Immer noch wird Jazzgesang von Frauen dominiert. Wobei die Palette musikalischer Neigungen ebenso vielfältig ist wie sie oft vielsprachig kommuniziert wird.
Weibliche Signaturen
Nostalgisch ist Malia aus Malawi, jetzt in England lebend, Retro-Stilistiken zugewandt. Ihre afrikanische Herkunft präsentiert sie stolz mit „One Grass Skirt To London“, und zwar in Reminiszenzen „The Way We Are“ – ihrerseits eine indirekte Hommage an Billie Holiday als Idol. Entlang bekannter Hollywood-Songs lässt sie Szenen ihrer Lebenserfahrung in Begleitung eines flexiblen Klaviertrios wie mit der rezitativen Ballade „Pure Imagination“ Revue passieren. Sentimentale Sounds, Operndramatik, Discotanz und andere Timbre-Tupfer ihrer starken Stimme fügen sich zu einem populären Porträt. (MPS)
Der Broadway und das American Songbook sind nur ein Reflex ihrer Erinnerung an den „Autumn In Beijing“, die von der italienischen Sängerin und Komponistin Simona de Rosa und dem polnischen Klaviertrio Confusion Project für ein Recital aus verschiedenen Folk-Ressourcen verwendet wurde. Ihr globaler „Feather“-Flug führt sie zu extravaganten Begegnungen, etwa mit dem Bulgarischen Frauenchor, dessen feierliches Cluster-Intro den Pfad für ziemlich schnellen Latin-Swing als „My Guiding Star“ bereiten, um dann zum arabischen Oud-Mäander „Argeay Ya Alf Laila“ und zum Samba „Simoneranza“ im Fuego-Bebop-Tempo und extremer Vokalartistik zu gelangen: Jeder Song glänzt in profundem Kosmopolitismus. (Eigenproduktion / DistroKid)
Kulturtransfer gibt es auch beim trinationalen Ensemble Near The Pond. Primus inter pares ist Josefine Cronholm, deren intensiv gesungenen Interpretationen der Haiku-Lyrik des mittelalterlichen Poeten Saigyo von expressiven Kantilenen des Kornettisten Kirk Knuffke ergänzt werden, ohne in japanisierende Klischees abzugleiten. Vielmehr folgen sie symbolisch dem „Wild Geese“-Schwarm in statischer Haltung, gestützt von gestrichenen Bass-Tremoli, schimmerndem Vibraphon und Vokal-Hall. Allerdings kann das Interesse auch zu Mississippi-trägem Kornett-Cantus oder einem Trance-Thema schwenken. Diese kollektive Adaption fremdliterarischer Stimulanzien ist gelungen. (Stunt)
Mit ihren Texten eher aufs Eigene konzentriert ist die schweizer Jazzsängerin und Komponistin Lea Maria Fries. Beeindruckend ihre A-cappella-
Reverenz vor dem „Chrüz“ (Kreuz) ihrer Alpen-Heimat, die in lokalem Seufzer-Dütsch wohl Dankbarkeit meint, beim Monolog „Liquid Thoughts“ allerdings in resignativ flimmernden Timbres. Ohnehin sind dunkle Klangfarben ihrer Fusion-Manier mit Klaviertrio bevorzugt, so beim Jazzrock-Ostinatio für „Witch’s Broom“, der knatternden Punk-Perkussion der „Umleitung“, deren melodische Stimmlinie von Elektrosounds überlagert werden. Widerstand ist evident, und zwar inspiriert von „Cleo“: Der Album-Titel bezieht sich auf Kleopatra als historische Figur weiblicher Stärke. (Heavenly Sweetness)
Eine akustische Fusion-Variante bietet das So Lieb Quartet mit der Trompeterin Sonja Ott. Ihr und das Sujet ihrer drei Kompagnons ist „Partial Lunar Eclipse“ als mögliches Zeichen der Bedrohung, denn eine misterioso Bass-Sequenz mit Hall findet ein ahnendes Echo im Druidengeraune am Flügelhorn. Doch ist die Band nicht verzweifelt, sondern findet aus verwinkelten Bop-Rock-Riffs, elastischem Groove und klaren Trompetensignalen eine Perspektive. Geschmeidige Melodik in dynamischen Bögen oder kantiges Staccato kündigen Ambitionen an, progressiv die Zukunft in weiblicher Signatur zu gestalten. (Neuklang)
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