Im November 2023 und nun im Januar 2024 fanden zwei Online-Stammtische statt, die nicht nur den Teilnehmenden Diskussionsraum boten, sondern, wie schon bekannt, Vorträge renommierter Fachleute lieferten, die erst einmal zum wirklichen Nachdenken und Nachspüren anregten. So bleibt das Fragen im Anschluss oft sehr spärlich, da zu viele Dinge im Kopf herumgeistern, die erst einmal sortiert und durchdacht werden wollen. Hier ein paar Einblicke.
KI in der Musik – Fluch oder Segen?
Im ersten Vortrag „Zwischen Bach und Bits – KI“ gab der Informatiker Felix Herrmann einen Abriss über die – bei allen vorherrschenden Zweifeln gegenüber KI – eben auch seiner Meinung nach deutlichen Vorteile, die in der Nutzung derselben liegen. Er sieht diese Modelle weitestgehend als Bereicherung, Bündelung von unterschiedlichen Diensten und erheblicher Arbeitserleichterung. Für eine einfache Arbeit, die bekannte Daten verarbeitet und zu einem feststehenden Ergebnis führen soll, so Herrmann, habe er gewöhnlich vier Stunden benötigt. Mit entsprechender KI zum Ziel zu kommen, dauere hingegen nur 30 Minuten. Im Prinzip, so Herrmann weiter, könne in Zukunft praktisch jede und jeder Neues erschaffen, da Programmiersprachen weitestgehend obsolet werden. KI erfordere nichts weiter, als real sprachliche, exakt und detailliert formulierte Anweisungen (vornehmlich in Englisch, noch!), die dann ausgeführt werden.
Im weiteren Verlauf stellte Herrmann unterschiedliche KI-Modelle vor, die den Teilnehmenden via Bildschirm theoretisch wie zum Teil auch praktisch nahegebracht wurden. Hier kamen unter anderem zum Einsatz: Refussion, Music LM, stable audio, chord variations und UVR5 (Ultimate Voice Remover). Die unterschiedlichen Modelle haben auch unterschiedliche Ergebnisse zur Folge und arbeiten auf verschiedenen Ebenen, wie dem tatsächlichen Umwandeln von eigens eingesungenen Sequenzen in zum Beispiel eine orchestrale Fassung, oder – bei einem anderen Programm – die Isolierung der Singstimme aus einem Werk heraus, um dann in der Folge vielleicht nur mit der Stimme weiterzuarbeiten (UVRS). Bei allem Staunen über Mögliches wurde aber auch deutlich, dass vieles noch in den Kinderschuhen steckt. Stichwort: teilweise miserable Soundqualität im MIDI-Style. Was auch daran liegen mag, dass Deutschland weltweit nur auf Platz 10 im Bereich KI-Finanzierung liegt. Während die USA aus einem Fördertopf von 10 Milliarden Dollar schöpfen, um die Entwicklung voranzutreiben, liegt das Fördervolumen in Deutschland bei gerade einmal 500 Millionen Dollar. Dennoch wird die Entwicklung weitergehen, und schon heute, so Herrmann, gibt es fast täglich Updates in den KI-Programmen. Ein Weiter ist unaufhaltbar.
Am Rande gestreift wurde das Thema Urheberrecht, das sicher bekannt schwierig ist und gerade im Rahmen der KI-Nutzung und Einbindung in künstlerische Prozesse deutlicher Formulierungen bedarf und nach klaren Gesetzgebungen verlangt. Unlängst verklagte Disney zum Beispiel NICHT die KI-Plattform, sondern den Erzeuger von „neuen“ Disneyfiguren unter der Nutzung einer KI. Für weitaus detailliertere Informationen in Sachen Urheberrecht empfahl Herrmann aber den im Netz zu findenden Vortrag des wohl informierten wie bekannten Komponisten Matthias Hornschuh. Seine geballten Informationen und Wissen finden sich hier:
https://www.youtube.com/watch?v=RW_2HsSgAII
Was klar scheint, so Herrmann: KI sei niemals der Urheber eines Werkes. KI verarbeite nur Informationen. Künstler*innen, die mit KI arbeiten, werden vermerken müssen, wenn ihre Werke unter Zuhilfenahme von KI entstanden sind. Ebenso solle man Vorsicht walten lassen, bei allem, was man selbst uploadet. Die eigenen Rechte gingen in der Regel verloren, alles würde gespeichert, das sich öffentlich im Netz befindet und könne somit auch weiterhin genutzt und eben auch von KI verwendet werden, so Herrmann.
