Zum 1. Oktober 2023 hat Prof. Christian Fischer den Vorsitz der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen (RKM) übernommen. Mit dem Rektor der Hochschule für Musik Trossingen hat Juan Martin Koch über anstehende Themen gesprochen.
Wirksamkeit erhöhen, Transformationsprozesse begleiten
neue musikzeitung: Sie kommen von der Chorleitung her, haben die Tübinger Kirchenmusikhochschule geleitet und waren auch als Kulturmanager aktiv. Inwiefern prägt diese Vorerfahrung jetzt Ihren Blick auf die Musikhochschullandschaft als ganze?
Christian Fischer: Als Chorleiter wie als Festivalmacher habe ich mich stets als Teamplayer begriffen. Und so handhabe ich das auch im RKM-Vorstand: Wir haben da die Aufgaben sehr gleichberechtigt verteilt. Vor Tübingen war ich 17 Jahre an der HMT Leipzig als Dozent tätig, ich weiß also auch, wie eine größere Hochschule funktioniert. Durch meine langjährige Arbeit mit Hochschulchören und in diversen Gremien war ich immer mit vielen Bereichen meiner Hochschulen vernetzt. Künstlerisch habe ich selbst gerne über den Tellerrand geschaut und auch an der Kirchenmusikhochschule oder bei meinen Festivalaktivitäten die Bereiche Improvisation, Jazz/Pop oder neue Konzertformate gepflegt. Daher blicke ich grundsätzlich interdisziplinär denkend auf unsere Hochschul-Community.
Nachwuchsmangel Pädagogik
nmz: Eine der zentralen Herausforderungen ist aktuell der Nachwuchsmangel im pädagogischen Bereich. Was sind Ihrer Einschätzung nach die Gründe dafür und wie wollen die Hochschulen gegensteuern?
Fischer: Das ist eines unserer wichtigsten Themen momentan, mit dem sich auch eine neue RKM-AG beschäftigt, in engem Austausch mit den musikpädagogischen Verbänden BMU und VdM. Tatsächlich sind es seit Jahren zu wenige Studierende, die sich für pädagogische Studiengänge oder -Profile begeistern lassen. Unter anderem liegt dies schlicht an der viel zu geringen Bezahlung der Musikschullehrkräfte – die ja oft sechs Jahre künstlerisch-pädagogisches Studium hinter sich haben, soviel wie auch die Lehramtsstudierenden. Das ist ein dickes Brett, hier ist ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel in der Politik vonnöten, auf den wir zusammen mit den Verbänden und anderen politischen Playern bei den kommunalen Trägern hinwirken müssen. Unsere Aufgabe an den Hochschulen ist es, den jungen Menschen, die meist mit rein künstlerischen Zukunftsvisionen zu uns kommen, relativ früh ein vielfältigeres Berufsbild zu vermitteln, zu dem die pädagogische Arbeit ganz selbstverständlich dazu gehört: Kaum ein Musiker oder eine Musikerin, der oder die nicht unterrichtet! Das müssen wir konsequenter vermitteln und auch in unseren Studiengängen wieder fester, meiner persönlichen Überzeugung nach verpflichtend, implementieren. Pädagogische Exzellenz ist das, was wir an den Musikhochschulen entwickeln und fördern. Und natürlich muss die Frühförderung an allen Hochschulen weiter ausgebaut und mit den Musikschulen vor Ort enger vernetzt werden. Aber es ist eben auch ein Mindset, das sich verändern muss, sowohl bei Studierenden als auch bei manchen künstlerischen Professor*innen.
nmz: Wie steht es um die Durchlässigkeit zwischen den künstlerischen und den pädagogischen Studiengängen?
Fischer: Die ist durchaus gegeben: Die meisten Hochschulen ermöglichen inzwischen das sogenannte „H-Modell“, in dem man zwar mit einem künstlerischen oder einem pädagogischen Profil einsteigt, aber nach der Zwischenprüfung ins andere Profil wechseln kann. Anderswo kann man sich nach einem Jahr entsprechend entscheiden. Es gibt also eine große Vielfalt von Studiengangsstrukturen, und es ist möglich, sich mehrgleisig aufzustellen. Es muss dann aber auch tatsächlich gelebt und dahingehend beraten werden.
nmz: Sie haben die Verbände angesprochen. Gibt es schon konkrete Pläne, sich zusammenzusetzen und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten?
