Tiere tauchen ja immer mal wieder auf in der neuen Musik. Alec Hall (*1985) ist in „A Dog Is a Machine for Loving“ (2016–24) auf den Hund gekommen +++ Clemens Gadenstätter zählt zu den Komponisten, die auf sehr subtile und strukturell elaborierte Weise außermusikalische Wirklichkeiten transformieren +++ Darauf verwies die Konzertperformance 2 Second Manual, die die interdisziplinäre Künstlerin Lea Letzel 2019 für das Kölner Acht-Brücken-Festival konzipiert hatte, damaliges Thema: „GroßstadtPolyphonie“
Clemens Gadenstätter zählt zu den Komponisten, die auf sehr subtile und strukturell elaborierte Weise außermusikalische Wirklichkeiten transformieren
Surreales Storytelling
Tiere tauchen ja immer mal wieder auf in der neuen Musik. Alec Hall (*1985) ist in „A Dog Is a Machine for Loving“ (2016–24) auf den Hund gekommen. Dort gelangen die akustischen Verlautbarungen von „Buddy and Piper“, „Mathilda“, „Mabel“ und einiger Unbekannter aus New Yorks Hundeparks zu künstlerischen Ehren. In sechs Episoden konstituieren Sprechstimme, sprunghafte Klavier-Passagen, Feldaufnahmen und elektronische Verfremdungen ein hybrides „Storytelling“. Das kann wie in „Caes de Sagres“ gespenstisch-surreale Formen annehmen, wenn von einer nächtlichen Begegnung mit streunenden Straßenhunden und einem abgewrackten Klavier erzählt wird. „There Are Only Two Ways to See Inside Someone“ (2019–22) transformiert die Intimität zwischenmenschlicher Nähe in einen Dialog von Violine (Marco Fusi) und elektronisch erweiterten Lautäußerungen, wo es auf kleinste Berührungen ankommt. Die flirrende Expressivität Fusis wird am Ende von den Geräuschmitteilungen eines MRTs in pulsierende Loops eingetaktet. Mensch und Maschine im Röntgenmodus. Von den Schrecken des palästinensisch-israelischen Konfliktes durchdrungen ist das Streichquartett „The Water’s Memory, the Memory of Sand“ (2021), angeregt durch Verse von Mahmoud Darwish. Rastlose perkussive Mechanik, ätzende Klangoberflächen und eine traurig verzerrte jüdische Melodie stehen im Zeichen von Gewalt und Zerstörung – beschädigte Klangidentitäten, wo man hinhört. (Kairos)
Clemens Gadenstätter zählt zu den Komponisten, die auf sehr subtile und strukturell elaborierte Weise außermusikalische Wirklichkeiten transformieren. Sein Streichquartett-Triptychon „Paramyth 1–3“ (2012–17) nimmt alltägliche Verrichtungen in den Fokus, die sich wunderbar in den taktilen Apparat Streichquartett übertragen lassen: „häuten“, „schlitzen“, „reißen“. Kaum zu erwähnen, dass die abgründigen Seiten dieser „Tätigkeits-Wörter“ hier mitgedacht sind, also die Assoziationen zu Folterpraktiken gewollt sind. Sie werden in Beziehung gesetzt zu drei prominenten Bildwerken: Tizians „Die Häutung des Marsyas“, Grünewalds Isenheimer Altar und Francis Bacons „Studie nach Velázquez’ Portrait von Papst Innozenz X.“. Daraus erwachsen bei Gadenstätter natürlich keine instrumentalen „Bildbeschreibungen“, sondern Klang-Interaktionen zwischen impulsiver Expressivität und brüchiger Andeutung. Ihren semantischen Ansagen gemäß, erkunden sie in allen erdenklichen Kombinationen von Obertonklang, Glissando-, Tremolo- und Sul- ponticello-Spiel schneidende Klang-Physiognomien unangenehmst hoher Frequenzbereiche. Das Arditti Quartett führt in diesen hypernervösen Klang-Operationen das Skalpell mit chirurgischer Präzision und rhythmischer Vehemenz. (col legno)
Clemens Gadenstätter zählt zu den Komponisten, die auf sehr subtile und strukturell elaborierte Weise außermusikalische Wirklichkeiten transformieren
Neue Musik und Skateboarding? Wie soll das zusammengehen? Sehr gut, wenn man bedenkt, dass beide Sphären auf differenzierten Vorgängen des Hörens beruhen. Darauf verwies die Konzertperformance 2 Second Manual, die die interdisziplinäre Künstlerin Lea Letzel 2019 für das Kölner Acht-Brücken-Festival konzipiert hatte, damaliges Thema: „GroßstadtPolyphonie“. Nun ist unter dem Titel „Skateboard Musik Stadt“ eine sehr ansprechend gestaltete LP-Edition in durchsichtigem Vinyl erschienen, die die Klang-Performance von Akiko Ahrendt (Violine) und Dirk Rothbrust (Perkussion) im Zusammenklang mit drei Skateboardern dokumentiert. Wie dynamisch hier Musik, Geräusch und Bewegung zusammenfinden können, dokumentiert der etwa 30-minütige Mitschnitt, wo die Instrumentalist:innen sich frei in der Skaterhalle bewegten und spontan auf die geräuschvollen Manöver der Skater reagierten. Natürlich kann die Aufnahme das Gesamtgeschehen nur bedingt abbilden, sehr wohl aber eine Sensibilität für die klanglichen Dimensionen des Skateboarding wecken. Allerdings hätte man sich insgesamt durchaus mehr (mikrofonierten?) Fokus auf dessen Soundpotential gewünscht. Thematisch unterfüttert wird das Projekt durch einen ungemein instruktiven Textbeitrag von Konstantin Butz, der sehr anschaulich die akustischen Aspekte des Skatens als Teil urbaner Klanglandschaft herausarbeitet. (che casino/editionmetzel; LP)
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