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Von glitschiger und ehrenhafter Popmusik

Untertitel
Neuerscheinungen der Popindustrie, vorgestellt von Sven Ferchow
Vorspann / Teaser

Man fragt sich ja (zu) oft, warum betagtere Bands und Gruppen im allerspätesten Herbst ihrer Karriere auf meist ziemlich komische Ideen kommen. U2 covern sich selbst mit Akustikgitarren und Def Leppard, die ehemaligen englischen Hardrock-Helden der Achtziger, glauben mit „Drastic Symphonies“ (Def Leppard Songs plus bombastische Orchesterbegleitung) einen Riesen-Einfall gehabt zu haben. Worin genau der musikalische Mehrwert liegt, Hardrocksongs mit Orchester aufzunehmen oder zu spielen, erschloss sich schon bei Metallica nicht. Ergo: Auch bei Def Leppard bleibt der tiefere Zusammenhang verborgen. Klar, man hat ein paar weniger bekannte Songs ausgegraben oder setzt nur teilweise auf die klassischen Hits, aber insgesamt ist das schlicht künstlich aufgebläht, behäbig und für jeden echten Def Leppard Fan unendlich langweilig. (Mercury)

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Was für ein Segen, dass es hin und wieder mal ein richtig räudiges Stück Musik gibt. Samantha Fish & Jessie Dayton sind in diesem Fall daran schuld. „Death Wish Blues“ ist wie eine verrostete, verschmierte Fahrradkette, die man nicht anfassen kann, ohne sich eine Blutvergiftung zu holen. Samantha Fish & Jessie Dayton geben sich auch überhaupt und keinerlei Mühe, irgendwie kompatibel oder verträglich zu klingen. Gerotzt wird aus allen Lagen: Rock, Soul, Blues, sogar Punk und Funk. Man sollte jetzt freilich nicht so weit gehen und behaupten, die beiden würden mit „Death Wish Blues“ völlig neue Welten schaffen. Aber Samantha Fish & Jessie Dayton erinnern uns mit ihren Songs daran, dass es immer noch vermeintlich echte Rockmusik gibt, die sich wenig um Konventionen und Mainstream schert. Wunderbar, diese Platte. (Rounder Records)

Schwedischer Hardrock oder Heavy Metal hat nicht nur Tradition, sondern ist seit Jahrzehnten ebenso verlässlich wie schwedische Erfolge im Skisport. Ghost sind bereits alte Füchse und obwohl sie im Vergleich zu den oben gescholtenen Def Leppard noch nicht im Spätherbst ihrer Karriere sind, ist es guter alter Brauch, dass Ghost zwischen zwei Alben eine EP mit Coversongs veröffentlichen. Genesis, Tina Turner, Television, The Stranglers und Iron Maiden schafften es diesmal auf die Playlist der EP „Phantomime“. Fünf Coverversionen, die gnadenlos gut gelungen sind. Insbesondere Tina Turners „We don‘t need another hero“ und Genesis’ „Jesus he knows me” sind hervorzuheben und verleihen auch im Heavy Metal-Sound den Originalen noch einmal Flügeln. (Concord)

„Okemah rising“ von den Dropkick Murphys bildet den Teil 2 des Vorgänger-Albums „This Machine Still Kills Fascists“. Wenn man so möchte, ist „Okemah rising“ das Ballermann-Album der Murphys. Ziemlich viel Partymusik, ziemlich viel ungeschliffene Sounds und irgendwie ein Statement im Sinne der arbeitenden Bevölkerung. Selbstverständlich behält der Irish Pub-Punk der Dropkick Murphys auch bei aller Ernsthaftigkeit der Songtexte erneut seine ungezügelte Schnelligkeit, seine unverkennbare Rohheit und seine unablässige Tanzbarkeit (wenn man die Geschwindigkeit noch mitgehen kann). Ein Statement gegen ungerechte Politik, Machtmissbrauch und überhaupt Ungerechtigkeit jeglicher Art. (Dummy Luck Music)

Eine sehr bedrohliche EP ist „O-Mit” von The Fall. Sprechgesang thront gefährlich über einer Instrumentierung, die sich irgendwo zwischen Studio-Session, Instrumenten-Spielsucht oder Videospiel-Soundtrack ansiedelt. Fröhlichkeit ist den vier Songs der EP ein Fremdwort, aber gerade das macht „O-Mit” spannend und entdeckenswert. Es gibt hier nichts Verlässliches, selten Vertrautes oder gar Gängiges zu hören. Herrlich brüchig, herrlich groovend. Für Puristen mit Abenteuerlust. (Cherry Red Records)

Es gibt Menschen, die beschreiben die Musik des schottischen Superstars Lewis Capaldi als „Alternative“. Schwierig. Popmusik ist das eher, aber, das muss man konstatieren: ehrenhafte Popmusik. Capaldi werkelt hart an seinen Songs, die ohne Zweifel leicht konsumierbar sind, aber in denen wenigstens eigenes Herzblut steckt. Deswegen klingen seine durchwegs im mittleren Tempo arrangierten Songs selten schmierig oder glitschig, sondern können schon mit einigen unorthodoxen Wendungen und Beulen aufwarten. Wenn schon Pop, dann doch gerne Lewis Capaldi. (Vertigo Berlin)

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