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Das Atemschiff oder: Warum die Poesie Politik sein muss
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Vielgestaltig ist das künstlerische Schaffen der Regisseurin Andrea Conrad. Die Künstlerin zeigt in vielen Sparten Präsenz. Ob Librettistin, Autorin, Regisseurin, Veranstalterin, die Übergänge ihrer Arbeiten sind fließend. Für ihre Inszenierungen schafft sie eigene Räume und legt Wert darauf, dass es Kunsträume sind. Theater ist ein Betrieb, der vom Eklektizismus lebt, das sei gegenwärtig gefährlich, so die Regisseurin, und führe durch die Dominanz der Medienwelt zu untheatralischen Vorgängen, die ein Innen und Außen kaum noch zu trennen vermögen.

Wir brauchen Poesie und gleichzeitig politisches Theater, Unterhaltung haben wir 24 Stunden am Tag und das zum größten Teil in erschreckend zunehmender Inhaltslosigkeit, während die Globalisierung drastische Formen durch Krieg, Hunger, Naturkatastrophen, Wirtschafts- und Finanzkrisen annimmt, die nicht mehr schön zu reden sind. Die allgemeine Krise umfasst nicht nur die Wirtschaft, sondern ist derzeit als eine allgemein große geistige Krise zu begreifen, die sich nicht erst seit einigen Jahren gebildet hat.“ Empfindlich trifft es die Kultur, die Sparzwänge und speziell die unermüdlichen Tarifzwänge an den Theater- und Opernhäusern. Viel wird versucht, aber die eingeschliffenen Diskussionen, wie man Zuschauerzahlen erhöhen kann, was an moderner Bühnenkunst sein darf, die nicht die überzogenen Alltagsrealismen widerspiegelt und somit auch nicht die Kassen füllt, sind kaum noch haltbar. Der mündige Bürger war schon immer bereit, Geld für Kultur zu investieren, schließlich gehört Deutschland mit seiner hohen Dichte an Kultur- und Musentempeln zu den führenden Kulturnationen der Welt. Dieses große Erbe gilt es zu halten, denn das Engagement und die breite Vernetzung von Musikverbänden, Berufsverbänden, staatlichen sowie privaten Musikschulen ist enorm und dient einer breiten Förderung unseres Kulturgutes und unserer künftigen Generation.

Diese Entwicklungen zeigen steigende Tendenz, und es sei nur zu wünschen, dass die Politik im Jahr der Wahlen, die Konjunkturprogramme im Sinne der Fortführung bisher geschaffener Werte, auch weiterhin fördert und nicht abbaut.

Die anhaltenden Einsparungen am Kulturetat, die unsäglichen Orchesterdiskussionen, Abwicklungen und Reduzierungen, wirken ganz gegen die Aufbauarbeit der Musikverbände in Deutschland. Welche Chance bieten derzeitige Entwicklungen dem hervorragenden Nachwuchs, der vor den Türen der Musentempel Schlange steht?

Unterhaltung und Bedürfnisbefriedigung, Sparzwänge der kulturellen Institutionen und das gern benutzte Wort „Geschichten erzählen“ genügen da als Zukunftsbild nicht.

„Inhalte sind erforderlich, sowie neue Formen der Künste, die nicht, wie bislang, als Exoten im Spielbetrieb der Häuser behandelt werden dürfen.“ Kunst muss allen Bürgern eine Reibungsfläche bieten, das darf und muss man Jedem zugestehen. Dieses Großprojekt, neue Wahrnehmungen zu schulen und somit an einer neuen Wertebildung zu wirken, müssen Etats kompensieren können, bis auch die geistige Krise überwunden ist.“ Die Bildungspolitik ist im Umbruch, die Gleichwertigkeit von Kunst und Kernfächern (Wissenschaft) hat derzeit höchsten Nachholbedarf und ist reformbedürftig. Gehen diese Entwicklungen zwischen Bildung und Kulturträgern konform, ist ein großer Meilenstein gesetzt, und erst dann sollte der überstrapazierte Begriff „innovativ oder zukunftsweisend“ zu Recht benutzt werden. Künstler, Wissenschaftler, Systemanalytiker und Philosophen weisen schon seit Jahren auf die allgemein wachsende Krise hin.

Als Andrea Conrad 2006 Musiktheater von Mauricio Kagel inszenierte, begleitete ein Zitat von Peter Sloterdijk, gleichsam wie ein roter Faden, die gesamte Inszenierung.

