Im EZM-Portrait von Sergej Maingardt scheint die existentielle Explosivität einer reizüberfluteten Welt allgegenwärtig. +++ Auch Matthias Kranebitter ist einer derjenigen, die unter Einbeziehung ausgefeilter Samplingtechniken scheinbar Inkommensurables besonders gnadenlos kollidieren lassen. +++ Das utopische Potential des Spirituellen zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk von Liza Lim, oft als Hoffnungsschimmer im Spannungsverhältnis einer desolaten globalen Ökologie.
Im EZM-Portrait von Sergej Maingardt scheint die existentielle Explosivität einer reizüberfluteten Welt allgegenwärtig. „Rush“ für großes Orchester, verstärktes Ensemble und Elektronik (2019) entwickelt dabei unter der Prämisse des Aufbegehrens enorme Energien: Ein Klang-Rausch mit heftigen Entladungen und Zersplitterungen der musikalischen Abläufe, der in ekstatische Lärmwände mündet. Eine Aura von Gewalt und Terror umgibt auch die abgründigen Geschicke von „Flower’s silence in empty guns“ (2012) für Klavier, Live-Elektronik und Wii Sensoren, als wäre das ein Baller-Spiel auf der Play Station. Oft entsprechen schon die Besetzungen von Maingardts Musik veritablen Rock-Settings: Trommelfell-Attacken zwischen Krieg und Wahnsinn reitet „Declare Independence“ (2014) für Schlagzeug, E-Gitarre, E-Bass und Synthesizer. Wie eng Maingardts Sound-Topographien mit visuellen Ideen zusammenhängen, zeigen die verlinkten Videos: „Heroin“ (2017) für vier E-Gitarren, Elektronik und Video gibt sich mit hörbarer Lust dem Gitarren-Rausch hin. „It’s Britney, bitch!“ (2014) wirft Material von Britney Spears in den Häcksler namens Sampling-Keyboard und macht daraus eine Collage über die Abgründe des Pop-Geschäfts. Gerade die Ambivalenz von Kritik und Affirmation macht die Faszination vieler Stücke von Sergej Maingardt aus. (Wergo/EZM)
Auch Matthias Kranebitter ist einer derjenigen, die unter Einbeziehung ausgefeilter Samplingtechniken scheinbar Inkommensurables besonders gnadenlos kollidieren lassen. Seine „pitch study no. 1“ (2016) lässt eine Solovioline von elektronischen Prozessen triggern. Expressive Klangpartikel der Virtuosentradition treffen hier auf aggressive Einblendungen von Fremdmaterial. Besonders fruchtbar und effektiv wird die Idee der Collage in der „Encyclopedia of Pitch and Deviation“ (2020) forciert, das eine Materialflut zwischen Natur und Technik in Betrieb nimmt, wo der Bruch und die Konfrontation zum Motor der Ereignisse werden. Was geschieht mit unserem Gehirn, wenn wir mit einer Überfülle der akustischen Eindrücke konfrontiert werden und gezwungen sind, zu filtern und zu fokussieren? Diese Frage stellt „60 Auditory Scenes for Investigating Cocktail Party Deafness“ (2021) in drei Versuchsanordnungen für Orchester und „Machine Listening System“. Als chaotisches Dauergewusel beginnt „Nihilistic study no. 7“ (2013) und verquirlt synthetische Sounds mit Feldaufnahmen aus einer Shopping Mall und Beethovens „Für Elise“. Langweilig wird es in Kranebitters Klangtotalität nicht. (Kairos)
Das utopische Potential des Spirituellen zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk von Liza Lim, oft als Hoffnungsschimmer im Spannungsverhältnis einer desolaten globalen Ökologie. In „Annunciation Triptych“ nimmt diese Haltung im orchestralen Breitwandformat geradezu den Modus der Verklärung an. Drei Ikonen weiblicher Spiritualität stehen im Zentrum dreier Sätze, die in unterschiedlichen Kulturkreisen für Ideen von Erlösung einstehen. Es ist nicht uninteressant, sich zu vergegenwärtigen, dass dieses Triptychon 2019-2022 entstand und so wirkt alles Klingende hier wie eine nachträgliche Befreiung. Dabei schwelgt Liza Lim mit verblüffender Intensität in der Fülle des Wohllauts: strahlende Dur-Akkorde, elegische Hornmotive, Dreiklangs-Arpeggien, Einbruch pathetischer Akkordwände – als hätten Strauss und Wagner hier Pate gestanden. Aber darin erschöpft sich diese verwegen seltsame Musik nicht. „Poetische Assemblage“ heißt das Programm von Liza Lim, wo aus dem Divergenten heraus das Spekulative erwachsen soll. In „Sappho/Bioluminescence“ wachsen aus flimmernden Verästelungen verführerisch leuchtende Klang-Körper. Der zweite Satz „Mary/Transcendence after Trauma“ beginnt wie ein Sonnenaufgang (in der Musik des 19. Jahrhunderts), der dritte wie eine Bruckner-Sinfonie. Ein dramatischer Sopran tut in „Fatimah/Flowers of Jubilation“ sein übriges. Das WDR-Sinfonieorchester badet genüsslich in Lims Erlösungsfantasien, Orchesterklang als Verkündigung. (Kairos)