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Sarah Wedl-Wilson. Foto: Andreas Domma

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Sparen und Status quo erhalten?

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Die Berliner Senatorin für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt Sarah Wedl-Wilson im Gespräch
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Im Mai 2025 wurde Sarah Wedl-Wilson zur Berliner Senatorin für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt ernannt. 1969 nördlich von London geboren, lernte sie Violine, Klavier und Orgel, spielte im Streichquartett und als Konzertmeisterin in Jugend- und Laienorchestern. In Cambridge studierte sie Romanistik und Germanistik. Ein Auslandsstudienjahr verbrachte sie als Englischlehrerin an einem Gymnasium in Siegen. Ab 1991 arbeitete sie als Kulturmanagerin bei der Camerata Salzburg, als Leiterin des Betriebsbüros der Kölner Philharmonie, als künstlerische Leiterin von Schloss Elmau und als Geschäftsführerin der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik. 2014 wurde Wedl-Wilson Vizerektorin für Außenbeziehungen an der Universität Mozarteum Salzburg und 2019 Rektorin der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin. 2023 holte sie Senator Joe Chialo als Staatssekretärin für Kultur in die Berliner Senatsverwaltung. Das Gespräch führten Rainer Nonnenmann und Gerrit Wedel (VdO).

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neue musikzeitung: Sehen Sie in gesellschaftlichem Zusammenhalt eher eine Aufgabe von Kunst und Kultur oder eine Wirkung?

Sarah Wedl-Wilson: In dieser Senatsverwaltung sind beide „Geschäftsbereiche“ untergebracht. Dazu gehören auch bürgerschaftliches Engagement und die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Wir kümmern uns gegenwärtig sehr intensiv um den Schutz jüdischen Lebens in Berlin. Mitte Juni habe ich vor dreihundert Pfarrer:innen aus Berlin und Brandenburg gesprochen. Und demnächst haben wir die Muslimische Kulturwoche. Beide Bereiche stehen erst einmal für sich. Aber es gibt auch Übergänge zur Kultur. Natürlich ist es eine Aufgabe der Kultur, in die Gesellschaft hineinzuwirken und die Menschen dort abzuholen, wo sie sind. Das ist auch räumlich gemeint, weil die Berliner Bezirke so riesig sind und es mir ganz wichtig ist, dass wir in allen Ecken der Stadt Kultur anbieten. Deswegen unterstützen wir auch die bezirkliche Kultur. Es geht um Kultur in ihrer ganzen Breite, von der Hochkultur der exponierten Bühnen und der Berliner Philharmoniker bis zur Popkultur.

nmz: Gegen die Kulturkürzungen Ihres Amtsvorgängers Joe Chialo bildete sich die Protestbewegung „Berlin ist Kultur“. Sie möchten die kulturelle Infrastruktur erhalten und zugleich muss weiter gespart werden. Wie geht das zusammen?

Wedl-Wilson: Um einen Haushalt aufzustellen, der die bestehenden Strukturen schützt und stärkt, braucht es echtes Handwerk. Wir haben am 22. Juli im Senat einen „Haushaltsentwurf“ beschlossen, das ist – ich muss das betonen – ein „Entwurf“. Dieser geht jetzt in den parlamentarischen Prozess. Das gilt auch für unser Kapitel, das von der gesamten Senatsverwaltung im Rahmen des von Kai Wegner angeregten Kulturdialogs in engstem Austausch mit den Kulturschaffenden entstanden ist. Dafür braucht es viel Verständnis und Kommunikation mit den Kulturschaffenden, damit diese ihre Situation und Probleme schildern können. Deswegen war es mir wichtig, bei meinem ersten Termin nach der Vereidigung im Parlament hier in meinem Büro bei einer Online-Konferenz mit „Berlin ist Kultur“ zu sagen: Hallo Leute, ich bin hier! Was habt ihr für Fragen?

nmz: Jetzt liegen große Hoffnungen auf Ihnen.

