Torsten Tannenberg (60) ist seit 1997 Geschäftsführer des Sächsischen Musikrats. Jugend musiziert betreut er in Sachsen seit 20 Jahren und hat sich in dieser Zeit große Expertise erworben. Geboren in Leipzig hat Tannenberg Schulmusik an der Hochschule für Musik Weimar studiert. Heute ist er Mitglied des Sächsischen Kultursenats und einer der Sprecher der IG Landeskulturverbände in Sachsen. Darüber hinaus berät er die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen sowie Fördergremien von drei sächsischen Kulturräumen.
„Man muss vorsichtig schrauben“
neue musikzeitung: Wie steht Jugend musiziert in Sachsen und bundesweit da?
Torsten Tannenberg: Wenn Sie jemanden in Sachsen nach dem Sächsischen Musikrat fragen, da werden Sie von vielen fragend angeschaut. Aber wenn Sie sagen, kennen Sie Jugend musiziert? Das kennt man. Auch daher rührt ein bisschen das Unverständnis, das wir als Landesmusikräte darüber haben, dass man gerade jetzt an der Marke „Jugend musiziert“ kratzt. Wir haben 2023 das 60. Jubiläum gefeiert und auch gesehen, was die Urväter sich in den 60er-Jahren ausgedacht haben: Im Westen wollte man Orchesternachwuchs und im Osten wollte man den Tschaikowski-Wettbewerb gewinnen. Aber die Zeiten haben sich geändert. Nach 60 Jahren bedarf die Marke einer gewissen Auffrischung. Ich habe letztens dem Jugend musiziert-Beiratsvorsitzenden Ulrich Rademacher geschrieben: „Wir brauchen keine tausend Pianisten mehr, wir brauchen hundert Musikpädagogen“.
nmz: Der Wettbewerb muss sich ändern?
Tannenberg: Da wird es Änderungen geben, sicherlich. Will man aber so ein System nicht gefährden, dann muss man vorsichtig schrauben. Corona war ein Break: Da merkten wir, wie dieser Just-for-Fun-Bereich, den wir vor allen Dingen auf Regionalebene hatten, richtiggehend abriss. In den Ländern sind wir vor allen Dingen darauf aus, eine breite Basis zu schaffen, Grundmusikalisierung zu machen. Daher sind wir als Länder absolut nicht bereit zu sagen, jetzt müssen wir Jugend musiziert kleiner machen, sondern wir wollen es größer und attraktiver.
nmz: Welche Aufgabe hat denn der Wettbewerb heute?
Tannenberg: Wir als Gesellschaft haben uns darauf verständigt, dass Musik zu unserem Leben gehört. Dass wir als Gesellschaft musikalische Bildung befördern, dass Steuerzahler bereit sind, dafür auch Geld auf den Tisch zu legen, das ist weltweit einmalig in dieser Breite. Die Regionen sind für uns die wichtigste Ebene, weil sie sich bemühen, so viel als möglich Kinder für diesen Wettbewerb zu begeistern. Wir haben zum Beispiel in Sachsen über 60.000 Schüler an Musikschulen und nur ein Bruchteil, nämlich zirka 1.500, nehmen am Wettbewerb Jugend musiziert teil und unterziehen sich damit auch einem gewissen Leistungsdruck. Da werden neben den rein musikalischen auch Sekundärtugenden vermittelt, die ganz wichtig sind.
nmz: Es liegt auf der Hand, dass man Kinder und Eltern so früh wie möglich für die Idee des Wettbewerbs gewinnen will, oder?
Tannenberg: Es wird eine Aufgabe für die Zukunft sein, den Wettbewerb nicht nur als eine Art „Durchreise-Ding“ zu verstehen. Das gelingt uns derzeit noch nicht so richtig, weil die wichtigste Ebene, die Regionalebene, eigentlich die ist, die am wenigsten Geld hat und zum Großteil nur ehrenamtlich organisiert ist.
nmz: Wettbewerbe auszurichten kostet natürlich Geld. Man spricht von finanziellen Problemen aufseiten des Bundeswettbewerbs, der sagt, wir bekommen zu viele gute erste Preisträger*innen zugeschickt. Wie kann man das lösen? Wie handhaben Sie das für die Sachsen und im Verbund mit allen Landesmusikräten zusammen?
Tannenberg: Das Thema hat der Bund aufgerufen, indem er sagt: „Wir haben nicht die Chance, den Wettbewerb in der Größenordnung fortzuführen, wie wir ihn bisher durchgeführt haben.“ Da kursieren auch verschiedene Zahlen. Wir haben aber auch auf der Bundesebene degressive Teilnehmerzahlen. In Halle 2019 hatten wir 2.782 Teilnehmer – das war die Spitze. In Oldenburg 2022, da waren es nur noch 2.300. Also die Zahlen gehen seit Corona schon nach unten.
nmz: Der Bund sagt, wir können nur noch etwa 1.200 Wertungen ausfinanzieren. Mehr geht nicht?
