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Spur der Steine
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Um die weite Welt zu sehn

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Zwischen Defa- und Plattenstudio: zum Tode von Manfred Krug
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1979 erschien im „Westen“ bei Intercord eine Langspielplatte mit „Schlagern für Fortgeschrittene“, wie das der Wiener Kabarettist Gerhard Bronner einst bezeichnet hat: „Da bist du ja“. In Blue Jeans lehnt da lässig ein Proletarier mit Schiebermütze an einem Eingang und schaut skeptisch in die Zukunft. Der Proletarier hatte gerade vor einem guten Jahr aus dem „Osten“ rübergemacht. Er war dort der größte Star der DDR gewesen. Und nun wagte er einen Neuanfang. Doch bis Manfred Krug auch hüben ein geliebter Star werden sollte, sollte noch ein wenig Zeit vergehen.

Aber bald war er wieder „auf Achse“ und wurde zum „Liebling Kreuzberg“ der Bundesrepublik Deutschland, dem man sogar beim Aktienkauf vertraute. Von seiner Vergangenheit als Defa-Star sickerte nur wenig im Westen durch. Erst als 1989 aus dem Defa-„Keller“ wieder sein tollster Film „Spur der Steine“ auftauchte, begann man sein filmisches und musikalisches Schaffen nach der Wiedervereinigung auch hierzulande langsam wahrzunehmen.

Es waren hellhörige Musiker und Schriftsteller wie Thomas Meinecke, die in den neunziger Jahren auch im Westen den Sänger Manfred Krug zu schätzen begannen und ihn in einen neuen Kontext stellten. „Easy Listening“ hieß das Zauberwort der Stunde. Damals tauchte das Wort vom „Ost-Berliner Marvin Gaye“ auf und plötzlich stiegen hierzulande auch die Preise für seine vier legendären Amiga-Platten aus den frühen siebziger Jahren an: „Das war nur ein Moment“, „Ein Hauch von Frühling“, „Greens“ und „Du bist heute wie neu“. Unter der kongenialen musikalischen Leitung von Günther Fischer pendelte Krug auf diesen Platten mit toller Phrasierung zwischen Schlagern, Chansons, Beat, Pop, Soul und Jazz. Ein unveröffentlichter Track aus diesen Plattensitzungen entwickelte sich Anfang des neuen Jahrtausends sogar zum „Rare Groove“-Klassiker: „Morgen“. Wohl auch wegen des harten Gitarren-Intros. Dem Pantoffelkino-Zuschauer war Krug inzwischen auch als Sänger näher gekommen, weil er als „Tatort“-Kommissar Stoever seine Fälle immer mit einem Liedchen aus dem Ufa-Fundus oder dem „Great American Songbook“ abschloss, begleitet von seinem Kollegen Charles Brauer.

Um 2000 hat ihm dann auch Till Brönner ein musikalisches Kleid geschneidert. „Schlafstörung“ hieß das Produkt. Auf dem Cover prangte Krug als hyperrealische Karikatur, in Genießerpose mit Zigarre und auf seiner Stirn war ein Notenschlüssel eingebrannt. Das Material war sehr erlesen, Songs von Paul Simon, Antonio Carlos Jobim oder Burt Bacharach. Großartig, wie er sich in der deutschen Fassung von „Being Green“ melancholisch in Kermit den „Muppet“-Frosch verwandelt. Die Zeit der eigenen Lieder war allerdings vorbei gewesen. Dabei haben diese zu seiner großen Zeit zu seinem Markenzeichen gehört wie seine Halbglatze. Auch noch auf seiner ersten LP im Westen, mit Gaststars wie Caterina Valente, die ihn auf dem Edu-Lobo-Klassiker „Ade“ virtuos auf der Bossanova-Gitarre begleitet hat. Damals im September 1978 als Manfred Krug zum ersten Mal für die Aufnahmen das Tonstudio Bauer in Ludwigsburg betrat, war er gerade ein gutes Jahr im Westen angekommen. Weil er eine Petition ostdeutscher Kulturschaffender gegen die Ausbürgerung des Sängers Wolf Biermann unterschrieben hatte, war der einstige „Staatskünstler“ in der DDR zur „persona non grata“ geworden und von der Stasi ins Visier genommen worden. Im Juni 1977 war der Mann, der sich immer wie „ein Stück Amerika im Spießerstaat“ gefühlt hat, in West-Berlin mit einem Sattelschlepper angekommen. Und die erste Platte in der BRD wurde auch gleich zum ganz großen Wurf, auch dank der finessenreichen Arrangements von Peter Herbolzheimer und Ingfried Hoffmann und ihren Mitmusikern Ack van Rooyen und Jean Toots Thielemans.

Er war glaubhaft der Mann, der eben mal zum Zigarettenholen geht, um dann die „weite Welt zu sehn“. Und ein sanfter Macho, der lässig das Herz von Frauen zum Erweichen brachte, wenn er sang. „Wenn ich dich seh’, dann werd’ ich wach“.

Manfred Krug war der Mann, der wie kein zweiter vom „Frühling“ und vom „Glück“ singen konnte, auch weil er bei „Glück“ immer wieder zärtlich in die höchsten Höhen seines Stimmumfangs zu gelangen versuchte. Ja, es ging bei Krug immer wieder um das „kleine Glück“ und die „kleine Sehnsucht“, wie Friedrich Hollaender das genannt hat, in all diesen „Schlagern für Fortgeschrittene“ aus dem Osten, die oft die Stimmungen widerspiegelten, die auch in den großen Defa-Filmen aus jener Zeit vorherrschten. Obwohl Manfred Krug schon in seinen frühen Filmen wie „Auf der Sonnenseite“ das eine oder andere Liedchen trällern durfte, lieferte er erst in den frühen siebziger Jahren im Bläsersound von Blood, Sweat & Tears oder im Marvin-Gaye-Sound den zwischen Übermut und Melancholie schillernden Soundtrack seiner Generation. Als Manfred Krug am 21. Oktober im Alter von 79 Jahren in Berlin starb, klang in mir eine Liedzeile von ihm mit: „Das wird ganz schlimm für mich, wenn du mich mal verlierst.“

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