„Meine Damen und Herren,
Gedichte und anderes frei Gesagte
sind Atemschiffchen,
die sich ins Offene aussetzen.
Daher sind freie Worte wichtiger als große.
Doch kommt es vor, dass die freien sich als die großen erweisen.“
(Peter Sloterdijk, Frankfurter Lesungen: Zur Welt kommen – Zur Sprache kommen)

Und diese müssen gehört werden.

Eine spezielle Leidenschaft entwickelte die Regisseurin in der offenen Inszenierungsweise mit Orchestern, ob großes Orchester oder Kammerorchestervariante, sie konfrontiert in angemessenem Verhältnis alle Künste mit dem Klangkörper, den sie gern als Atemschiff bezeichnet. Die Resultate sind immer wieder erstaunlich, so die Regisseurin, denn so ein bewegter Apparat zeigt eine gewaltige Eigendynamik.

„Ist das Atemschiff erstmal in Fahrt, gibt es keinen Halt. Unnachgiebig ist so ein Orchester, es schwebt wie ein Diktat der Zeit im Raum und lässt jeden Regiefehler augenscheinlich werden. In diesem offenen und sehr reizvollen Prozess, den übrigens viele Orchestermusiker lieben, ist ein Schummeln nicht möglich. Diese Konzepte verlangen ein absolutes Ineinanderfließen der Künste und eine hohe Abstraktion. Diese Form ist nicht neu und wird dennoch kaum praktiziert.“

Das Unsichtbare sichtbar machen und das stets Sichtbare unsichtbar werden lassen, bedeuten für die Regisseurin eine Übung und Schulung der Wahrnehmungen und gleichsam ein Spiel mit den Mitteln, sowie eine außerordentliche Herausforderung an das Handwerk der Regie. „Diese Arbeit erzeugt Respekt voreinander, denn jeder ist ,auf Deck‘ sichtbar und gleichwertig. Niemand bewegt sich in der Versenkung. Zwangsläufig entwickle man sich so zum Bildenden Künstler, denn die absolute Reduktion auf das Wesentliche hat oberste Priorität. Nur durch die Innere Einkehr, durch Poesie und Reinheit der Mittel ist Politik in uns machbar.“

Seit einigen Jahren schreibt Andrea Conrad Konzepte, Textfassungen und Libretti, die sie auch szenisch realisiert. Gute Sprache ist Melodie und die große Liebe ist das Orchester, das Atemschiff.

„Sprache und Komposition sind ein unheimlich kompliziertes und filigranes Gebilde, die Sprache muss der Musik Raum geben und gleichzeitig mit dem Ton im Bunde sein, und so Innenräume als auch assoziative Bilder schaffen. Gelingt dieses Zusammenspiel, dieses bizarre Geflecht, taucht der Rezipient unweigerlich in seine eigene Innenwelt.“

Die Arbeit mit einem Orchester verstand die Regisseurin neben allen künstlerischen Interessen auch stets als einen Ausdruck kulturpolitischer Arbeit. Mit unterschiedlichsten Ensembles und Orchestern arbeitete sie, und stets waren neue Konstellationen eine künstlerische und menschliche Erfahrung, denn „Orchester sind keine Selbstverständlichkeit und teuer sind sie, gegenwärtig kaum bezahlbar, will man außergewöhnliche Projekte schaffen“.

Da sollte sich jede Stadt, jedes Theater freuen, das über kein Orchester mehr verfügt und daher Angebote von Netzwerken erhält, um das kulturelle Gleichgewicht zu halten. Das klingt logisch, wäre aber keineswegs üblich. Viel Transparenz ist in der Vergabe von Geldern und Projektbewilligungen erforderlich und grundsätzlich eine sinnvolle Zusammenarbeit vieler Partner. Kunst braucht gesunde Konkurrenz, aber keine Destruktion.

Neue Erfahrungen sammelte Andrea Conrad an der Oper Leipzig, wo sie in Co-Regie mit Dr. Bert Noglik und einem japanischen Ensemble „The music world of Yosuke Yamashita“ inszenierte. Zuvor assistierte sie bei David Moss und erfuhr in den „Survival Songs“ grundlegende Erkenntnis, die sie später zu John Cage und den experimentellen Künsten führte.

Es wurde für sie selbstverständlich, Konzertreihen der besonderen Klasse zu veranstalten, so mit dem bekannten Kairos Quartett, das Werke von Julio Estrada und Georg Friedrich Haas in freier Natur zu einem besonderen Erlebnis machte und die Natur mit all ihrer Vielgestaltigkeit ein zusätzlicher Akteur wurde.

In Berlin inszenierte Andrea Conrad, unter anderem mit Ensemblemitgliedern der Deutschen Oper Berlin, „Pierot Lunaire“ von Arnold Schönberg. Ein gläserner Ort mit Ausblick auf deutsche Geschichte. Im Sonnenuntergang mit Blick auf den Dom, verwaiste Gebäude alter DDR-Machtzentralen und leere Hülle des Palastes der Republik. Für einen Augenblick wurde Geschichte im Wandel des Lichts lebendig.