Tannenberg: Auf der einen Seite haben wir Verständnis dafür, wenn der Bund sagt, wir können es uns nicht leisten. Auf der anderen Seite haben es bisher Länder und Bund noch nicht geschafft, sich auf ein System zu einigen, das die Interessen beider Seiten berücksichtigt. Das bisherige Prinzip des Wettbewerbs – ich erbringe eine Leistung, bekomme für diese Leistung eine bestimmte Punktzahl und erspiele mir damit quasi die nächste Wettbewerbsebene – würde mit Begrenzung der Wertungszahlen, die mit einer notwendigen Kontingentierung einherginge, ad absurdum geführt.
Vorerst keine Einigung
Leider haben wir die Zentralkonferenz im September 2023 nicht als Gesprächsforum für die Fragen genutzt.
Im Juni 2024 glaubten wir, nach langen Diskussionen einen Kompromiss gefunden zu haben, indem wir uns auf strengere Weiterleitungsregeln vom Land zum Bund – das heißt Weiterleitungen gibt es erst ab 24 Punkten – geeinigt und die Durchführung jeder Wettbewerbsebene unter Finanzierungsvorbehalt gestellt hatten. Der Bundesebene war das im Nachgang zu unsicher, man sagte uns, wir werden euch Zahlen vorschreiben, wie viele Teilnehmer aus den Bundesländern kommen. Das können die Länder nicht akzeptieren.
nmz: Wie löst man den Konflikt zwischen den Ländern auf der einen Seite und dem Bund auf der anderen Seite, der offensichtlich Finanzierungsprobleme hat?
Tannenberg: Wir kennen den Umfang der Finanzierungsprobleme nicht –, es geistert so eine fünfstellige Summe rum und da sage ich, das sind Peanuts – es geht uns aber auch nichts an. Ich gehe auch gar nicht so hart ins Gericht mit dem Deutschen Musikrat, sondern eher mit den Finanziers des Deutschen Musikrats. Ein Bundesfamilienministerium, das nicht erkennt, dass man mit einem relativ geringen Betrag im Verhältnis zu einem Etat eines Bundesministeriums Konflikte befrieden kann, das verstehe ich nicht. Ich schlage jeden Tag die Zeitung auf und lese, was hier in dem Land nicht mehr funktioniert. Wenn wir jetzt den Leuten erklären, auch Jugend musiziert funktioniere nicht mehr, ist das ein schlimmes politisches Zeichen in die Gesellschaft hinein. Ich erachte das einfach als sehr unclever.
nmz: Was für Lösungsoptionen gibt es denn aus Sicht der Landesmusikräte? Andere Systeme, andere Wertung, andere Finanzierung?
Tannenberg: Wir haben als Sachsen im Jahr 2010 – also vor 14 Jahren – bereits einen Vorschlag gemacht, hinsichtlich der Änderung des Punktesystems: Wir wollten auf Regionalebene, gemäß dem Olympischen Gedanken, nur noch Prädikate vergeben, auf Landesebene ein 15-Punkte-Schulnotensystem einführen und auf Bundesebene tatsächlich nur noch die absolute Spitzenförderung betreiben. An Reformen sind wir jetzt gerade wieder dran. Es gibt eine „Arbeitsgruppe Punktesystem“. Es gibt natürlich auch Vorschläge aus den Ländern, die gehen dahin, dass man sagt, lasst uns noch mal die Kategorien anschauen: Müssen alle Kategorien sein?
Es sind viele Kategorien zuletzt immer auf Betreiben des Bundes hinzugekommen. Also ich kann mich an die Diskussion 2015 über die Baglama erinnern: Das war mehr eine politische Diskussion. Und ob uns die Popszene abnimmt, was wir mit diesen Pop-Kategorien veranstalten, weiß ich auch nicht.
Mögliche Stellschrauben
nmz: Müssen sich die Länder finanziell entsprechend stärker beteiligen?
Tannenberg: Wir legen schon eine Menge Geld auf den Tisch. In allen drei Ebenen fließen die meisten Mittel für den Wettbewerb ja ohnehin von Seiten der Länder. Auch der Bundeswettbewerb wird zu 50 Prozent aus Zuschüssen von Kommunen und Ländern finanziert. Es ist sicher nicht so, dass die Länder sagen, sie tragen da keine Verantwortung. Vor zwei Jahren hatten wir mit Zwickau den Bundeswettbewerb in Sachsen und es war für uns selbstverständlich, die Finanzierung sicherzustellen – sowohl aus kommunalen als auch aus Landesmitteln.
- Das Interview führte Andreas Kolb am 19. August 2024.
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