Zwei Frauenschicksale, zwei Künstlerinnenschicksale: Zwei Inszenierungen von Christof Loy aus dem Jahr 2020 sind kürzlich auf DVD/Blu-ray erschienen.
Während die Konstellation Frau als Künstlerin in Ruggero Leoncavallos Zazà vom Libretto vorgegeben ist, geht sie im Fall von Antonín Dvoráks Rusalka auf das Konzept des feinsinnigen Regisseurs zurück. In seiner Produktion am Madrider Teatro Real ist die Wassernixe eine Balletteuse, die von einer Verletzung an ihrer Kunst gehindert wird. Der Pakt mit der Hexe Jezibaba (die prägnante Katarina Dalayman) bringt sie wieder auf die Beine und in die Arme des Prinzen (der kernige Eric Cutler), beraubt sie bei Loy aber nicht nur ihrer gesprochenen Sprache. Auch die Körpersprache, sprich: sexuelle Bindungsfähigkeit, geht ihr verloren. So hat die fremde Fürstin (luxuriös besetzt mit Karita Mattila) leichtes Spiel, die Katastrophe nimmt ihren Lauf. Ohne an die schmerzliche Dringlichkeit von Martin Kušejs zehn Jahre alter Münchner Inszenierung heranzureichen (siehe nmz 9/2011), wird diese mit viel Tanz belebte, aber nicht durchweg schlüssige Deutung von der Intensität Asmik Grigorians in der Titelpartie und Ivor Boltons inspiriertem Dirigat getragen. (C Major)
Mit Eleganz und sorgfältiger Personenführung versucht Christof Loy in einer Produktion des Theaters an der Wien auch Ruggero Leoncavallos selten gespielter Zazà beizukommen. Die unspektakuläre Geschichte der Variété-Künstlerin, die sich in einen verheirateten Mann verliebt, gewinnt durch das untypische Ende – Zazá findet die Kraft, sich von ihm zu lösen – durchaus emanzipatorisch lesbare Nuancen, und Svetlana Aksenova verleiht dieser Selbstermächtigung eindringliches Profil. Doch auch die überzeugenden Leistungen ihrer Partner Nikolai Shukoff und Christopher Maltman können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Musik, Stefan Soltész’ zupackendem Dirigat zum Trotz, doch eher blass bleibt. (Unitel)
Eine weitere große Frauenpartie hat Hans Abrahamsen der großartigen Barbara Hannigan in die Kehle geschrieben. In seiner kurz vor Ausbruch der Pandemie an der Münchner Staatsoper realisierten Hans-Christian-Andersen-Adaption The Snow Queen ist sie aber nicht für die Titelrolle der Schneekönigin zuständig (diese ist stattdessen eine eher kleine Basspartie!), sondern singt Gerda. In Andreas Kriegenburgs düsterer, dauerverschneiter Anti-Märchen-Inszenierung ist ihr Kay (wunderbar warm und sonor: Rachael Wilson) durch dessen Depression entfremdet worden, und sie versucht ihm durch Besuche in der Nervenheilanstalt wieder nahe zu kommen. Kriegenburgs durch Schauspieldoubles angereichertes Szenario ermüdet bald und erdrückt Abrahamsens Musik zunehmend. Von Cornelius Meister und dem Bayerischen Staatsorchester souverän aufgefächert, pulsiert diese unter der vermeintlich minimalistisch-simplen Oberfläche durchaus vielschichtig, ohne freilich durchschlagende dramatische Prägnanz zu entwickeln. (Bayerische Staatsoper Recordings)
Eine starke Frauenfigur bildet auch in David Böschs intelligenter Amsterdamer Inszenierung von Mozarts Le Nozze di Figaro das Zentrum: Die stimmlich wie darstellerisch gleichermaßen überzeugende Christiane Karg hat als Susanna alle Fäden in der Hand, respektive alle Fernbedienungen der Smart-Home-Applikationen im Hause Almaviva unter Kontrolle. Gut gesungen wird darüber hinaus vor allem von Marianne Crebassa (Cherubino), Alex Esposito (Figaro) und Stéphane Degout (Graf). Auf Party-Ruinen werden im 4. Akt die emotionalen Wunden geleckt. (Arthaus)
Den überbordenden Farbenzauber von Rimsky-Korsakovs Sadko domestiziert der unerschrockene Dmitri Tcherniakov am Bolshoi-Theater mit einer Mischung aus Moderne und augenzwinkernd-naivem Historismus. Dirigent Timur Zangiev lässt es aus dem Graben kontrolliert krachen, das Ensemble, angeführt vom wackeren Nazhmiddin Mavlyanov in der Titelpartie, sowie Chor und Orchester sind in beeindruckender Manier auf der Höhe von Rimskys Gestaltungskraft. (Bel Air)
Pure Farbenpracht regiert auch in der gelungenen Ausgrabung von Titon et L’Aurore des spätbarocken Franzosen mit dem herrlichen Namen: Jean-Joseph Cassanéa de Mondonville. Mit köstlicher, um Puppen angereicherter Bühnenfantasie erweckt Basil Twist das Stück an der Pariser Opéra Comique zu Leben, für instrumentale Brillanz sorgen William Christie und Les Arts Florissants, für stimmlichen Glanz Reinoud van Mechelen und das übrige Spezialistenensemble. (Naxos)
Van Mechelen führt das Ensemble auch in Rameaus Hippolyte et Aricie an, einer weiteren Opéra-Comique-Produktion. Hochkompetent ist die Ausführung auch hier – Raphaël Pichon leitet sein Ensemble Pygmalion – doch leider zündet Jeanne Candels eher sterile Inszenierung nicht so recht. (Naxos)
Ganz andere Probleme bekam – wie so viele andere Theaterschaffende auch – die englische Operntruppe OperaGlass Works. Im März 2020 wollte sie Benjamin Brittens meisterliches Kammerspiel The Turn of the Screw auf die Bühne der Londoner Wilton’s Music Hall bringen und wurde von der gerade anrollenden Pandemie jäh ausgebremst. Bald entschieden sich die Leiterinnen Selina Cadell und Eliza Thompson dafür, aus der theatralen Not eine filmische Tugend zu machen. Der Saal wurde zum Studio umfunktioniert, im Herbst 2020 fanden die Aufnahmen statt. Das Ergebnis ist weit mehr als eine abgefilmte Inszenierung. Dank des atmosphärischen Settings entwickelt sich jener klaustrophobische Sog, der Britten und seiner Librettistin Myfanwy Piper bei ihrer Bearbeitung der Henry-James-Novelle vorschwebte. Dass dabei die Filmtheater-Illusion durch die Sichtbarkeit der Produktionstechnik immer mal wieder aufgebrochen wird, steht dem nicht entgegen. Das Ensemble singt gut, besonders Leo Jemison und Alys Mererid Roberts in den Kinderrollen überzeugen. Die Sinfonia of London zieht unter John Wilsons Leitung die Spannungsschrauben unerbittlich an. (Chandos)