Der Erfolg der Uraufführung beim Glyndebourne Festival 2017 war ungetrübt, Initiator und Dirigent Vladimir Jurowski wurde gefeiert. Dann folgte von Regisseur Neil Armfield und dem Ausstattungsteam um Ralph Myers eine Einstudierung an der Australian Opera, dann eine an New Yorks Met. Jetzt brachten Jurowski, Armfield & Team das Werk und die Inszenierung ins Münchner Nationaltheater.
Zu monochrom, zu lang – Die Münchner Opernfestspiele eröffnen mit Brett Deans „Hamlet“-Vertonung
Wie bei der Deutschen Erstaufführung 2019 in Köln war auch nun bei der Festspielpremiere der Zuspruch des Publikums einhellig positiv – und das nach zweimal eineinviertel Stunden durchgängiger Düsternis. Denn Librettist Matthew Jocelyn und Komponist Dean scheint es gegangen zu sein wie einem deutschen Duo vor Goethes „Faust“, Franzosen vor „Proust“ oder Italienern mit Manzonis „Promessi Sposi“ wahlweise Lampedusas „Leopard“: Stoff und Werk ein bekanntes, Erfolg sicherndes Meisterwerk – und dann der inhaltliche Kniefall vor dem nationalen Kulturheiligtum, sprich: mangelnder Mut zu Kürzungen, Herausarbeiten einer eigenen Sicht. Dieser „Hamlet“ ist in der jetzigen Form zu monochrom und damit für ein heutiges Theaterzeit-Gefühl zu lang.
Dean-Jocelyn drängen die Shakespeare-Handlung in einen durchgängigen Bewusstseinsstrom des von Anfang an schwer gestört wirkenden Hamlet zusammen. Im edlen Hallenraum, samt Bühnenteil-Schwenk zur Theater-Hinterbühne und zurück: Vater-Geist-Auftritte, Ophelia-Liebe-und-Leiden, Königsintrigen, Mutter-Hilflosigkeit, Horatio-Freundschaft, Laertes-Konkurrenz, Schauspieler-Gleichnis, Totengräber-Szene, Gift-Degen-Turbulenz, Ende mit sechs Toten … alles da … und gekonnt in Szene gesetzt.
Der musikalisch erfahrene Brett Dean fährt dafür auf: ein großes Orchester, geschlagene Steine, Windmaschine, Klavier, Geräusche (vom Laptop?), ein die Schauspieler-Szene auf der Bühne begleitendes Akkordeon, einen achtköpfigen „Semi-Chor“ im Orchestergarben, den Bühnen-Chor und den dann verteilt im Theaterrund. Daraus erwachsen fulminante Tutti-Explosionen, viel düster atmosphärisch Waberndes, gesanglich viel rezitativisch gut Verfolgbares und nur selten sprunghaft Exaltiertes, kleine Terzette, Quartette bis hin zu Septett und Oktett – aber kaum hängenbleibende Motive oder eingängige Melodien; sogar die kurze Kuss-Szene zwischen Hamlet und Ophelia begleitet nichts emotional Anrührendes. Nur zu Hamlets Verlöschen erklingt eine melodiöse Cello-Linie. All das leitete Vladimir Jurowski mit sichtbarem Engagement, enormer Sicherheit und viel anfeuernden Podiumssprüngen – prompt lieferten Chor (Einstudierung durch Kölns „Hamlet“-erfahrenen Rustam Samedov) und Orchester Festspiel-Klang-Opulenz.
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