Weitsicht. Hätten die Nazis diese Aufnahmen gehört, wäre der Menschheit wohl Schrecklichstes erspart geblieben. Die aber praktizierten ja ihres Un-Geistes Untergangsszenarien. Wer jetzt Schnabels Bach hört, Beethoven, Mozart, Schubert, der meint, einem Bewusstsein vom Beginn des dritten Jahrtausends zu begegnen, einer Klarheit in der Struktur, einer Direktheit im emotionalen Zugriff, einer sensationellen Sensibilität, einem treibenden Tempo ohne die Gehetztheit von 2009, einer aufgeklärten Denkweise als Ergebnis der sogenannten authentischen Aufführungspraxis. Hier ist die schon zu hören, in einem geschichtlichen Vorgriff gewissermaßen. Dargeboten von einem Künstler aus der Kategorie männlicher Emanzipation. Das sollten sie alle hören, die Stadtfelds/LangLangs/Consortialbrüder, ehe sie ihre Marketingfuzzis im verbalen PopOutFit ranlassen. Hören erst. Nicht reinhören. Und dann reden, argumentieren, spielen.
Artur Schnabel also als Visionär. Wer seinen Beethoven hört, vermeint Neue Musik zu hören, so direkt, so schroff, so tief und hoch sind seine Ansätze, so neu seine Fingersätze sozusagen, dass der Eindruck bleibt, so ist das noch nie gehört worden.
Diese aktuelle Neuveröffentlichung der EMI Classics bietet auf acht CDs eine Auswahl wesentlicher Beethovensonaten (welche sind vor diesem Hintergrund dann unwesentlich?) von Pathétique bis Hammerklavier, vom jungen bis zum reifen Beethoven, Mozart-Konzerte und Sonaten, Schubert-Impromptus, dessen Forellen-Quintett und Mozarts g-moll-Quartett sowie eine breite Bach-Palette voller Wunder.
Mitspieler kommen da, wo von der Partitur zwingend vorgeschrieben, aus dem Pro-Arte-Quartett, als ganzes London Symphony Orchestra zu Gehör unter Sir Adrian Boult und Sir Malcolm Sargent. Und auch der Artur-Schnabel-Sohn Karl Ulrich Schnabel ist zu hören, in Mozarts Es-Dur-Konzert für zwei Klaviere KV 365. Da hat EMI ein gutes Stück Aufklärung unters hörende Volk gebracht, fern vom Oberlehrerimage, das dem großen Artur Schnabel gern hinterhergeworfen wurde!