Banner Full-Size

Hohe interpretatorische Qualität für jedermann

Untertitel
Kann das Deutsche Musikfestival eine Lücke im Konzertbetrieb schließen?
Publikationsdatum
Body
Franzpeter Messmer ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zu Themen aus Musik und Kulturgeschichte, darunter Biographien über Richard Strauss, Orlando di Lasso und der 1997 erschienene historische Roman „Der Venusmann“ über den Kastraten Farinelli. Messmer ist künstlerischer Leiter der Landshuter Hofmusiktage und war mehrere Jahre Vorsitzender des Bayerischen Tonkünstlerverbandes. Die Mischung aus Künstler, künstlerischer Leiter, Autor und PR-Mann machten ihn zur Idealbesetzung für die Rolle des Festivalorganisators des ersten „Deutschen Musikfestivals“. Mit Franzpeter Messmer unterhielt sich Theo Geißler. nmz: Herr Messmer, zum 150. Geburtstag des Tonkünstlerverbandes veranstaltet der DTKV ein großes Festival. Sie nannten es nicht „Tonkünstlerfest“, sondern „Deutsches Musikfestival“. Warum? Messmer: Uns erschien der Begriff „Tonkünstlerfest“ zu sehr im 19. Jahrhundert verhaftet, das eine große Zeit des Festefeierns war. Es gab Künstlerfeste, Historienfeste und Turnerfeste... Diese Feste waren vielfach nach innen gerichtet, also vereinsintern, nicht so sehr nach außen. Dagegen ist das Deutsche Musikfestival in die heutige Musikszene eingegliedert. Das Festival entspricht dem Bedürfnis des Publikums in unserer Zeit nach einer Begegnung mit Musik, bei der Barrieren des Verstehens oder gesellschaftlicher Natur abgebaut werden und ein neuer und entspannter Zugang erlebt wird. nmz: Nach welchen Gesichtspunkten wird das Programm gestaltet? Messmer: Der rote Faden ist die kulturpolitische Konzeption des deutschen Tonkünstlerverbandes, nämlich Neue Musik zu fördern und vor allem junge Talente, vom Kindesalter bis hin zum Sprung in die Berufskarriere, der Öffentlichkeit bekannt zu machen. nmz: Thema: Öffentlichkeit. Es ist für Musiker gar nicht so einfach und für Musikverbände ganz speziell, sich in der Öffentlichkeit mit der angemessenen Lautstärke zu präsentieren. Bekommen Sie von den Medien irgendein Feedback, stoßen Sie auf Interesse? Messmer: Mit dem, was sich jetzt schon tut, können wir sehr zufrieden sein. So wird der Norddeutsche Rundfunk während der Festivalzeit eine siebenteilige Sendung über den Deutschen Tonkünstlerverband ausstrahlen. Mitschnitte der Konzerte in Weimar, Stuttgart, Detmold und Bad Füssing sind geplant oder bereits zugesagt. nmz: Zurück zur künstlerischen Struktur des Festivals. Es läuft dezentral ab. Wie ist der Aufbau, die zeitliche Aufteilung? Messmer: Es gibt einerseits die zentralen Veranstaltungen, die direkt der DTKV organisiert, nämlich die fünf Konzerte in Weimar (22.10.), Detmold (23.10.), Hamburg (24.10.), Stuttgart (25.10.) und Bad Füssing (26.10.). Andererseits gibt es die 86 Konzerte und Workshops, die von den Ortsverbänden gestaltet werden und die fast alle im Oktober und November 1997 stattfinden. nmz: Wie ist es gelungen, diese vielen verschiedenen Veranstaltungen mit einem derartig großen Konzertangebot unter eine Haube zu bringen? Messmer: Ich war bei der Organisation überrascht, mit welcher Begeisterung gerade von den Ortsverbänden, der Basis des Tonkünstlerverbandes, diese Idee aufgegriffen wurde und was für großartige Ideen dabei entwickelt wurden. Diese regionalen Konzerte, welche die außergewöhnliche Breite und Vielfalt des Festivals begründen, sind von der Basis aus gewachsen. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Wir haben in Frankfurt ein musikalisches Theater für Kinder mit dem Titel „Der Instrumentenladen“, wo Kinder in eine lockere Handlung eingebunden sehen und hören können, wie die verschiedenen Instrumente klingen und gespielt werden. Oder etwas ganz Besonderes: In Leipzig singt Ilona Schlott jiddische Lieder. In Oldenburg gibt es einen „Musikalischen Tag“ der offenen Tür mit einem „Offenen Unterricht“ bei dem Komponisten C.J.Keller, einem Kinderkonzert, Gesprächsmöglichkeiten über Musikunterricht für Kinder oder Erwachsene und ein Gesprächskonzert am Abend. nmz: Wie wird das musikalische Finale aussehen? Messmer: Das Finale ist das Jugendfestival in Bad Füssing, eine Mammutveranstaltung mit über 200 Mitwirkenden, bei der vor allem Gewinner von „Jugend musiziert“ auftreten. Aber auch ein Percussion-Ensemble mit Samba, ein Gospelchor und ein großes Sinfonieorchester, das von DTKV-Präsidentin Inka Stampfl geleitet wird und Genzmers „Sinfonia per giovani“ aufführt. nmz: Läßt sich schon etwas über Uraufführungen, über Stilrichtungen, die sich herauskristallisieren, sagen? Messmer: Wir haben die außergewöhnlich hohe Zahl von 30 Uraufführungen. Bei den Stilrichtungen sind wir nicht festgelegt. Dies entspricht zum einen der gegenwärtigen Situation des Komponierens, das sich von einer stilistischen Norm befreit hat, zum anderen würde eine Festlegung die Kreativität nur abtöten. nmz: Ihr Verband betreut von den Pädagogen, über die Interpreten bis hin zu den Komponisten das ganze Spektrum aktiver Musiker. Fügt es sich organisch, daß die verschiedenen Sparten Ihres Verbandes ineinander greifen, daß man Interpreten mit Komponisten zusammenbringt, gibt es da Klammern? Messmer: Gewiß. Dieses Festival bietet die besondere Chance, daß auf einer nicht primär kommerziell ausgerichteten Basis Musik aufgeführt werden kann, deren Aufführung anderswo unbezahlbar wäre. Hier arbeiten Interpreten und Komponisten wirklich zusammen. Aber auch die Pädagogen haben einen wichtigen Anteil an diesem Festival, etwa bei den zahlreichen Workshops. So zeigt beispielsweise Beate Gabriela Schmitt in ihrem Braunschweiger Workshop die Möglichkeiten des Computers für Flötisten: hier werden Komponisten, Interpreten und Pädagogen gleichermaßen angesprochen. nmz: Wer hat das Programm zusammengestellt und nach welchen Kriterien kam es zustande? Messmer: Im wesentlichen habe ich das Programm zusammengestellt. Die fünf zentralen Konzerte gehören zur festen, vom Präsidium des Verbandes erstellten Konzeption. Die anderen wurden von den Ortsverbänden angeboten und in das Programm hereingenommen, wenn sie in die Konzeption hereinpaßten. nmz: Gibt es Planungen, dieses Musikfestival als feste Einrichtung in bestimmter Periodizität zu installieren, als Aushängeschild für den Verband? Messmer: Das Deutsche Musikfestival ist zunächst eine einmalige Veranstaltung aus Anlaß des 150jährigen Bestehens des Deutschen Tonkünstlerverbandes. Ob darüber hinaus in der Zukunft das Deutsche Musikfestival wieder, und sogar in regelmäßigen Ab- ständen stattfindet, hängt von vielen Fragen ab, eine der wichtigsten ist sicherlich Erfolg oder Mißerfolg 1997. Man muß sich im Klaren sein, daß das Deutsche Musikfestival erst der Anfang einer neuen Festivalidee ist. Nur durch Kontinuität und langfristige Planung kann ein nachhaltiger Erfolg bei Sponsoren und beim Publikum erzielt werden. nmz: Vielleicht doch noch ein paar Beispiele für regionale Kooperationen. Ich kann mir vorstellen, daß Ortsverbände nicht