Wedl-Wilson: Ich war 25 Jahre Kulturmanagerin und habe acht Jahre lang Hochschulen geleitet. Das Salzburger Mozarteum ist ein riesiges Schiff mit zweieinhalbtausend Menschen. Das war der größte Betrieb, den ich bisher geleitet habe und für mich ein ganz wichtiger Teil meiner eigenen Entwicklung und politischen Schulung, weil ich gelernt habe, wie man eine derartig große Gruppe an Personen erreicht, wertschätzend mit ihnen umgeht, mit ihnen Dinge bespricht, verhandelt, Fraktionen zusammenführt, Mehrheiten schafft, Veränderungen fortsetzt und auch schwierige Botschaften kommunizieren kann, wenn man das auf Augenhöhe macht.

nmz: Bestimmte politische Fraktionen und Wirtschaftsliberale stellen die staatliche und kommunale Kulturförderung infrage. Wie stehen Sie in diesem Bereich zur Forderung „weniger Staat, mehr Wirtschaft“?

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Sarah Wedl-Wilson. Foto: Andreas Domma

Sarah Wedl-Wilson. Foto: Andreas Domma

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Wedl-Wilson: In Deutschland gilt das Grundgesetz und wir verabreden bei Wahlen, wie wir zusammenleben wollen und was wir als Gesellschaft brauchen, ob das Kitaplätze sind oder Straßen, Brückenreparaturen oder funktionierender ÖPNV. Eine dieser Verabredungen ist die Kultur als Teil der deutschen Identität und Kulturlandschaft. Der Staat hat die Aufgabe, dafür mit Steuergeldern eine Basis zu schaffen. Wie weit diese Basis geht, ist eine Sache der jeweiligen wirtschaftlichen Situation und auch mit den verschiedenen Institutionen zu verabreden. Mir ist wichtig, dass die Leitungen der Kulturinstitutionen auch unternehmerisches Denken in ihrem Handeln haben und auf Effizienz achten, weil der Staat nicht alles finanzieren kann, auch wenn er früher mehr finanziert hat. Deswegen gibt es in Berlin schon seit vielen Jahren Kooperationen mit internationalen Unternehmen. Aber es bleibt essentielle Aufgabe des Staats, die Basis bereitzustellen, damit die Theater ihre Türen für das Publikum öffnen können. Darunter verstehe ich Personal-, Miet-, Heiz- und Betriebskos­ten, auch den Ausgleich erhöhter Tarifabschlüsse, weil kein Sponsor auf der Welt das übernimmt. 2025 wurde die Tariferhöhung bestenfalls zu 93 Prozent gedeckt, das Auffüllen hat die Institutionen viele tausende Euro und Abzüge von ihren künstlerischen Etats gekostet. Jetzt konnte ich im Entwurf zum Doppelhaushalt durchsetzen, dass wieder 100 Prozent der Tarifsteigerungen vom Land Berlin getragen werden.

nmz: In welchem Verhältnis sehen Sie die Finanzierung der Berliner Kulturinstitutionen und der freien Szene von Musik, Theater, Tanz?

Wedl-Wilson: Wir haben in unserem Budgetentwurf die komplette Übernahme der Tariferhöhung an den Institutionen und wir haben die Honorar­untergrenzen für die freie Szene. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, denn wir wollen die Gleichbehandlung der Szene und werden dafür einige Millionen zur Verfügung stellen.

nmz: Die Selbstverpflichtung zur Zahlung von Mindesthonoraren hat den Effekt, dass diejenigen Projekte, die gefördert werden, fortan zwar auskömmlich finanziert sind, insgesamt aber weniger Ensembles und Initiativen gefördert werden können, wenn nicht mehr Geld zur Verfügung steht.

Wedl-Wilson: Im letzten Haushalt wurden die Mittel beschnitten. In unserem jetzigen Haushaltsentwurf halten wir den Etat für die freie Szene auf dem bisherigen Niveau. Ich habe aber nicht das Geld, diese Mittel aufzustocken. Man sagt, die Künstler werden deswegen aus Berlin wegziehen. Doch im Gegenteil haben wir eine wachsende Szene. Ein Artikel in der englischen Wochenzeitung „The Guardian Observer“ vom 3. November 2024 handelte vom Club-Sterben in Amsterdam und davon, dass junge Kunstschaffende nach dem Studium die Stadt verlassen. Und da steht: „Artists move out to Berlin“. Berlin ist nach wie vor ein Sehnsuchtsort für die Künstler. Das ist toll. Aber mit dieser wachsenden Landschaft wachsen auch die Erwartungen bei einem gleichzeitig schrumpfenden Budget. Unser Entwurf sieht für die Institutionen eine Einsparquote von drei Prozent vor, was die meisten auch schaffen. Damit erhalten wir den Status quo, können jedoch nicht weiter ausbauen und mehr Geld in die freie Szene geben. Das tut weh. Aber wir stabilisieren die momentane Situation, und ich hoffe auf bessere Zeiten mit wieder wachsenden Budgets.

nmz: Wie offen, durchlässig und ko­operationsbereit sind die Berliner Kulturinstitutionen gegenüber der freien Szene und der zunehmend divers und migrantisch geprägten Gesellschaft?

