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Johann Rosenmüller: Vespro della beata Vergine (Cantus Cölln, Canticum, Concerto Palatino, Konrad Junghänel)
2 C0 HMC 901611.12
Johann Rosenmüllers abenteuerliches Leben hat sichtbare Spuren in seiner Musik hinterlassen. Biographische Dokumente wurden leider schon früh durch die Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges vernichtet. Die geradlinige Entwicklung des um 1619 im Vogtländischen Ölsnitz Geborenen, die auf das Amt des Leipziger Thomaskantors zuzusteuern schien, wurde 1655 abrupt unterbrochen und der der Päderastie angeklagte Komponist aller Ämter enthoben.
Einer langjährigen Verurteilung entzog er sich durch die Flucht aus sächsischer Haft. Seit 1658 ist er in Venedig nachgewiesen, wo er - zunächst als Posaunist - eine Anstellung am Markusdom fand. Zu dieser Zeit war das venezianische Musikleben schon längst von der Oper dominiert, selbst ein Markuskapellmeister wie Cavalli schrieb vornehmlich für die Bühne, so daß die Talente des mit deutscher Gründlichkeit geschulten Rosenmüller auf fruchtbaren Boden fielen. In seinen Psalmkonzerten verbindet kontrapunktische Satztechnik sich mit venezianischer Farbenpracht, wie wir sie aus der Musik Monteverdis oder von den Gemälden Tintorettos kennen.
Überliefert ist Rosenmüllers lateinische Kirchenmusik ausschließlich in deutschen Quellen, was dazu führte, daß die liturgische Bindung an den katholischen Ritus durch protestantische Textkontrafakturen konterkariert wurde. Peter Wollny, der das Notenmaterial der vorliegenden Aufnahme erstellte, hat deshalb versucht, die ursprüngliche Gestalt der Psalmvertonungen und Marienmotetten wiederherzustellen und eine Auswahl von ihnen zu einem Vespergottesdienst kompiliert, wie er zu Rosenmüllers Zeit in Venedig hätte stattfinden können. Werbestrategisch nicht ungeschickt läßt die französische Harmonia Mundi die Doppel-CD unter den Titel „Vespro della beata Vergine“ segeln und weckt so die Erinnerung an Monteverdis „Marienvesper“, einen der Welterfolge der alten Musik.
Das ist insofern legitim, als Rosenmüllers Musik in ihrer Mischung aus „Virtuosität, Klangsinnlichkeit und Gebärdenkraft“ (Martin Geck) selbst der Konkurrenz dieses größten Meisters des italienischen Frühbarock standhält.
Dazu trägt nicht zuletzt die spannungsvolle, musikalisch erfüllte, ja selbst den theatralischen Affekt zu Recht nicht scheuende Interpretation durch das Vokalensemble Cantus Cölln sowie die Bläser- und Continuogruppe Concerto Palatino bei. Aufgemischt sind die insgesamt neun Vokalkonzerte - unter denen ich das gleichermaßen strenge wie anmutig verinnerlichte „Magnificat“ c-Moll eigens hervorheben möchte - durch gregorianische Antiphonen sowie zwei Instrumentalsonaten, die beweisen, daß Rosenmüller sich auch in diesem Genre dem Vorbild seiner Wahlheimat angepaßt hat.