Die australisch-schweizerische Dirigentin Elena Schwarz hat einen vollen Terminkalender. Weltweit dirigiert sie die großen Orchester und hat einen herausragenden Ruf als Interpretin zeitgenössischer Musik. Sie ist 1985 geboren, hat Cello, Musikwissenschaften und Dirigieren in Genf studiert und zahlreiche internationale Preise gewonnen. Sie nennt Peter Eötvös als ihren wichtigsten Lehrer, aber auch Bernhard Haitink und Neeme Järvi. Vergangenes Jahr wurde sie „Conductor in Residence“ beim Klangforum Wien. In Bremen leitete sie nun zum zweiten Mal ein Philharmonisches Konzert. Aus diesem Anlass hat die nmz mit Elena Schwarz gesprochen. Das Gespräch führte Ute Schalz-Laurenze.

Elena Schwarz. Foto: Mathias Bothor
„… immer und immer auf der Suche … “
neue musikzeitung: Frau Schwarz, Ihre Programme fallen durchweg durch eine gut durchdachte Mischung aus alt und neu auf. Im Bremer Programm wandern Sie nun von Joseph Haydn mit der Sinfonie Nr. 83 über Paul Hindemith, Igor Strawinski („Chant du rossignol“) bis zu Bernd Alois Zimmermann („Un petit rien“). Irgendwie hat das alles mit Vögeln zu tun. War das Bratschenkonzert „Der Schwanendreher“ von Paul Hindemith ein Wunsch der Bratschistin Tabea Zimmermann? Wie kam es zu dem Programm?
Elena Schwarz: Das begann vor zwei Jahren in Bremen. Wir spielten ein Konzeptprogramm mit Sibelius, Richard Strauss und der finnischen Komponistin Lotta Wennäkoski. Es war eine tolle Erfahrung mit dem Orchester, ich liebte sofort seine Musikalität. Und der „Schwanendreher“ mit Tabea Zimmermann als Hauptwerk gab dann die Idee: wir machen etwas über Vogelgesang, „musique ornithologique“ sozusagen. Das erlaubt viel Humor, der ja auch schon in Haydns Sinfonie „La Poule“ mit ihrer Oboen-„Gackerei“ zu hören ist. Und der mir übrigens in der Musik auch immer wichtig ist. Der Untertitel von Zimmermanns Stück ist ja: „Leichte, mondhaft und vogelkundliche Musik“ und diese Miniaturen haben auch einen komischen Zauber...
nmz: Sie haben mehrfach von Ihrer Neugier auf ganz Neues, eben nie Gehörtes gesprochen. Das Publikum hat aber anhaltend seine Schwierigkeiten mit der zeitgenössischen Musik. Bei vielen Philharmonischen Orchestern und in den Staatstheatern erklingt oft neue Musik, die nur Altes nachmacht, und man hört dann aus dem Publikum, es sei „gar nicht so schlimm“ gewesen. Was sind denn Ihre Ideen, mehr Publikum für wirklich neue Musik einzunehmen, es davon zu überzeugen, dass das sehr interessant ist?
Schwarz: Das ist eine sehr wichtige Frage. Wir brauchen und suchen neues Publikum. Ich gehe zum Beispiel sehr gerne in Museen. Da will ich auch Neues kennenlernen. Fantastisch in der Kunsthalle in Bremen ist ja der Cage Raum. Für die Kombination mit klassischer Musik ist das immer noch eine offene Frage, aber ich will einfach glauben, dass das möglich ist. Immer was Neues sollte dabei sein, hier Haydn und Zimmermann. Und wenn man zum Beispiel Beethoven und Unsuk Chin spielt, kann man sicher sein, dass der Beethoven anders klingt und auch Chin. Es gibt so viele Möglichkeiten. Man sollte niemals „nie“ sagen, dass das nicht eines Tages klappen kann. Ich arbeite auch sehr gerne mit den Fachensembles, aber ich spiele ebenso gerne Experimentelles mit den großen Sinfonieorchestern. So haben wir voriges Jahr mit den Wiener Symphonikern das Klavierkonzert von Clara Ianotta gemacht: da gab es so viel Offenheit... Ich habe unglaublich Lust, an diesem Punkt weiter zu arbeiten.
nmz: Eine Möglichkeit dafür bietet sich Ihnen beim Klangforum Wien. Dort sind Sie seit letztem Jahr „Conductor in Residence“ und leiten damit ein weltberühmtes Ensemble für neue Musik, das neben seinen interpretatorischen Qualitäten viele unterschiedliche Formate entworfen und weiter entwickelt hat. Wie sieht Ihr „Weiterarbeiten“ hier aus? In welcher Richtung wollen Sie zusammen mit Vimbayi Kaziboni das Profil des Klangforum fokussieren?
