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Will sich neuen Herausforderungen stellen: Lydia Grün. Foto: Raumfotografin Barbara Meyer-Selinger

Will sich neuen Herausforderungen stellen: Lydia Grün. Foto: Raumfotografin Barbara Meyer-Selinger

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Musik braucht starke Stimmen

Untertitel
Ein Beitrag von Lydia Grün zur Präsidiumswahl des Deutschen Musikrats
Vorspann / Teaser

Im Rahmen der Mitgliederversammlung am 25. Oktober 2025 wählt der Deutsche Musikrat sein Präsidium für die kommenden vier Jahre. Zur Wahl stehen die/der Präsident:in, drei Vizepräsident:innen sowie 14 weitere Mitglieder; zudem entsendet die Konferenz der Landesmusikräte eine Person in das DMR-Präsidium. Als Präsidentschaftskandidatin hat sich Prof. Lydia Grün, Präsidentin der Hochschule für Musik und Theater München, zur Wahl gestellt. Weiter gab es bis Redaktionsschluss drei Vizepräsident:innen-Nominierungen, hier mit nominierenden Verbänden genannt: Prof. Dr. Ulrike Liedtke (Landesmusikrat Brandenburg), Olaf „Gemse“ Kretschmar (BV Pop), Prof. Dr. Jürgen Oberschmidt (BMU). Lesen Sie im Folgenden einen Beitrag der Kandidatin Lydia Grün.

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„O wie wohl ist mir am Abend“, heißt es in einem Kanon, „wenn zur Ruh die Glocken läuten.“ Zu Hause haben wir diesen Kanon oft nach dem Abendessen gesungen. Der Tag ist vorbei, Aufregung und Trubel verklingen, das ein oder andere emotionale Wort ist vergessen, Ruhe kehrt ein, um neuen Schwung für den nächsten Morgen zu finden. In der Musik begegnet man sich, ohne Worte, nur mit den eigenen Stimmen. Diese Momente wünsche ich mir an vielen Stellen unseres aufgeregten Alltags. Es liegt eine gemeinsame Kraft der Verständigung und des guten Miteinanders in ihnen.

Klarer Kompass

In Zeiten voller Umbrüche und Verunsicherungen, sind Orientierung und Stabilität ein hohes und auch verletzliches Gut. Das gilt auch für Kunst und Kultur. Es braucht einen klaren Kompass durch ein reflektiertes Selbst-Bewusstsein für das, was wir tun (wollen), damit künstlerische Wege oder die des pädagogischen Wirkens, sich entwickeln können. Die Bereitschaft und Möglichkeit gedanklicher Flexibilität und wachen inhaltlichen Weitblicks sind die Voraussetzung dafür. Denn unser gemeinsames Ziel ist musikalische Praxis – ob als Profi oder Laie – in gesellschaftlicher Verantwortung.

Ich bin neugierig auf alle Musik/en, die in Deutschland erklingen – ob in Nord oder Süd, Ost oder West, ob bei alt oder jung, in der Stadt oder auf dem Land… In dieser Vielfalt liegt unsere Stärke. Sie repräsentiert sich in den Musik machenden, hörenden und schaffenden Menschen in den über 100 Mitgliedsverbänden des Deutschen Musikrats – und auch darüber hinaus. Es gilt, die Stärke dieser Vielfalt deutlich zu machen, in allen Facetten, die Musikkultur in Deutschland in sich trägt.

Dabei ist klar: „Musik machen“ ist keine naive Angelegenheit. Musikalische Praxis und Bildung finden immer im Kontext statt. Und das ist eine gute Nachricht! Hier liegt unsere Chance, die Bedeutung von Musik für das gesellschaftliche Miteinander hervorzuheben. Es ist unsere Möglichkeit, musikalische Bildung und künstlerische Praxis als ein konstituierendes Element unseres demokratischen und freiheitlichen Fundaments zu proklamieren. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Dafür gilt es gemeinsam zu arbeiten:

