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Der Notendruck ist ein anspruchsvolles Handwerk – immer und immer wieder wird mit der Lupe die Qualität geprüft. Schon allerkleinste „Fehler“ führen dazu, dass Noten noch einmal gedruckt werden. © Ralf-Thomas Lindner

Der Notendruck ist ein anspruchsvolles Handwerk – immer und immer wieder wird mit der Lupe die Qualität geprüft. Schon allerkleinste „Fehler“ führen dazu, dass Noten noch einmal gedruckt werden. © Ralf-Thomas Lindner

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Der Letzte seiner Art? 75 Jahre Notendruckerei Pirol in Minden – Ein Portrait von Ralf-Thomas Lindner

Vorspann / Teaser

Leugnen ist zwecklos: wohl fast alle Musiker haben einen Vogel. Die Weibchen dieser Vogelart sind eher unscheinbar, die Männchen leuchtend gelb mit schwarzen Flügeln. Bei dem Pirol handelt es sich um einen Singvogel – aber das Singen prägt nicht die Beziehung zu den Musikern. Es sind eher die schwarzen Flügel, der sich deutlich vom übrigen gelben Federkleid abheben. In Europa ist der Bestand des Pirols relativ stabil, in Nordrhein-Westfalen wird er in der Roten Liste als „stark gefährdet“ geführt.

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Sieht man von improvisierenden Jazzern und Kirchenmusikern einmal ab, so spielen die allermeisten Musiker ihre Musik (noch immer) aus gedruckten Noten. Diese kaufen sie ganz selbstverständlich im Musikalienhandel oder im Internet. Einen besonderen Gedankengang an die Herstellung der Noten – vom Gedanken im Kopf des Komponisten über die Niederschrift bis hin zur Herausgabe der Noten (mit vielen Arbeitsschritten) durch einen Verlag und den Druck in einer Druckerei – verschwenden sie dabei nicht.

Ganz selbstverständlich nimmt der Musiker die Noten und spielt aus ihnen – während der zahlreichen Produktionsschritte haben viele Köpfe darüber nachgedacht, wie die praktische Ausgabe für den Musiker wohl am angenehmsten zu verwenden sei. Das Papier darf nicht reinweiß sein, denn dann könnte es die Musiker womöglich blenden, wenn sie im Scheinwerferlicht auf der Bühne oder bei strahlendem Sonnenschein in der Natur spielen. Es muss gut und plan auf den Notenständern aufliegen können. In der gebundenen Ausgabe muss man gut blättern können und die Seiten dürfen sich nicht von selbst umschlagen, zurückschlagen oder anderweitig bewegen.

Qualität

All diese besonderen Blicke auf und Anforderungen an den Notendruck und die Bindung der Hefte hat die Firma „Pirol-Notendruckerei und Werbedruck“ im ostwesfälischen Minden über 75 Jahre lang zu ihrer ganz persönlichen Aufgabe gemacht. Viele der ganz großen und renommierten Verlage (z. B. Breitkopf & Härtel, Bärenreiter, Henle) haben hier über lange Zeit ihre Noten drucken lassen und tun es teilweise noch immer. Mit den Musikern sind diese Notenausgaben dann überall in aller Welt unterwegs.

Eines der größten Projekte, das Pirol je gestemmt hat, war die Herstellung der Choral-Begleitbücher für die evangelische und die katholische Kirche. Immer wenn ein neues Gesangbuch herauskommt, müssen die Organisten vor Ort neue Noten bekommen, um die Gemeinde in ihrem Gesang ordentlich begleiten zu können. In beiden Kirchen waren die letzten Begleitbücher zweibändig, die auf wirklich jeder Orgelbank im deutschsprachigen Raum liegen – zigtausende! Wer nach Jahren des ständigen Gebrauchs diese roten und grünen Bücher in einer Kirche näher betrachtet, erkennt sofort, welche Qualitätsarbeit er hier in der Hand hat – zumeist haben die Bücher nur sehr geringe Gebrauchsspuren.