Fischer: In der Tat sind wir bereits in verschiedenen Gesprächen, auch mit dem VdM und dem BMU. Aktuell haben zudem engagierte Musikpädagog*innen aus den Musikhochschulen und den musikpädagogisch ausbildenden Unis im Herbst eine explorative Bottom-up-Studie aufgesetzt mit der Fragestellung, warum Schüler*innen und Studierende sich für ein bestimmtes Studium oder für die Wahl des Musiklehrberufs entscheiden oder warum gerade nicht. In einzelnen Bundesländern sind bereits Maßnahmen angelaufen: Hier in Baden-Württemberg ist zum Beispiel der Landesmusikrat sehr schnell aktiv geworden und hat Zusatzmittel von den Landtagsfraktionen an die Musikhochschulen weitergereicht, sodass wir konkrete Werbemaßnahmen an den Schulen, Musikschulen und bei den Musikvereinen durchführen können. Wichtig finde ich, dass wir als RKM mit den Verbänden darauf hinwirken, dass kulturelle und musische Bildung in der Bildungspolitik nicht gegen die MINT-Fächer ausgespielt wird. Wir müssen klar machen, dass sie unerlässlich ist, wenn wir in einigen Jahren noch eine einigermaßen funktionable und empathiefähige Gesellschaft haben möchten.
Dauerbaustelle Lehrauftrag
nmz: Eine Dauerbaustelle ist die Situation der Lehrbeauftragten. Anfang 2023 gab es dazu das erste Mal ein gemeinsames Positionspapier der RKM. Tut sich hier jetzt auch konkret etwas?
Fischer: Aus meiner Sicht müssen wir gemeinsam, die Hochschulen und die Vertretungen der Lehrbeauftragten, trotz schwieriger Haushaltslagen auf die Ministerien hinwirken, dass die Hochschulen hierfür besser ausgestattet werden. Dies haben wir auch der Musikergewerkschaft unisono und der Bundeskonferenz der Lehrbeauftragten bei unserem letzten Gespräch im Herbst erläutert. In Baden-Württemberg etwa müssen die Musikhochschulen ihre Lehraufträge bis Ende 2025 auf 25 Prozent Anteil an der Lehre herunterfahren. Wir haben zwar dafür etwas mehr Mittel bekommen und vielerorts die Sätze erhöhen können, aber das reicht nicht wirklich aus. Andere Musikhochschulen haben noch deutlich höhere Lehrbeauftragten-Quoten und viel zu wenige hauptamtliche Stellen, vor allem für die Nebenfächer mit planbaren Dauerbedarfen, wie in Gesang, Klavier, Musiktheorie oder Korrepetition. Der Wille bei den Musikhochschulen ist eindeutig vorhanden; die Finanzausstattung in den verschiedenen Bundesländern – bis auf wenige Ausnahmen – ist in diesem Punkt allerdings noch sehr dürftig.
nmz: In der Pressemeldung zu Ihrem Amtsantritt wurden Sie dahingehend zitiert, dass Sie das Thema Drittmittel stärker für die Musikhochschulen in den Blick bringen möchten. Was schwebt Ihnen da vor?
Fischer: Hier werden wir bereits aktiv, zusammen mit der Konferenz der deutschen Kunsthochschulen. Es ist ja so, dass die Musik- und Kunsthochschulen gegenüber den anderen Hochschulen und Universitäten stark benachteiligt sind, weil die Drittmittel-Programme der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Wissenschafts- und Bildungsministerien immer auf Sonderforschungsbereiche zielen, die an Musikhochschulen quasi nicht vertreten sind. Was es braucht, sind also Programmlinien, die für Musik- und Kunsthochschulen passen, auch im Hinblick auf den Zweig, der uns – aufgrund der bisher meist fehlenden hochschulrechtlichen Voraussetzungen viel zu langsam – hinzuwächst: die künstlerisch-wissenschaftliche Forschung.
Thema Machtmissbrauch
nmz: Ein drängendes Thema in den letzten Jahren war die Frage, wie die Musikhochschulen mit dem Thema sexuelle Übergriffe und Diskriminierung allgemein umgehen. Es ist dann einiges angestoßen und schließlich eine so genannte Toolbox entwickelt worden, aus der die Hochschulen sich sozusagen bedienen können, je nachdem, was sie noch brauchen. Wie ist da der Stand?
