Es war die große Zeit des Umbruchs in der Traumfabrik. Das Studiosystem in Hollywood lag Anfang der sechziger Jahre in den letzten Zügen. Die großen hauseigenen Studioorchester wurden aufgelöst. Es war Zeit für einen frischen Wind in Hollywood, auch in der Musik: der Henry-Mancini-Sound war angesagt, für das Frühstück bei Tiffany genauso wie für den rosaroten Panther.
Und so bekamen plötzlich neue Talente ihre große Chance – wie der argentinische Ausnahmemusiker Lalo Schifrin, den viele bisher nur als Pianisten von Dizzy Gillespie kannten. Mit der großartigen „Gillespiana“-Bigband-Suite hatte sich Schifrin 1960 zum ersten Mal in der Jazzszene einen Namen gemacht. Endlich ist dieser „Verve“-Klassiker, der seit einer Ewigkeit verschwunden war aus den Katalogen der „Universal Music Group“ - die sich in den letzten Jahren immer weniger um dieses Material gekümmert hat – wieder erhältlich, zusammen mit sechs weiteren Schifrin-LPs auf der Real-Gone-CD-Box „Seven Classic Albums“. Zum ersten Mal kann man dort die amerikanischen Anfänge des argentinischen „Wunderkinds“ komplett studieren, seine leichtgewichtigen – aber finessenreichen – Bossa-Nova-Alben und seine Jazzarrangements für Dizzy Gillespie aus den frühen Sixties. Zwischen „West Side Story“-Songs und Antonio-Carlos-Jobim-Sambas bewegt sich der Meister in jenen Jahren gleich „geschmackvoll“: Latin-Sound von der Westküste.
„Verve Records“ war damals ein Ableger von Metro-Goldwyn-Mayer gewesen und so schlitterte Lalo Schifrin, der sich schon in Buenos Aires Filme nur wegen der Filmmusik dreimal hintereinander angeschaut hat, wie er mir einmal erzählt hat, langsam in die Filmmusikszene hinein. 1963 coproduzierte M-G-M einen französischen Film mit Alain Delon und Jane Fonda, „Les Felins“, und dieser „Verve-Typ“ sollte dafür die Musik schreiben, wenn man schon nicht einen Henry Mancini haben konnte. Der Original Soundtrack zu „Wie Raubkatzen“ ist damals seltsamerweise von M-G-M nicht veröffentlicht worden. Vielleicht war den Herren die Musik dann doch zu jazzig. Immerhin tauchten einige Themen daraus auf einem Bestselleralbum von Jimmy Smith auf: „The Cat … The Incredible Jimmy Smith. Arranged & Conducted By Lalo Schifrin“. Mit „driving solos that roar and purr“, wie es so schön auf dem Klappcoveralbum hieß. Gut gebrüllt M-G-M-Löwe kann man da nur sagen. Lalo Schifrin war plötzlich in Hollywood ein Household-Name geworden. Der Soundtrack zu „Joy House“, so der US-Titel, ist schließlich vor ein paar Jahren dann doch noch von der rührigen Universal France veröffentlicht worden.
Einen Querschnitt durch sein Schaffen danach – mit ganz vielen Raritäten! – bietet nun die Box „Lalo Schifrin: My Life In Music“, die bei seinem eigenen Label Aleph Records erschienen ist. Jeder kennt natürlich seine berühmtestes Stück, das „Mission: Impossible“-Thema im 5/4-Takt, die Titelmelodie zur TV-Serie „Kobra übernehmen Sie“. Als daraus in den neunziger Jahren sogar eine modernisierte Kino-Serie mit Tom Cruise daraus entstand, eroberte das Thema erneut die Hitparaden in der ganzen Welt. Dabei ist Lalo Schifrins Name noch mit einer ganz anderen Hollywood-Legende verbunden: Clint Eastwood. Seit den späten Sixties, seit „Coogan‘s Bluff“ hat er für viele seiner Filme den Score geliefert, von dem großartigen „The Beguiled“ bis zu „The Dead Pool“.
Es war Lalo Schifrin, der Eastwoods Dirty-Harry-Taten jazzig-fiebrig orchestriert hat. Und auch das zum Standard gewordene „Down Here On The Ground“ (aus „Cool Hand Luke“) stammt aus seiner Feder. Ähnlich wie sein Kollege Ennio Morricone, der zur selben Zeit als er anfing, zum Filmkomponisten reifte, wird Lalo Schifrin von einer inzwischen nachgewachsenen Fangemeinde als „hipper“ Musiker verehrt. Vollkommen zurecht! Hat er doch ein Leben lang im kommerziellen Rahmen mit Klangfarben herumexperimentiert, ähnlich wie Starproduzent Quincy Jones („Thriller“). Kein Wunder, hatte er doch wie Q, in den Fifties in Paris Musik studiert, bei einem Schüler von Maurice Ravel.