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Ein Anker, der keiner sein wollte: Jazz-Bassist Ron Carter wird 80

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New York - In gedämpften, abgedunkelten Kneipen tauchen Bassisten schon mal im Hintergrund ab. Doch in die zweite Reihe gehörte Ron Carter nie. Der Afroamerikaner, der erst für klassische Musik und das Cellospiel brannte, zupfte sich bald zum Jazz-Meister der vier dicken Saiten. Am 4. Mai wird Carter 80 Jahre alt.

Tiefschwarz, voll und doch federleicht wandern die Bassklänge über die Tonleiter. Während die E-Gitarre mit verträumten Akkorden fast abzudriften scheint und der Pianist an der Klaviatur wilde Improvisationen in den Raum schickt, strahlt der Kontrabass Gelassenheit aus, selbst bei schnelleren Läufen. Bei Ron Carter, berühmt vor allem als Bassist im zweiten Quintett von Star-Trompeter Miles Davis, scheint das sperrige, bauchige Instrument seine ganze Coolness zu entfalten.

Ein «Anker» sei dieser hagere, 1,93 Meter große und stets höfliche Afroamerikaner, bemerkte Davis einmal, nachdem dessen berühmte Jazz-Kombo sich 1964 zusammengefunden hatte. Kein Kontrabassist hat mehr Aufnahmen angehäuft als der nahe Detroit (Michigan) geborene Carter, der es dem Guinness-Buch der Rekorde zufolge bis September 2015 auf über 2200 individuelle Aufnahmen brachte. Quer durch die Genres hat er seine Finger auch für Künstler wie Aretha Franklin, B.B. King, Billy Idol und Erykah Badu und Gruppen wie Jefferson Airplane und A Tribe Called Quest über die Saiten laufen lassen.

Die «Anker»-Metapher passt Carter allerdings gar nicht. «Haben Sie schon mal einen Anker gesehen? Er liegt unten auf dem Grund, rostig. Keiner weiß, dass er da ist, es kümmert niemanden einen Dreck, dass er da ist und das Boot zurückhält. Anker der Band? Das heißt, die Band bewegt sich nirgendwohin», sagte Carter dem Online-Magazin «The Trove». «Mein Job ist, Dich aus den Socken zu hauen.» Carter versteht die Aufgabe des Bassisten im Jazz in Anlehnung an Footballspieler als Quarterback, «und er muss einen Sound finden, für den er bereit ist, verantwortlich zu sein».

Carter dachte lange, dass dieser Sound für ihn aus einem Cello kommen würde. Als fünftes von acht Kindern griff der junge Ron danach, als seine Mutter herausgefunden hatte, dass die örtliche Grundschule einige Instrumente erhalten hatte. Ron hörte Bach-Suiten und hatte in der neunten Klasse den Platz als erster Cellist im Schulorchester sicher, spielte aber auch Klarinette, Saxofon, Posaune, Tuba und Geige. Erst als ein Mitschüler den Platz des Bassisten räumte, sah der Klassik-Freund eine Chance, mit dem neuen Instrument auch in die Welt des Jazz vorzustoßen und damit etwas Geld zu verdienen.

«Ich hatte mein ganzes Leben lang Klassik geübt, also verstand ich Tonleitern», erinnert er sich in seiner Biografie «Finding the Right Notes». Doch Bach-Choräle werden viel langsamer gespielt als Jazz-Standards, und der Teenager musste sich schnellere Tempi erst aneignen. «Ich konnte nicht schnell genug denken, um die richtigen, passenden Noten zu spielen.» Das Stipendium einer Musikschule in Rochester (New York) brachte ihn voran, und bald spielte er vor großen Namen wie Horace Silver, Dizzy Gillespie und Oscar Peterson.

Wie viele schwarze Künstler lernte auch Carter, dass selbst noch so begabte Afroamerikaner in einer offen rassistischen Gesellschaft kaum aufsteigen konnten. In Houston erklärte ihm ein Dirigent, dass der Vorstand noch nicht bereit sei für «einen Farbigen im Orchester», sagte Carter «The Trove». Erst die Weltstadt New York schien ab seinem Umzug im Jahr 1959 einen Platz für ihn zu haben. Im Master an der Manhattan School of Music perfektionierte er sein Können, während er nachts Gigs spielte. «Es war eine gute Zeit für mich, den Mund geschlossen und meine Ohren offen zu halten», erinnert sich Carter.

Zusammen mit Trompeter Miles Davis, Pianist Herbie Hancock, Schlagzeuger Tony Williams und Wayne Shorter am Saxofon war 1964 das berühmte Quintett geboren, das Enthusiasten immer noch feiern. Er spielte aber auch Werbe-Basslines ein, gewann einen Grammy für seine Komposition zum Film «Um Mitternacht» (1986) und blieb seinen Musikschülern in verschiedenen Lehraufträgen trotz Auftritten treu.

In New York kann man Carter bis heute erleben, etwa im «Blue Note». Der 1,93 Meter-Bassist sei viel mehr als nur ein «Zeitnehmer, Rhythmus-Mann, Kumpel des Scheinwerferlicht-Künstlers», heißt es auf seiner Website. Er sei ein «Architekt höchster Ordnung, ein Komponist aus dem Stegreif selbst dann, wenn er keine Solos spielt».

 

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