Fischer: Alle Hochschulen haben da in den letzten Jahren viel investiert und Elemente aus der RKM-Toolbox in ihre Strukturen implementiert. Die entsprechenden Angebote sind jetzt regelmäßig und das Meldewesen vielfach besser aufgestellt. In der RKM haben wir die Arbeitsgruppe Antidiskriminierung wieder aktiviert, um die Empfehlungen zu dieser Thematik weiterzuentwickeln und ein Positionspapier zu erarbeiten. Hilfreich sind dabei die Impulse durch die Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten, die sehr klare Handlungsempfehlungen herausgegeben hat, sowie in jüngster Zeit das gut formulierte Forderungspapier einer studentischen Initiative aus den deutschsprachigen Musikhochschulen. Das Thema Machtmissbrauch hat mit der Besonderheit der Lehrsituation an Musikhochschulen zu tun. Und vielen Studierenden, gerade wenn sie aus einem anderen Kulturkureis kommen, fällt es immer noch schwer, gegen eine Autorität, einen Professor oder eine Professorin, die Stimme zu erheben und diese auf Grenzverletzungen hinzuweisen. Erfreulich ist aber, dass es mittlerweile viele Kolleg*innen gibt, die das „Blackbox-System“ Einzelunterricht hinterfragen und vermehrt mit Teamteaching oder gegenseitiger Supervision arbeiten. Aber es gibt wohl immer noch manche Lehrende, die an überkommenen Mustern der „Meisterlehre“ festhalten, wie übertriebenem Leistungsdruck und latenten Abhängigkeitsverhältnissen…
nmz: Welche weiteren Themen haben Sie sich auf die Agenda für Ihre Amtszeit gesetzt?
Fischer: Vor allem möchte ich die Wirksamkeit der RKM und die Wahrnehmung unserer spezifischen Themen in Politik und Gesellschaft erhöhen. Eine schöne Aufgabe ist es, unsere Hochschulwettbewerbe weiter zu entwickeln, bei denen es ja erfreuliche Dinge zu vermelden gibt. So ist D-bü, unser jüngster Wettbewerb für neue Konzertformate – den Frau Rode-Breymann, meine wunderbare Vorgängerin als RKM-Vorsitzende, maßgeblich initiiert hat – inzwischen durch einen Beschluss der Kultusministerkonferenz in den Kreis der dauerhaft vom BMBF geförderten Wettbewerbe aufgenommen. Seine Finanzierung ist somit gesichert und er kann alle zwei Jahre stattfinden, in diesem Mai an der HfM Nürnberg. Wir haben dabei die strukturelle Verankerung so verändert, dass alle Hochschulen sich daran beteiligen und Projekte entsenden. Auch der Hochschulwettbewerb Musikpädagogik wird immer besser angenommen. Hier macht sich aktuell ein Lenkungsausschuss Gedanken über seine Weiterentwicklung und seine engere Anbindung an die RKM-Geschäftsstelle.
Eine der wichtigsten Aufgaben wird es sein, die Musikhochschulen bei den aktuellen Transformationsprozessen zu begleiten. Dabei geht es nicht nur um die durch die Pandemie bereits verstärkt initiierte Digitalisierung von Lehre und Verwaltung, sondern aus meiner Sicht vor allem um die Themen kulturelle Vielfalt, Diversität und Inklusion und damit um die gesellschaftliche Anschlussfähigkeit. Die per se – aufgrund der Hürde der Aufnahmeprüfungen – eher „exklusiven“ Musikhochschulen müssen sich fragen, wie sie inklusiver (in einem weit verstandenen Sinne) und diverser werden können; wie sie ihre Studierenden auf den sich stark verändernden Musik- und Kulturmarkt vorbereiten können; wie sie ihnen helfen können, nicht einfach nur „gute Musiker*innen“ zu werden, sondern wie sie diskursfähig und als Künstler*innen, Musikvermittler*innen oder Musikpädagog*innen zu wichtigen Gestalter*innen unser Gesellschaft werden können.
Wenn wir Politik und Gesellschaft auch in Krisenzeiten von unserer Relevanz überzeugen wollen, müssen wir uns in Manchem deutlich umorientieren, unsere Aufnahmeprüfungen und Studiengangsangebote überdenken und nicht nur die Spitzenförderung, sondern auch die Breitenförderung und damit letztlich Teilhabe an kultureller Bildung, stärker auf unsere Agenda setzen.
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