Tobias Reisige, Jahrgang 1976, kam schon früh zur Musik. Bereits in jungen Jahren lernte er die Blockflöte kennen und, wie man annehmen muss, auch lieben. Denn bei dem, was Tobias Reisige heute tut, spielt eben auch die Blockflöte in allen ihren vorkommenden Größen eine tragende Rolle.
Neue Wege mit altem Instrument
Doch der Reihe nach. Im Anschluss an den frühen Musikschulunterricht mit den Instrumenten Blockflöte, Saxophon und Klavier folgte das Abitur. Schnell war für Tobias Reisige klar, dass die Musik sein Thema, ja seine Berufung werden müsste. So besuchte er direkt nach dem anschließenden Zivildienst die Folkwang-Hochschule in Essen und erlangte im Jahr 2001 den Abschluss als Diplommusikpädagoge. Innerhalb des Studiums war er für ein halbes Jahr DAAD-Stipendiat in Wien, es schloss sich ein Jazz-Studiengang wiederum in Essen an, in dem Reisige der erste Jazz-Blockflötist sein sollte.
Neben seinem Spiel in mehreren Ensembles leitet Tobias Reisige auch immer wieder Workshops und Fortbildungen, unter anderem an der Bundesakademie in Trossingen. Sein besonderes Engagement gilt sicherlich der weiteren Verbreitung des Jazz und der Flöten, für die er nicht zuletzt mit seinem 1998 gegründeten und inzwischen weit bekannten Ensemble „Wildes Holz“ eintritt. Wer einmal die Chance hatte, diese Truppe live zu erleben, bekommt endlich einen anderen Blick – auf den Jazz vielleicht, aber ganz sicher auf die Blockflöte, die so gar nicht ihrem doch häufig eher schlechten Ruf folgen möchte, sondern zu einem herausragenden Instrument heranwächst, wenn Reisige zum Einsatz kommt. Das folgende Gespräch mit Tobias Reisige führte Cordula Schlößer-Braun vom DTKV Nordrhein-Westfalen:
Cordula Schlößer-Braun: Herr Reisige, Sie haben schon früh Musikschulunterricht kennenlernen dürfen. Für wie wichtig erachten Sie diese Art von Musikerziehung? Was halten Sie für ein ideales Alter, mit einem Instrument – mit der Blockflöte vielleicht – zu beginnen?
Tobias Reisige: Die Musikschule ist für mich der wichtigste Ort, um Kindern und Jugendlichen, aber eigentlich auch allen Menschen die Möglichkeit zu bieten, ein Instrument zu erlernen. Ich habe sehr viele positive Erinnerungen an meine eigene Musikschulzeit: Empathische und begeisternde Lehrer, das gemeinsame Musizieren, kleine Vorspiele, das hat mich alles sehr geprägt. Das ideale Alter zum Start mit einem Instrument hängt für mich von der körperlichen Entwicklung der Kinder ab. Bei der Blockflöte zum Beispiel davon, ob die Hände schon groß genug sind, um das Instrument zu halten und ob die Finger die Löcher gut abdecken können. Das kann im Alter zwischen 5 und 7 Jahren sein.
Schlößer-Braun: Ihr erstes Instrument war eben auch die Blockflöte, wie bei so vielen. Warum denken Sie, hat sich bei Ihnen eine Liebe entwickelt, wohingegen andere die Flöte auch gerne als „Blödflocke“ bezeichnen oder gar verteufeln?
Reisige: Das waren meine Blockflötenlehrer. Sie haben mir die Freude am Musizieren und auch die Begeisterung für das Instrument Blockflöte mit auf den Weg gegeben. In der 5. und 6. Klasse mussten wir im Musikunterricht alle Blockflöte lernen. Das war nicht nur schön. Die meisten haben es gehasst, ich konnte es schon vorher und habe mich eher gelangweilt. Als Jugendlicher habe ich dann auch mit Saxophon angefangen, weil ich unbedingt in einer Band spielen wollte. Parallel habe ich aber die ganze Zeit Blockflötenunterricht gehabt. Als es dann in die Richtung ging, Musik zu studieren, habe ich mich ganz bewusst für die Blockflöte entschieden.
Musikalische Früherziehung
Schlößer-Braun: Was ist nach Ihrer Meinung entscheidend für die musikalische Erziehung im Kindesalter?
Reisige: In erster Linie finde ich es im Kindesalter wichtig, den Spaß und die Freude am Musik machen zu vermitteln. Dass Musizieren eine tolle Art ist, sich auszudrücken und auch mit anderen in Kontakt zu treten. Ich finde es auch gut, nicht nur am Instrument zu arbeiten, sondern auch viel zu singen und Bewegung mit in den Unterricht zu nehmen.
Schlößer-Braun: Sie sind schon viel in der Welt herum gekommen (Korea, Schottland, Österreich, Italien, Ungarn, Holland und Polen). Wie sind die Reaktionen auf die Flöte in den verschiedenen Ländern?
Reisige: Die Reaktionen sind durchweg positiv. In vielen Ländern gehört die Blockflöte zur musikalischen Grundausbildung und außerdem hat fast jedes Land eigene traditionelle Flöteninstrumente. Wenn man dann zeigt, dass man die Blockflöte vielseitig einsetzen und zum Beispiel auch populäre Musik mit ihr spielen kann, sind viele Leute positiv überrascht.