Wedl-Wilson: Wir haben Zielvereinbarungen mit unseren Intendant:innen über quantitative und wirtschaftliche Ziele. Unter den künstlerischen Zielen sind auch Vorgaben für soundso viele Produktionen mit Ensembles der freien Szene, was die meisten Häuser sowieso machen, vor allem das HAU. Unter meiner Amtsleitung haben wir auch einen Qualitätsdialog mit den Leitungen unserer Häuser eingeführt, mit denen ich immer darüber im Gespräch bin, was deren gesellschaftliche Verantwortung ist. Denn wir finanzieren alles mit Steuergeldern, die auch wieder bei den Menschen ankommen müssen, die sie durch ihre Arbeit erwirtschaften.

nmz: Wie stehen Sie zur Verankerung von Kultur als Staatsziel?

Wedl-Wilson: Kultur ist essentiell wichtig. Ich stelle aber die Frage, ob uns im letzten Jahr ein Kulturfördergesetz geholfen hätte, die radikalen Kürzungen abzuwenden. Die Initiative ist dennoch wichtig und wir fördern auch diesen Entstehungsprozess. Was es sicher nicht geben wird, ist ein Kulturfördergesetz, das mit konkreten Zahlen hinterlegt ist, weil die Gelder, die dem Staatshaushalt zur Verfügung stehen, schwanken. Und weil sie momentan sehr stark schwanken, arbeite ich an einer Kultur-Agenda 2035. Das ist ein Resultat aus dem Kulturdialog, den der Regierende Bürgermeister im Dezember 2024 im Parlament vorgeschlagen hat. Dieser Dialog mit unseren Institutionen und der freien Szene hat großes Verständnis füreinander geweckt und wird weiter fortgesetzt. Ich schätze es sehr, dass der Regierende Bürgermeister dafür so viel Zeit und der Kultur in seinem Amtsverständnis einen so wichtigen Platz zugemessen hat. Zentral sind drei Fragen: Wie schaffen wir kurzfris­tig den Haushalt? Wie können wir uns mittelfristig besser und effizienter aufstellen? Und schließlich: was für eine Kulturlandschaft wollen wir in Berlin? Und diese langfristige Perspektive kann nur parteiübergreifend entwickelt werden, weil sich durch Wahlen die Konstellationen und Personen verändern.

nmz: In Artikel 5 des Grundgesetzes heißt es: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Zugleich erhebt die Politik Ansprüche: Kunst soll alle in der Gesellschaft erreichen, Zusammenhalt stiften, für Gen­dergerechtigkeit sorgen, die Demokratie stärken, divers, inklusiv, nachhaltig sein. Wie balancieren Sie das aus?

Wedl-Wilson: Letztlich geht es um gesellschaftliche Verantwortung. Jeder in einer Gesellschaft muss sich mit seinen Bedarfen wiederfinden. Wir haben einen Kunstanspruch und eine wirtschaftliche Verantwortung. Die Wirtschaftsleistung der Berliner Kultur beträgt ein Vielfaches dessen, was sie kos­tet. Und die Berliner Kultur hat eine weltweite Ausstrahlung, weshalb über die Kulturkürzungen in Berlin auch weltweit geschrieben wurde. Die wenigsten haben aber geschrieben, dass wir in Berlin ein unfassbar hohes Budget für Kultur hatten, das jetzt gekürzt ist, aber immer noch sehr viel höher ist als in anderen Städten. Allein wenn ich das mit dem vergleiche, was in meinem Geburtsland Großbritannien für Kultur zur Verfügung steht. Berlin hat eine Kultur- und Wissenschaftslandschaft, um die wir weltweit beneidet werden. Die muss erhalten und gefördert werden. 

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