Wir müssen den Kontext, in dem künstlerische Praxis und musikalische Bildung stattfindet, sehr gut, präzise und auch kritisch hinterfragend kennen, um ihn mitzugestalten. Aus meiner Sicht braucht es dafür einen Gleichklang von künstlerischer Praxis, Bildung und Forschung. Nur so gelingt es, nicht zu reagieren, sondern zu agieren. Zum Beispiel auf Fragen, welche neuen Bedingungen sich im Alltag in der Schule oder in der Musikschule für Musiklehrkräfte stellen, in der Begegnung mit Kindern und Jugendlichen aus den unterschiedlichsten Familien, die in einer Welt voller Zeitenwenden und einer gesellschaftlichen Kommunikation aufwachsen, die sich fundamental von dem Umfeld unterscheidet, in dem die meisten von uns, die diesen Text hier lesen, groß geworden sind. Oder auf Fragen, die sich im ehrenamtlichen Engagement vor Ort stellen, im Umgang mit veränderten Zeitbudgets oder sozialer Isolation durch fehlende Mobilität. Oder auf Fragen, die den professionellen Musikbetrieb fordern, durch Umwälzungen durch künstliche Intelligenz, neue Wege musikalischer Kreation oder veränderter Erwartungen beim Konzertbesuch.

Als unsere gemeinsame Aufgabe begreife ich es, diese gesellschaftlichen Realitäten zu erkennen, zu beobachten, zu erforschen und vor allem zu gestalten.

Der Reichtum der Musikkultur in Deutschland liegt in ihrer flächendeckenden Infrastruktur, die durch die öffentliche Hand gefördert wird – in Kommune, Land und Bund. Doch Prioritäten verschieben sich, vor allem mit Blick auf globale tektonische Auseinandersetzungen. Deshalb ist es wichtig, prägnant und hörbar auf die auch soziale Kraft von Musik hinzuweisen. Gerade in der Laienmusik ist diese Wirkung spürbar – und oft Kern des Wirkens von Übungsleitern oder Chordirigentinnen, Bandleadern in der Jugendarbeit oder im generationenübergreifenden Arbeiten. Musizierende Menschen sind diejenigen in einem Ort, einer Stadt oder einer Region, die die Menschen um sie herum auf einer emotionalen Ebene über ästhetische Erfahrungen verbinden können. Hier entsteht ein Raum der Begegnung, des inneren Dialogs, oder ganz einfach formuliert von Miteinander. Das ist für unser Zusammenleben in Städten, kleineren Orten oder auf dem Land existentiell.

Breite Allianzen

Dafür braucht es breite Allianzen, über Fach- und Genregrenzen hinweg, und starke, agile Netzwerke, um das Anliegen einer konstituierenden musikalischen Praxis und Bildung schlagkräftig, mit einer wahrnehmbaren – und das bedeutet starken – Stimme in die gesellschaftliche Debatte einzubringen. Das ist die erste Aufgabe eines der größten Dachverbände in Deutschland. In einer Zeit des gesellschaftlichen und technologischen Wandels sowie begrenzter Ressourcen muss der Anspruch der einer aktiven, selbstbewussten und gestaltenden Kraft sein. Basis ist für mich dabei die musikalische Bildung – diversitäts- und teilhabeorientiert, generationenübergreifend und klar in Fragen von Nähe und Distanz. Der Deutsche Musikrat vereint unterschiedlichste Facetten, Farben, Bedürfnisse und formt diese zu einer gemeinsamen Stimme.

Das ist in Zeiten, in denen Konsens und Debatte unter Druck stehen, eine besondere Qualität. Unsere Demokratie lebt von unser aller Beteiligung. Demokratie braucht die Debatte unterschiedlicher Stimmen. Die Stimme der Musik gehört unabdingbar dazu. Gerade in Zeiten umfassender weltpolitischer Umwälzungen gilt es, einen deutlichen Kontrapunkt zu setzen, indem wir für Vielfalt, gegenseitige Wertschätzung und ein friedliches Miteinander einstehen. Für den Deutschen Musikrat und seine Mitglieder ist ein wertebasiertes Miteinander nicht nur Selbstverständnis und Verantwortung, sondern auch explizites Ziel von Musik machen, Musik erleben und Musik hören. Diese Herausforderungen gemeinsam kraftvoll anzugehen, dabei möchte ich mithelfen. 

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