Schwarz: Für mich ist zunächst einmal wichtiger: Die Berufung ist eine so große Ehre, ich lerne immer so viel. Ich bin hier Teil dieser spannenden Familie, die nun mein Zuhause ist ... Am schönsten ist es eben bei der Familie. Wir entwickeln einige sehr interessante Programme für die nächsten Saisons.
nmz: Nächstes Jahr haben Sie beim Klangforum zwei Konzerte übernommen: von Johannes Maria Staud mit „Fremdes Begehren“, seine Komposition über Schuberts „Die schöne Müllerin“ und ein Programm mit Werken von Isabel Mundry, Márton Illés und György Kurtág. Wie kam es zu dieser Zusammenstellung?
Schwarz: Staud hat da neben der Schubert’schen Instrumentierung Gedichte von Emily Dickson zugefügt, die die Müllerin selbst sprechen lassen. Dann „Messages of the Late R. V. Troussova“ von György Kurtág. Das Werk habe ich mit Peter Eötvös erarbeiten dürfen. Es ist ein großes und sehr wichtiges Stück: Nächstes Jahr wird Kurtág 100.
nmz: Wie war denn ihre musikalische Erziehung und wie verlief die Entscheidung, Dirigentin zu werden?
Schwarz: In meiner Familie gab es immer Musik. Meine Großeltern waren mit dem Pianisten Benedetti Michelangeli befreundet, da habe ich schon als Kind Orchesterproben in Lugano besuchen dürfen. Ich selbst habe Klavier und Cello gespielt und zunächst Cello und Musikwissenschaften studiert. Mit circa 15 Jahren habe ich in Bezug auf das Dirigieren entschieden: Das muss ich probieren.
nmz: In Ihrer Biographie tauchen namhafte Lehrer auf: unter anderem Bernhard Haitink und Neeme Järvi. Was haben Sie ihnen zu verdanken und wer hat Sie noch maßgeblich beeinflusst?
Schwarz: Am meisten Peter Eötvös mit seiner Leidenschaft, immer und immer auf der Suche zu sein. Ich habe seine Proben besucht und bin sehr dankbar und glücklich über seinen großen Einfluss auf mich. Ich hatte auch die großartige Gelegenheit, unter anderem bei Bernard Haitink und Neeme Järvi zu studieren. Neeme Järvi ist ein fantastisch instinktiver Dirigent und hat viel durch seine Demonstration mit dem Orchester gelehrt, nicht durch Worte. Auch Bernhard Haitink redete nicht viel, aber es gelang ihm, seinen Schülern durch sein Beispiel und, ich wage zu sagen, seine Aura so viel weiterzugeben. Solche starken Musikerpersönlichkeiten haben mich natürlich geprägt.
nmz: Sie haben einmal gesagt, Dirigieren sei Vision, Verbundenheit, Energie. Können Sie diese Begriffe erläutern?
Schwarz: Das ist schwer, denn die Begriffe existieren ja nicht ohne Orchester. Es ist für mich ein faszinierendes Glücksgefühl, in der Mitte des Orchesters vor dem Publikum zu stehen und über diesen Kommunikationsort die Begriffe laufen zu lassen: Vision, Verbundenheit und Energie. Es gibt für mich nichts Schöneres.
nmz: Auch wenn das Thema Frau in der Musik oder Frau und künstlerisches Talent und Charisma eigentlich so normal sein sollte, dass es kein Thema mehr ist, man darüber nicht mehr sprechen muss und ich es eigentlich auch gar nicht will: Sehen Sie da noch Probleme? Was sind Erfahrungen aus Ihrer Entwicklung?
