Hauptbild
Claudia Chans „Thoughts about the piano“

Claudia Chans „Thoughts about the piano“ 

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Skulpturales Klavier

Untertitel
Neue CDs neuer Musik, vorgestellt von Dirk Wieschollek
Vorspann / Teaser

Sabine Liebner pflegt schon lange eine innige Beziehung zur amerikanischen Avantgarde und hat das Repertoire mit wegweisenden Feldman- und Cage-Einspielungen bereichert. +++ Genauso wenig wie Claudia Chans „Thoughts about the piano“ 2021 ein verkopftes Konzept-Album verkörperte, ist „Toccare“ ein Show-Room virtuoser Selbstdarstellung, wie der Titel vielleicht argwöhnen ließe. +++ Das Trio Catch spielt seit einiger Zeit in geänderter Besetzung (Klarinettist Martin Adàmek hat Gründungsmitglied Boglarca Perce ersetzt), die aktuelle Veröffentlichung wurde jedoch noch weitestgehend in der alten Formation eingespielt. 

Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Sabine Liebner pflegt schon lange eine innige Beziehung zur amerikanischen Avantgarde und hat das Repertoire mit wegweisenden Feldman- und Cage-Einspielungen bereichert. Dabei versteht sie es immer wieder, vermeintlichen Abstraktionen offener Formgefüge eine ganz persönliche Expressivität abzugewinnen – so auch in Cages „Winter Music“ (1957): ein Konvolut metrisch ungebundener Akkord-Konstellationen, die frei arrangierbar und in Tempo und Dynamik vollkommen offen sind. Die Pianistin hat die Unbestimmtheiten des musikalischen Textes aber keineswegs als Minimalismus gedeutet, der in winterlicher Starre von Klanginsel zu Klanginsel auf einem Aktionslevel dahinmeditiert. Die extremen Lagenkontraste der Aggregate nimmt Liebner zum Anlass, teils überraschend impulsiv und expressiv zu agieren, parallel dazu wird ein weites Feld an dynamischer Differenzierung aufgemacht. Mal werden die Akkorde mit kantigen Schlägen aus dem Materialreservoir herausgemeißelt, mal wird mit zerbrechlichen Artikulationen Stille zelebriert. 

Heraus kommt eine überaus vielgestaltige Klanglandschaft, in der Akkorde und Resonanzflächen sich skulptural zusammenfinden. Angesichts der Tatsache, dass alle 20 Blätter dieses weitläufigen „Klang-Pools“ in einer gut 70-minütigen Realisierung berücksichtigt wurden, versteht man nicht, warum die Aufnahme ausgerechnet in vier Tracks gegliedert wurde. (Wergo)

Genauso wenig wie Claudia Chans „Thoughts about the piano“ 2021 ein verkopftes Konzept-Album verkörperte, ist „Toccare“ ein Show-Room virtuoser Selbstdarstellung, wie der Titel vielleicht argwöhnen ließe. Dennoch wird der physische Aspekt des Spiels hier unmittelbar spürbar, in Stücken zwischen Klassikern und aktueller Gegenwart italienischer Musik. Chan setzt nahtlos dort an, wo sie im CD-Debüt aufgehört hat: mit zupackender Expressivität, struktureller Klarheit und einem großen Farb- und Dynamik-Spektrum. 

Das kommt Gian Francesco Malipieros ziemlich Berg’schen „Bianchi e neri“ (1964) ebenso zugute wie dem sprunghaften Pointillismus von Sylvano Bussottis „Musica per amici“ (1957/71). Besonders beeindruckend: Salvatore Sciarrinos 2. Klaviersonate (1983), deren krasse Kontraste die Kölner Pianistin kompromisslos offensiv ausreizt. 

Bild
Claudia Chans „Thoughts about the piano“

Claudia Chans „Thoughts about the piano“ 

Text

Ein Schwerpunkt dieser Produktion ist auf das bisher unveröffentlichte Frühwerk Franceso Filideis gerichtet: Geräuschintensive Aphorismen, die das Klavier als Perkussions-Instrument auffassen und die Tastatur geflissentlich ignorieren. Aber auch die junge Komponistengeneration bleibt nicht außen vor: Giulia Lorusso verschmilzt in „Kemà-vad“ (2021) schillerndes Akkord-Gefunkel und sanfte E-Bows zu einer kontemplativen Melange. (b-records) 

Das Trio Catch spielt seit einiger Zeit in geänderter Besetzung (Klarinettist Martin Adàmek hat Gründungsmitglied Boglarca Perce ersetzt), die aktuelle Veröffentlichung wurde jedoch noch weitestgehend in der alten Formation eingespielt. Viele der Auftragskompositionen vermitteln in ihrem Artikulationsreichtum oft den Eindruck, hier wäre ein ganzes Ensemble am Werk: Mikel Urquizas „Pièges de neige“ ist das genaue Gegenteil einer farblosen Spur im Schnee: ein Klang-Dschungel aus flüchtigen Gesten, die ausgesprochen schrille Gestalten beherbergen, Andeutungen undefinierbarer Tierlaute inklusive. 

Ganz der Düsternis und Melancholie hingegeben ist Milica Djordjevics „Pod vodom raskraca snova“, dessen Klaviereinleitung aus bodenloser Tiefe kommt, um nach Ausbrüchen der Hysterie noch tiefer darin zu versinken. Die letzten beiden Stücke spielen dann doch noch mit dem Vokabular vermeintlicher Eingängigkeit, die der Titel ironisch verheißt: Sara Glojnarics „sugarcoating #2“ (2017) verstrickt das Trio in schräg zusammengebaute Rhythmus-Schleifen, die am Ende elektronischen Deformationen ausgeliefert werden.

Gänzlich in eine fremde und seltsame Welt entführt uns Mart*in Schüttler in „low poly rose“: eine Hybris aus ungemütlichen Klavier-Attacken und Gleitklängen wie aus alten Sci-Fi-Filmen. Und er hat noch eine Überraschung parat: zum guten Schluss sollen die letzten Takte des (in einem Konzertprogramm) zuvor erklungenen Stücks rekapituliert werden. Das bedeutet hier: Beethovens „Gassenhauer-Trio“ op. 11 in halber Geschwindigkeit. (bm)

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!