Die Anfänge

Kurz bevor die Rote Armee anrückte, konnte sich Heinz Dinter, damals 23 Jahre alt, mit seinem Vater aus der Heimat, dem oberschlesischen Gleiwitz, absetzen. Die Mutter war schon in seiner Kindheit gestorben. Das Ziel war eigentlich Dresden. Über Leipzig und Bielefeld ist er dann aber nach Minden gekommen, wo er sich bei der Firma „Allphoto“ um die Entwicklung, das Bearbeiten und das Retuschieren von Bildern, zumeist Passbilder für die englischen Soldaten, die in Minden stationiert waren, kümmerte.

Heinz Dinter sei ein, so berichtet es seine Tochter, ehrgeiziger Mensch gewesen. Am 1. Juli 1949 machte er sich in den schweren aber auch hoffnungsschwangeren Nachkriegszeiten selbständig und gründete die Firma „Pirol Fotodruck und fototechnischer Betrieb“. Es gab viel Arbeit – manchmal bis in die späte Nacht und auch am Wochenende. Aber es herrschte immer eine gute Stimmung im Betrieb und es wurde – nach getaner Arbeit – auch viel gefeiert, gegessen, getrunken und Skat gespielt. Einer der Mitarbeiter hatte ein Schifferklavier und es wurde gesungen und getanzt.

Kurz vor dem zweiten Umzug in wieder ein neues Firmengebäude im Jahr 1953 beschließt Dinter, sich zukünftig hauptsächlich der Musik, dem Notendruck zuzuwenden. Nach dem Umzug ist auch der Firmenname neu und beinhaltet explizit das Wort „Notendruck“. Es gibt das erste eigene Auto und neue Maschinen. Später wendet man sich auch der Buchbinderei zu. Notenausgaben – alles aus einer Hand! Darauf sprangen die großen Musikverlage an. Quasi nebenbei druckte man Werbematerialien für den regionalen Bedarf um Minden herum.

Tempora mutantur, …

In den besten Zeiten hat der Betrieb um die 50 Mitarbeiter gehabt. Es gab viel zu tun – ein Rundgang durch die Firma zeigt noch heute die vielen Arbeitsstationen an denen der Notendruck vorbereitet wurde. Die allermeisten dieser Arbeitsbereiche sind heute verwaist. Moderne technische Verfahren haben die alten abgelöst, sind schneller und vielleicht auch exakter geworden. Gab es vor Jahren etwa noch eine Abteilung, die das Layout in Minden hergestellt hat, so bekommt die Druckerei dieses heute im Normalfall als pdf-Datei per E-Mail zugeschickt.

Karin Dinter, die Tochter des Firmengründers Heinz Dinter und heutige Inhaberin sagt: „Der Notendruck ist sehr anspruchsvoll.“ Es sind die kleinen Dinge, auf die geachtet werden muss. Die Papierqualität und dessen Farbe. Die Erkenntnis, dass „schwarz“ nicht gleich „schwarz“ ist. Der spezielle Leim und die spezielle Bindung, die verhindern sollen, dass die Buchblöcke am Buchrücken brechen. Sicher – das Druckverfahren selbst kann jede beliebige andere Druckerei auch bewältigen. Das besondere Know-how von Pirol liegt aber gerade in diesen Kleinigkeiten, die für die Musiker in der Aufführungssituation lebenswichtig sind.

… et nos mutamur in illis

Warum Heinz Dinter einst den Namen „Pirol“ für sein Unternehmen gewählt hat, ist heute nicht mehr bekannt. Aber es war ein treffender Name – die meisten Noten, die bei Pirol entstehen, werden auf einem leicht gelblichen (chamois) Papier gedruckt. Davon hebt sich ganz klar und sichtbar die schwarze Farbe ab. Als Singvogel ist der Pirol ohnehin ein guter Begleiter für Musiker. Aber er ist auch in seinem Bestand gefährdet – zumindest in Nordrhein-Westfalen.

Ähnlich geht es auch der „Pirol-Notendruckerei und Werbedruck“. Die Technik ist so schnell vorangeschritten, vieles ist heute schon im Internet abrufbar und wird am heimischen Computer gedruckt. Die Verlage leiden unter anderem an der Kopiertechnik, die ihre Umsätze beschneidet. Und dann sind da noch die Tablets, die sich die Notenständer der Musiker langsam aber sicher erobern. So wird der Pirol in Minden wohl auch irgendwann aussterben. Einen Nachfolger von Karin Dinter, die ihre Geschäfte noch immer mit großer Hingabe und Liebe führt, wird es höchstwahrscheinlich nicht geben.

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