sonderlich optimal materiell ausgestattet sind. Haben die Ortsverbands- oder die Landesverbandsvorsitzenden selbst Kontakte zu Sponsoren, zu möglichen Finanzgebern aufgenommen? Inwieweit unterstützt überhaupt die öffentliche Hand? Messmer: Die zentralen Veranstaltungen werden sehr maßgeblich vom Bundesinnenministerium und in der Regel von den Kultusministerien der Länder, in denen sie stattfinden, unterstützt. So leistet das Bundesland Bayern einen hervorragenden Beitrag für das Jugendfestival in Bad Füssing. Außerdem wird hierdurch eine Art Grundversorgung des gesamten Festivals mit Organisation und Werbemitteln gewährleistet. Die Ortsverbände ihrerseits wurden sehr aktiv und nutzten ihre oft beachtlichen Kontakte zu in ihrer Region ansässigen Firmen, beispielsweise Klavierfabriken. nmz: Unsere Gesellschaft ist ein bißchen zahlensüchtig. Gibt es so eine Hausnummer, die man als Gesamtetat ansetzen könnte? Messmer: Der Etat ist für dieses gewaltige Festival relativ sehr bescheiden. Er liegt zwischen 200.000 und 300.000 DM. nmz: Ich vermute, daß eine ganze Reihe ehrenamtlicher Leistungen nötig sind, um das Ganze zu realisieren. Diese Leistungen muß man eigentlich noch dazu addieren. Messmer: So ist es. Dieses Festival wäre sonst gar nicht möglich. Auch die Künstler tragen zur Verwirklichung dieses „Low-cost-Festivals“ bei, spielen zu wesentlich günstigeren Honoraren als üblich. Die Komponisten erhalten keine Gelder für Kompositionsaufträge. Auch meine Firma parlando arbeitet nicht kostendeckend und unterstützt damit das Deutsche Musikfestival. Damit soll eine neue Form von Festival gefördert werden, die von der Basis ausgeht und die – wie ich meine – für die Zukunft ein Modell sein kann. In einer Gesellschaft, in der ein großer Prozentsatz ohne Job ist, werden Aktivitäten mit weitgehend ehrenamtlicher oder nur gering bezahlter Arbeit wie dieses Festival ein wichtiger Faktor sein, um unsere Kultur weiterzuentwickeln und den Menschen Lebenssinn und Lebensfreude zu geben. nmz: Wenn der konkrete Anlaß für das Deutsche Musikfestival, der 150jährige Geburtstag, nicht mehr da ist, wie kann man sich dann so ein Musikfestival als Selbstdarstellungsplattform des Deutschen Tonkünstlerverbandes in der Zukunft vorstellen? Messmer: Der kulturpolitische Gedanke dieses Festivals muß noch etwas vertieft werden. Im Augenblick erleben wir im Musikbetrieb eine Schere: Bei den bekannten Festivals kletterten die Eintrittspreise in eine Höhe, die sich viele nicht mehr leisten können. Mit hohen Beträgen werden hier Konzerte mit Stars, die hohe Gagen erhalten, für ein gut betuchtes Publikum von den öffentlichen Händen bezuschußt. Dies kann nicht allein die Aufgabe von Kulturförderung in einer demokratischen Gesellschaft sein. Dagegen bietet das Deutsche Musikfestival eine Fülle von Musik und Programmen in hoher interpretatorische Qualität, vom Pop, Jazz bis zur zeitgenössischen Musik zu einem Eintrittspreis, den sich jeder leisten kann. nmz: Dieses Musikfestival sozusagen als Aushängeschild des Verbandes, der ja in den vergangenen Jahren etwas still war in der Selbstdarstellung... Messmer: Bei meiner Arbeit, und auch bei der Suche nach Sponsoren, mußte ich oft feststellen, daß außerhalb der ganz engen Fachwelt viele nicht wußten, wer der Deutsche Tonkünstlerverband ist. Da besteht meines Erachtens ein großer Bedarf an Öffentlichkeitswirksamkeit, und da kann ein solches Festival der erste Schritt sein. Franzpeter Messmer im Gespräch mit Theo Geißler
Print-Rubriken
Unterrubrik