Mit den Berliner Symphonikern verband sie in der Abwicklungsphase eine tiefe künstlerische Solidarität. Geplant war die Aufführung des Melodrams „Die Auswanderer“ von Oskar Fried auf Versen von Émile Verhaeren in der Übertragung von Stefan Zweig im Hangar Tempelhof für Sprecher und großes Orchester. Ihr politisches und künstlerisches Engagement konnte selbst von einflussreichen Politikern der Stadt Berlin nicht gefördert werden. So konnte die Odyssee eines Werkes, das 1913 in Berlin mit Tilla Duriex als Sprecherin und den Berliner Philharmonikern uraufgeführt wurde und seit dem Tod von Oskar Fried in Moskau 1940 in den Archiven des KGB lagerte, nur durch die entschiedene Unterstützung des Generalintendanten der Oper Chemnitz, Rolf Stiska, 2007 in Chemnitz zur Aufführung gebracht werden.

Für die Stadt Berlin war es 2006 ein Verlust, denn die Verbindung des Melodrams „Die Auswanderer“ und der geschichtlich bedeutsame Flughafen Tempelhof, hätten zu einer künstlerischen, als auch politischen Synthese führen können.

Und immer wieder sind es Kernstoffe deutscher Geschichte, die Andrea Conrad für Orchester und Ensemble reizen und offen bleiben, so die Oper „Draußen vor der Tür“, nach einer Textvorlage von Wolfgang Borchert. Sie zeigt sich zuverlässig, „denn unsere Verhältnisse schreien geradezu nach Inhalten“.

Neben zahlreichen anderen künstlerischen Aktivitäten arbeitet die Regisseurin an diesem Konzept konsequent und erfolgreich weiter.
So führte sie, dramaturgisch und gekonnt in Szene gesetzt, Ingeborg Bachmann und Pablo Neruda in einem Konzert zwischen „Himmel und Erde“ für Schauspieler und großes Orchester auf, dem die Parodie „Ein Egerländer in Preußen“ für Tänzer, Schauspieler und Orchester folgte. Schwarzer Humor war es, der sie während der Inszenierung begleitete, so berichtete Andrea Conrad, denn die Verwandlung eines Privatmenschen zur „Kriegsmaschine“ und seine möglichen gefährlichen Verwicklungen in den Wirren der Zeit können verhängnisvoll sein und sind gerade heute, in einer Zeit unüberschaubarer wirtschaftlicher und politischer Verhältnisse, von höchster Aktualität. Das erinnere sie an Bertholt Brechts „Legende vom toten Soldaten“ und natürlich an Brechts „Mann ist Mann“.

Es war eine unglaubliche Bereicherung, so die Regisseurin, wie das große Orchester auf der Bühne platziert war und den Strudel des Lebens unnachgiebig vorantrieb.

Ist man mit seiner Kultur und Geschichte eng verbunden, so bleibt die größte Herausforderung – Hölderlins „Hyperion“. Andrea Conrad schrieb die Bühnenfassung, und inszenierte „Hyperion“ 2007 am Hans-Otto-Theater in Potsdam. Die Musik von Georg Friedrich Haas, wenn auch nur für wenige Augenblicke hörbar, war unverzichtbarer Bestandteil dieser hochartifiziellen Sprachkunst Hölderlins.

Mit Spannung ist eine ihrer nächsten Regiearbeiten zu erwarten. In diesem Jahr feiert das Blasorchester Südwind zehnjähriges Jubiläum mit „Das Drama der modernen Menschheit“ nach Gedanken von Friedrich Hölderlin. Andrea Conrad führt Regie, die musikalische und gesamtkünstlerische Leitung hat Peter Vierneisel. Bilder, Film und Texte aus „Hyperion“ von Friedrich Hölderlin werden dieses Konzert mit großem Orchester zu einer Gesamtaussage verdichten.

Diese Inszenierung ist die letzte Konsequenz: „ Die Sprache sucht den Körper“, und sie endet mit einem Zitat eines befreundeten Komponisten, Pierluigi Billone, den die Regisseurin sehr schätzt: „Der vom Klang bewohnte Mensch ist ein Raum, in dem die Welt als lebendige Schrift erscheint, welche es zu entschlüsseln und zu interpretieren gilt.“

Aufführung
„Das Drama der modernen Menschheit“
Kulturhaus Schloss Großlaupheim, 15.03.09, 19.00 Uhr

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