Zweiter Online-Vortrag von Prof. Dr. Ulrich Kaiser: Zwischen Freiheit und Fessel – Das Urheberrecht als Problem der Musikpädagogik und die Open Music Academy
Der DTKV lud an diesem Abend Herrn Prof. Dr. Kaiser ein, über das ihm in vielerlei Hinsicht sehr geläufige, umfangreiche Thema zu referieren. Anhand von Folien schilderte er zunächst einige wesentliche Punkte des Aufbaus bestimmter IT-Programme und erklärte vorherrschende Strukturen in der Entwicklung solcher. Dabei kam er schnell zum Thema „Open Source“ und den Vorteilen dieser Methode – oder gar Philosophie. Verkürzt kann man vielleicht sagen, dass die Stärken in Open-Source darin liegen, dass sozusagen das Schwarmwissen einer Gesellschaft genutzt wird und nicht das spezifische Wissen einiger weniger Entwickler. An Open-Source-Programmen könne jede und jeder mitarbeiten (der genügend technisches Knowhow besitzt) und somit zum steten Weiterentwickeln beitragen – was das Eliminieren bestehender Fehler mit einschließt. Stichwort: Wikipedia.
Ganz ähnlich wie Wiki, so Prof. Dr. Kaiser, sei eben auch die Philosophie, die hinter der Open Music Academy (OMA) steckt.
Im Aufbau sehr der oben genannten Plattform ähnelnd, Strukturen einer klassischen Suchmaschine nutzend, präsentiert sich OMA auf seiner Startseite. Schnell wird ersichtlich, dass OMA viel an Information bietet und eben Nutzer*innen auch die Möglichkeit liefert, eigene Inhalte zu verbreiten und durch die Veröffentlichung mit eigenen Uploads, an denen wiederum von den angemeldeten User*innen weitergearbeitet werden kann, auch im Kollektiv weiterzuentwickeln.
Ebenso gibt es die Möglichkeit, private „Räume“ zu öffnen, für beispielsweise Schulklassen oder Studierende, in denen und mit denen dann praktisch gearbeitet werden kann – mit Zugriff auf alle auf OMA verfügbaren, öffentlichen Inhalte.
Das Thema Urheberrecht wurde an diesem Abend allerdings wiederum nur bedingt aufgegriffen. Klar ist, dass man hier durch einen Upload sein eigenes Werk frei gibt. So meint Prof. Kaiser, dass die heranwachsende Generation durch ihren (intuitiven) Zugang über Socialmedia und andere Plattformen eine ganz andere Einstellung zum Urheberrecht habe als noch die Ü30-Generation. Generell sieht er eine Reform des Urheberrechtes für unausweichlich.
Was die OMA betrifft, so wird eine wesentliche mögliche Verletzung des Urheberrechts praktisch übergangen. Möchte man mit oder an vorhandenen musikalischen Werken arbeiten – und hier bietet OMA ganz interessante Tools zur beispielsweise Segmentierung ganzer Werke oder Filterung von Stimmen – so ist dies ohne Weiteres und ohne Verletzung des Urheberrechts möglich, indem Musikstücke über YouTube-Streams eingebunden werden. Das sei legal, da YouTube selbst vertraglich an die GEMA gebunden sei.
Würde aber auf anderen Wegen offensichtlich durch das Hochladen von Inhalten gegen das Urheberrecht verstoßen – zum Beispiel durch das Hochladen NICHT gemeinfreier (Noten)werke –, so würden solche Inhalte eliminiert, so Kaiser.
Der Abend machte in jedem Fall Lust, diese Plattform doch einfach einmal selbst auszuprobieren und zu schauen, selbst zu erforschen – ja, vielleicht sogar durch die kostenfreie Anmeldung Teil des Ganzen zu werden.
https://openmusic.academy/
Bei aller Skepsis, ja Kritik gegenüber KI, die sicher auch in manchen Bereichen berechtigt ist, bleibt aus beiden Vorträgen das Gefühl und das Wissen zurück, dass wir inmitten einer großen Entwicklungsphase stehen. Und wie mit doch so ziemlich allen (technischen) Neuerungen, die schließlich entwickelt wurden, um auf dem einen oder anderen Gebiet Erleichterung in der Arbeit und Fortschritt in der Entwicklung zu schaffen, scheint es geboten, KI weder kritiklos hinzunehmen noch sie gänzlich zu verteufeln. So bleibt auch, bei allen Vorzügen, daran zu denken, besonders verantwortungsvoll und bewusst mit KI umzugehen. Sich aber dagegen zu verschließen, scheint ebenso unmöglich, sie ist da und wird nicht mehr verschwinden. Es ist an uns, mit welchen Inhalten wir sie „füttern“ und wie wir sie nutzen.
Der nächste Online-Stammtisch wirft einen Blick in die Komponistenwerkstatt. Am 12. März 2024 soll der freie Komponist Johannes Motschmann referieren. Er arbeitet mit KI – zusammen mit Thomas Hummel als Entwickler einer Kompositionssoftware.
- Share by mail
Share on