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Peter Ablinger. Foto: Siegrid Ablinger

Peter Ablinger. Foto: Siegrid Ablinger

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Der das Hören hören ließ

Untertitel
Zum Tod des Komponisten, Ohrenmenschen und Durchlüfters Peter Ablinger
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„Ich inszeniere sozusagen die Vertreibung aus dem Paradies der Wahrnehmung, das Hineingestelltwerden in eine Welt sogenannter Realitäten...“ Mit entlarvender Direktheit hebelte Peter Ablinger tief eingewurzelte Grundvorstellungen aus den Angeln. Er lenkte die Wahrnehmung aus der paradiesischen Sondersphäre Musik hinaus auf die Menschen selbst und ihre Umwelt. In seiner Serie „Quadraturen“ kennzeichnete er die prinzipielle Unterscheidung von Musik und klingender Umwelt, indem er eulenspiegelhaft fragte, warum in Wohn- und Wartezimmern zwar häufig Fotografien von städtischem Alltag hängen, aber niemand auf die Idee kommt, eine CD mit Autolärm aufzulegen. Er kombinierte Instrumentalklänge mit Stadtlärm, damit die strikt getrennten Bereiche sich wechselseitig filtern und die Beobachtenden die Gerichtetheit, Selektion und Wertung ihres eigenen Hörens beobachten können.

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Ablinger war Komponist, Jazzpianist, Dichter, Denker, Lehrer, Zeichner, Ohrenmensch und stets darum bemüht, mit dem Missverständnis aufzuräumen, Hören sei ein passiver Sinn. Viele Konzepte verstand er als „Raum der Erkenntis/Vertreibung“. Statt um Komposition, Musik oder sonstige Objekte des Hörens ging es ihm primär um das Subjekt des Hörens, also um den Menschen im Moment des Hörens. Dabei schaute er ein bisschen neidisch auf die Bildende Kunst, weil Maler wie Paul Cézanne schon im 19. Jahrhundert durch Farbgebung und Pinselführung das Malen selbst gemalt hätten, um dadurch das Sehen sehen zu lassen. Da man 99 Prozent der Zeit mit verschiedensten Dingen und Gedanken beschäftigt ist, überhört man meist das Tönen der Welt. Ablinger aber wollte nicht einfach nur sich in der Welt befinden, sondern sich darin auch selbst wiederfinden. Daher kritisierte er auch den Konservatismus vieler neuer Musik und deren Institutionen, die traditionellen Konzertformaten, Besetzungen, Notations- und Spielweisen folgen, statt durch neue Wahrnehmungsweisen auch ein verändertes Selbst- und Weltverständnis zu öffnen.

1959 im oberösterreichischen Schwanenstadt geboren, studierte Ablinger zunächst Grafik in Linz, dann Jazzklavier in Graz, schließlich Komposition bei Roman Haubenstock-Ramati in Wien und Gösta Neuwirth in Berlin, wo er seit 1982 als freischaffender Komponist und Lehrer lebte. Seine seit 1980 entstandenen Konzepte „WEISS / WEISSLICH“ zielen auf minimale Differenzen und umfassen Stücke für verschiedene Medien, Instrumente, Installationen, Objekte und kurze Verbalangaben. Nummer 7b „Rauschen“ listet „jede Form des Rauschens, künstlich oder natürlich: ein Wasserfall, ein Springbrunnen, ein Ventilator, die Zentralheizung…“; Nummer 8 lautet „Schneckengehäuse ans Ohr halten“; Nummer 18 verlangt das Lauschen auf verschieden rauschende Bäume wie Birke, Erle, Esche, Weide, Eiche, Tanne …; Nummer 19 „Hand hinters Ohr halten/wegnehmen“; 16 „Hören mit Kopfhörer“; 25b „Ohrstöpsel“; und so elementar wie möglich Nummer 14 „Sitzen und hören“. Das davon abgeleitete „Listening Piece“ platziert an ausgewählten Orten in Stadt oder Natur einige Stühle, zum Niederlassen und Hören.

Alle namhaften Festivals haben Stücke von Ablinger uraufgeführt: in Donaueschingen, Witten und Huddersfield ebenso wie in Wien, Berlin, Rümlingen und andernorts. Außerhalb des deutschsprachigen Raums wurde er in Großbritannien und den USA stark rezipiert, vor allem durch jüngere Musikschaffende, für die er ein ähnliches Vorbild war wie John Cage einst für ältere Generationen. Der eigenwillige Denker und Publizist veröffentlichte in der Edition MusikTexte seine gesammelten Schriften „Annäherung: Texte · Werktexte · Textwerke“ (2016) sowie in englischer Übersetzung „Now! Writings 1982–2021“ (2022). Internationale Resonanz fand auch seine „Voices and Piano“-Serie aus Sprachaufnahmen bekannter Persönlichkeiten wie Brecht, Feldman, Heidegger, Billie Holiday, Mao Tse-tung oder Hanna Schygulla, die er durch die diskreten Tonhöhen eines Player Pianos gleichsam gerastert in Musik übersetzt hat. Die Differenz von Sprache und Musik provoziert die Unterscheidungs- und Entscheidungsfähigkeit der Wahrnehmung, entweder den Sinn des Gesprochenen zu verstehen oder die Klänge zu hören.

Als Person war Ablinger eine ätherische Erscheinung. Sommers wie winters kleidete er sich in hellbeige weite und schlacksige Hosen und Sakkos. Die leichten Stoffe umflatterten seine hagere, blasse und zuletzt schlohweiße Gestalt ebenso luftig wie die von ihm in vielen Skizzen mit wenigen Strichen gezeichneten menschlichen Konturen. Er war ein sympathischer, aufmerksamer Gesprächspartner, hellwacher und gründlicher Denker. Die neue Musik verliert mit ihm einen ihrer entschiedensten Durchlüfter, Infragesteller und Anwälte. Am 17. April 2025 ist Peter Ablinger in Berlin im Alter von 66 Jahren gestorben.

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