Schlößer-Braun: Sie engagieren sich übergreifend für Kunst und Kultur – auch im Kunsthaus Essen. Wie kam es zu diesem „Zusammenspiel“? Was ist für Sie das Spannende an solchen „kleineren Rahmen“?
Reisige: Seit 13 Jahren wohne ich wieder mit meiner Familie in Essen. In meinem Viertel habe ich dann das Kunsthaus Essen kennengelernt. Mittlerweile haben wir dort unseren Proberaum und betreiben ein eigenes Studio. So bin ich auch in die Vorstandsarbeit innerhalb des Vereins gerutscht. Dieses Haus mit seiner Mischung aus Musikern und bildenden Künstlern bietet viele Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Durch Ausstellungen und Konzerte versuchen wir das Haus zu öffnen und einen Ort der Begegnung zu schaffen. Ich fand es schon immer toll, wenn Kunst und Musik unterschiedlichste Menschen zusammenbringt.
Schlößer-Braun: An welcher Stelle Ihres Werdegangs sind Sie auf den DTKV gestoßen? Warum sind Sie Mitglied geworden?
Reisige: Ich habe früher einige Jahre in Essen an der Musikschule „Die Musikmacher“ gearbeitet. Das ist ein freier Zusammenschluss selbstständiger Musiker*innen und Musikpädagogen. Wir waren dort alle Mitglieder im DTKV und haben das auch als Werbung für uns genutzt. Mich haben auch die Serviceleistungen angesprochen.
Schlößer-Braun: Würden Sie jungen Studierenden auch einen Verband, beziehungsweise die Mitgliedschaft im DTKV empfehlen? Warum?
Reisige: Gerade zum Einstieg ins Berufsleben kann ein Berufsverband Ansprechpartner sein und bei vielen Fragen helfen, die im Studium vielleicht nicht behandelt wurden. Gerade wenn es um Themen wie Steuern, Arbeitsrecht und Versicherungen geht.
Diskussion um Urheberrecht
Schlößer-Braun: Aktuell wird die Diskussion um Urheberrecht und gerechtfertigte Bezahlsysteme (Stichwort: Streaming) geführt. Sind Sie auch davon betroffen? Seit 25 Jahren befinden Sie sich mit Ihrem Ensemble „Wildes Holz“ auf dem, wie Sie selber sagen: „Holzweg“… Aktuell haben Sie zum 25-jährigen Jubiläum ihre 14. CD veröffentlicht (näheres unter www.wildes-holz.de). Lohnen sich „Silberlinge“ in der heutigen Zeit noch? Was lohnt sich überhaupt?
Reisige: Wir sind ehrlicherweise erstaunt, dass wir überhaupt noch CDs bei den Konzerten verkaufen. Es ist für viele immer noch eine schöne Erinnerung an den Konzertabend. Am Streaming verdienen wir fast nichts. Bei uns erzielen zwei verkaufte CDs mehr Gewinn als die Streaming-Einnahmen eines ganzen Jahres. Zusätzlich zu den CDs sind weitere Merchandise-Artikel nicht zu verachten. Bei uns gibt es noch LPs, Notenhefte und Schnitzmesser. T-Shirts wollen wir auch wieder anbieten. Das alles sind ergänzende Einnahmen zu unserem Hauptstandbein, den Konzerten. Wir spielen zwischen 80 und 100 Konzerte im Jahr und sind in der glücklichen Lage, davon unseren Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Schlößer-Braun: Eine weitere Diskussion wird heiß geführt: KI in der Musik. Schreckt Sie die Entwicklung? Nutzen Sie gar KI? Sehen Sie mehr Schaden als Nutzen für die Musiklandschaft?
Reisige: Mit KI habe ich mich tatsächlich bis jetzt noch wenig beschäftigt. Wir haben einige Info- und Pressetexte von einer KI vorformulieren lassen und das Ergebnis war auch brauchbar. Ich denke, dass KI vor allem die Musik-Produktion verändern und beeinflussen wird. Das Spielen von Konzerten wird hoffentlich nicht so schnell von einer KI übernommen. Gerade dieses Erleben eines Live-Konzerts im Zusammenspiel zwischen Publikum und Musikern, diese einzigartigen Momente und Emotionen, die handgemachte Musik hervorrufen kann ist es doch, was uns alle berührt.
Zukunftspläne
Schlößer-Braun: Welche Pläne/Projekte verfolgen Sie in naher Zukunft?
Reisige: Erstmal spielen wir als Wildes Holz unser Jubiläumsprogramm noch bis Mitte 2025. Parallel arbeiten wir aber auch schon an neuen Songs für das nächste Programm. Außerdem soll es bald ein neues Notenheft geben. Wir arbeiten auch daran, uns größere Spielstätten zu erschließen. Mit einem Konzert in der Elbphilharmonie geht im April schon ein lang gehegter Traum in Erfüllung. Weitere Konzerthäuser sollen folgen. Ein weiteres Projekt wäre die Zusammenarbeit mit einem Orchester.
Mal schauen, was in der nächsten Zeit noch so alles passiert.
Neben Wildes Holz habe ich noch ein zweites Projekt („Bad Antiko“), in dem wir Alte Musik mit anderen Musikstilen kombinieren und mit viel Improvisation neu interpretieren. Da schließt sich für mich auch der Kreis zu meinem klassischen Blockflötenstudium.
nmz: Vielen Dank für das Interview und alles Gute für die großen Pläne.
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