Schwarz: Eine wichtige Frage, sicher. Aber Dirigieren hat nichts mit Geschlecht zu tun. Ich war in Genf die erste diplomierte Frau, oft in Meisterkursen die einzige und ich habe tolle Kolleginnen. Für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen heißt das: Alle, wirklich alle müssen die Möglichkeiten haben, Dirigent oder Dirigentin und Komponistin oder Komponist zu werden. In der klassischen Musik ist das spät angekommen. Wir müssen darauf achten. Ich hatte es insofern leicht, weil meine Eltern, die Ärzte sind, mir immer vermittelt haben: Mach, was du wirklich willst. In der Jury für den Verlag Ricordi, wo entschieden wurde, was gedruckt wird, waren wir halbe-halbe – immerhin.
nmz: Die Frage noch einmal etwas anders gestellt: Zwar werden die Existenzen von Dirigentinnen in Führungspositionen und auch das Repertoire von Komponistinnen immer selbstverständlicher. Das ist aber ja ein Prozess: In welcher Art von Verantwortung fühlen Sie sich da? Suchen Sie gezielt nach Werken von Frauen, wo besonders historisch noch so viel zu tun ist? Versuchen Sie aktiv, junge Frauen zu fördern? Oder reicht das, was ist? Sie haben Kolleginnen, die behaupten, Können setze sich durch, da müsse man nichts machen – schon mal gar nicht über eine Quote. Ihre Meinung dazu?
Schwarz: Wir haben heute das große Glück, dass einige unserer bedeutendsten Komponistinnen und Komponisten, wie Chaja Czernowin oder Rebecca Saunders, Frauen sind. In der Vergangenheit machten Künstlerinnen natürlich andere Erfahrungen, und ich finde, dass es viele Komponistinnen der Vergangenheit gibt, die uns wunderbare Musik hinterlassen haben, die es wiederzuentdecken gilt. Ich habe gerade symphonische Werke von Elsa Barraine mit dem WDR Sinfonieorchester aufgenommen und hoffe, ihre Werke in Zukunft häufig dirigieren zu können.
nmz: Was würden Sie Dirigier-Studentinnen mit auf den Weg geben?
Schwarz: Besondere Frauenratschläge kann ich nicht geben – und will ich auch nicht, weil ich es eben selbstverständlich finde.
nmz: Sie sind jung und erfolgreich, Anfragen für Konzerte erreichen Sie noch und nöcher. Trotzdem möchte ich noch einmal den Begriff Vision hervorholen: Was sind Ihre Wünsche? Welche alten Komponistinnen und Komponisten, welche neuen, welche Experimente? Angeregt zu dieser Frage hat mich eine Bemerkung von Nikolaus Harnoncourt, der meinte: Wir müssen eine historische Musik verstehen, herausfinden, was sie sagen wollte, um heraus zu finden, was wir mit ihr sagen wollen...
Schwarz: Das ist unglaublich wichtig, wie Nikolaus Harnoncourt überhaupt: Er hat die Verantwortung gegenüber unseren Interpretationen komplett verändert. Für mich: Beethoven sollte immer dabei sein, dann Mahler und Strauss und – nicht zu früh! – Franz Schubert.
nmz: Was sind Ihre nächsten Projekte?
Schwarz: Ich freue ich mich darauf, in der nächsten Saison die Premiere von „Theory of Flames“ von Michel van der Aa an der Niederländischen Nationaloper in Amsterdam zu gestalten. Ich freue mich auf die erste Zusammenarbeit mit dem RSO Wien und dem SWR Sinfonieorchester in Donaueschingen und auf die Rückkehr zu verschiedenen Orchestern, darunter das BBC Philharmonic und das Radio Filharmonisch Orkest, mit einigen wunderschönen Programmen. Ein paar Beispiele wären die neunte Sinfonie von Schubert und „Le Silence des Sirènes“ von Unsuk Chin mit dem Hallé Orchestra; Stravinskys „Jeu de Cartes“ and Debussys „Jeux“ mit dem RSO Wien; die erste von Mahler und Debussys „La Mer“ mit dem BBC Philharmonic Orchestra.
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