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Ryan Adams. Prisoner.
Ryan Adams. Prisoner.
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Zeit der großen Gefühle

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Neuveröffentlichungen der Popindustrie, vorgestellt von Sven Ferchow
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Musik von: Ryan Adams, Sofia Härdig, Philipp Poisel, Thunder, Matthias Schweighöfer und Falco in der CD-Kritik.

Ein Jahr ohne ein Ryan-Adams-Album ist irgendwie ein verlorenes Jahr. Deswegen großes Aufatmen. „Prisoner“ ist seit kurzem erhältlich, und wer dachte, Ryan Adams wäre bereits mit seinen letzten drei bis sechs Alben auf dem Höhepunkt seiner Karriere angekommen, der wird mit „Prisoner“ jetzt eines Besseren belehrt. Ryan Adams singt über die Liebe. Vordergründig. Nebenbei geht es aber um das verdammte Leben und das Scheitern in selbigem. Einfacher wird es durch Songs wie „Do You Still Love Me“, „Shiver and Shake“, „Outbound Train“ oder „Anything I Say To You Now“. Es ist der klassische Ryan-Adams-Rocksound. Klare, deutlich gesetzte Rockakkorde. Ab und an verhallt oder ins Delay geschickt. Dazu ein wenig Stimme, die fleht oder einfach nur unendlich angeschlagen wirkt. Wie wir alle. Sehr großes Album (Pax Americana).

Ähnlich verhaltensoriginell zeigt sich die Schwedin Sofia Härdig auf „And The Street Light Leads To The Sea“. Eine ziemlich nervöse Zusammensetzung aus Rock, Punk, gerne auch Garage und dem unvermeidlichen Schuss Indie gibt es hier zu hören. Das erfordert zunächst mal Ruhe und Muße. Auf der Autobahn gerät man mit „And The Street Light Leads To The Sea“ ziemlich schnell auf den Seitenstreifen. Mit 190 km/h. Daheim jedoch entfalten sich diese Songs zu einem durchaus zerbrechlichen Soundtrack. So chaotisch klingt das dann gar nicht. Die zerfahrenen Elemente der Songs fügen sich zu einem Album, das zwar niemals zur Ruhe findet, aber positiv aufkratzt (Solaris Empire).

Ruhe ist da eher was für Philipp Poisel und sein Album „Mein Amerika“. 14 Songs, die in der melancholischen Dynamik verharren und dann doch zum Refrain ausbrechen und große Gefühle erzeugen. Wollen oder sollen. Muss jeder dann selber wissen. Im Gesamten kann man das durchaus als großes Jammer-Album verorten. Alles schlimm, alles dunkel, alles vorbei. Nun, leider oder Gott sei Dank, kriegt Philipp Poisel bei jedem Song noch die Kurve. Es geht zwar Richtung Epik und Drama, aber man kann das schon ein Album lang – dieses – ertragen. Ein wenig mehr Kanten, ein bisschen lauter und Schmerz ohne Handbremse wären auch mal schön gewesen. Vielleicht beim nächsten Album (Grönland Records).

Vielleicht sollte Philipp Poisel mal die britischen Rocker von Thunder hören. Die spielen durchaus mal eine gepflegte Rockgitarre. Trennen sich auch mal. Und spielen jetzt wieder zusammen. Aktuell auf dem Album „Rip It Up“. Blues-getränkter Hardrock, der seit 30 Jahren nicht nur funktioniert, sondern auch eine ernste Berechtigung hat. Alleine Danny Bowes Stimme ist dieses Album wert. Ein Kehlchen, das sich da durch die Songs des harten Lebens pflügt und dabei so herzzerreißend unsere Fehlschläge aufzählt. Wunderbare elf Rocksongs, die an ein Leben vor der musikalischen Beliebigkeit erinnern (earMUSIC).

Große Gefühle verspricht sich wohl eine ziemlich weibliche Zielgruppe von Matthias Schweighöfer und seinem Album „Lachen Weinen Tanzen“. Der Schauspieler singt jetzt auch. Und setzt auf breite Schwülstigkeit in Text und Musik. Leise Töne steigern sich in fast jedem Song zu einem erlösenden Refrain, der dann alles vorherige Barmen und Zaudern auflöst. Das ist einfach nur langweilig. Aber wenn es ihm gefällt und seinen Fans. Bitteschön. Musik ist anders (PantaSounds).

Natürlich muss man Falco zu seinem 60. Geburtstag erwähnen. „Falco 60“ stellt das Gesamtwerk des Wieners, des Scheiterers, des Kaputten, des Genies auf drei randvollen CDs zusammen. Und es ist freilich großartig. Allein den wahnsinnig irren wie alle Vorverurteiler verachtenden gesungenen Refrain in „Coming Home“ (Jeanny Part Two) zu hören, erzeugt Gänsehaut und großes Erinnerungskino an Zeiten, in denen das Radio als moralische Instanz auftreten wollte und doch von schlauen Köpfen wie Falco vorgeführt wurde. Eine Werkschau allerdings auch, die Falcos gesamten Wahnsinn zu Tage fördert. Seine Phasen des Scheiterns, des Erfolgs, des Zweifelns, der Heimatlosigkeit und der schieren Verzweiflung. Müßig ist es, über das „was wäre wenn“ zu reden. Falco bleibt in seiner Zwiespältigkeit und seinem musikalischen Können unerreicht. Eventuell und vielleicht war es einfach zu früh. Für uns mit Falco und mit Falco für uns (Ariola). 

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