Der Kampf um faire Löhne wird fortgesetzt – nicht nur im öffentlichen Dienst und bei der Bahn. Auch Vertreter*innen der Musikverbände sind in unterschiedlichen Gremien damit beschäftigt, eine existenzsichernde Bezahlung von Berufsmusiker*innen durchzusetzen, und fordern entsprechende Honorarstandards für die Branche. Die jüngste Studie des Deutschen Musikinformationszentrums (miz) hat dafür nun Zahlen geliefert, die einen wichtigen Einblick in die reale Lohnwelt von Berufsmusizierenden ermöglichen. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Demoskopie Allensbach wurden im Herbst 2022 insgesamt 650 Berufsmusiker*innen persönlich befragt: unter anderem nach der Art ihrer Tätigkeit(en) und dem Einkommen, das sie damit erzielen. Das Ergebnis dürfte Kenner*innen der Szene nicht verwundern: 70 Prozent der Berufsmusiker*innen leben nicht nur von ihrer künstlerischen Tätigkeit.
Die allseits bekannte, weil naheliegende Kombination von Einkommensmöglichkeiten, die sich auch in der Studie des miz bestätigte, bilden künstlerische und pädagogische Arbeit. Neben eigenen Auftritten, die gerade bei Freiberuflichkeit einer gewissen Unregelmäßigkeit unterliegen können, sorgt das Unterrichten von Schüler*innen darüber hinaus für ein regelmäßiges Einkommen. Laut Studie des miz gehört diese Kombination für 50 Prozent der Befragten zum Berufsalltag. Ein „zweites Standbein“ zu haben, sei allerdings nicht der einzige Grund für die Entscheidung zu unterrichten. Leidenschaft und ein Talent für musikpädagogisches Arbeiten waren ebenfalls Gründe, die in der Umfrage genannt wurden. Besonders verbreitet ist das Unterrichten bei Frauen und Berufsmuszierenden über 60 – ein deutlicher Hinweis darauf, dass Geschlecht und Alter in der pädagogischen Arbeit noch immer als differenzierende Kategorien tragen. Darüber hinaus übt fast jede*r dritte Berufsmusizierende – vor allem aus ökonomischen Gründen – eine Tätigkeit aus, die nichts mit der Grundkompetenz Musik zu tun hat: 57 Prozent der Befragten gaben an, ohne eine nicht-musikalische Nebentätigkeit „finanziell nicht über die Runden“ zu kommen. Ein zweiter wichtiger Grund sei die Altersvorsorge.
Was die konkrete Einkommenssituation von Berufsmusiker*innen angeht, zeigt sich zum einen solides Mittelfeld, darüber eine kleine Gruppe sehr gut Verdienender und am unteren Rand eine nicht unerhebliche Gruppe, die als prekär einzustufen ist. Zurecht hebt die Studie hervor, dass „Musik für viele professionelle Musiker*innen finanziell durchaus einträglich [ist]: Rechnet man alle Einkünfte zusammen, liegt das persönliche monatliche Nettoeinkommen von Berufsmusizierenden derzeit im Durchschnitt bei 2.660 Euro.“ Dennoch sind die Unterschiede in der Einkommenssituation – vor allem nach Art der Erwerbstätigkeit und nach Geschlecht – deutlich.
Den ersten Unterschied markiert der Versichertenstatus: In einem sozialversicherungspflichtigen Angestelltenverhältnis verdienen Berufsmusizierende durchschnittlich 2.940 Euro netto im Monat, während freiberuflich Tätige nur mit 2.460 Euro rechnen können. Ein Gap von immerhin 500 Euro. Grundsätzlich befindet sich die Mehrheit der Berufsmusizierenden in einem Arbeitsverhältnis, wenngleich nicht voll umfänglich im Berufsfeld Musik. Die hohe Angestelltenrate liegt eher darin begründet, dass Berufsmusiker*innen neben der berufsmusikalischen Profession auch nicht-musikalische Tätigkeiten ausüben, in denen sie sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Vernachlässigt man musikfremde Tätigkeiten, überwiegt bei Berufsmusizierenden der Status der Freiberuflichkeit (58 Prozent). Sozialversicherungspflichtig angestellt sind im Bereich nicht-musikalischer Arbeit 19 Prozent, weitere 22 Prozent leben sowohl freiberuflich als auch angestellt von der Musik. Insgesamt sind 34 Prozent aller Berufsmusizierenden in der Künstlersozialkasse (KSK) versichert.
Der zweite Unterschied in der Einkommenssituation von Berufsmusizierenden wird deutlich vom Geschlechterverhältnis markiert, was ein Blick an die Ränder zeigt. Etwa jede*r fünfte Berufsmusiker*in verfügt über ein Einkommen, das geringer als 1.500 Euro ist. Betroffen von dieser prekären Einkommenssituation sind 28 Prozent der Musikerinnen, aber nur 15 Prozent ihrer männlichen Kollegen. Der Gender-Gap zeigt sich auch am entgegengesetzten Rand der Einkommensskala: Mehr als 6.000 Euro im Monat (in dieser Verdienstklasse halten sich insgesamt nur etwa 5 Prozent aller Musiker*innen auf) verdient nur jede 50ste Musikerin, aber immerhin jeder 20ste männliche Kollege. Überhaupt zeigt die Studie von miz und Allensbach, dass neben dem Kampf um Honorarstandards für alle auch der Kampf um eine Gleichbezahlung von Frauen und Männern noch längst nicht ausgekämpft ist. Noch immer sind die Einkommensunterschiede eklatant. Berufsmusikerinnen verdienen laut Studie rund 700 Euro weniger als ihre männlichen Berufskollegen, was einem Gender-Pay-Gap von 24 Prozent entspricht. In konkreten Zahlen heißt das: Frauen verfügen als Berufsmusizierende durchschnittlich über ein Monatseinkommen von 2.210 Euro, männliche Berufsmusiker über ein monatliches Einkommen von durchschnittlich 2.890 Euro. Diese Differenz zeigte sich auch dort, wo weibliche und männliche Berufsmusizierende gleichermaßen Hauptverdiener*in eines Haushalts sind. Männer steuern als Hauptverdiener durchschnittlich 3.080 Euro bei, Frauen 2.460 Euro –ein Fünftel weniger. Trotz dieser Unterschiede interpretiert das Deutsche Musikinformationszentrum als Auftraggeber der Studie die finanzielle Situation der meisten Berufsmusizierenden als „insgesamt solide“. Dies spiegele sich auch in der subjektiven Zufriedenheit mit der eigenen wirtschaftlichen Lage. Immerhin zögen 53 Prozent der Befragten eine positive Bilanz ihrer eigenen wirtschaftlichen Situation. Differenziert nach Statusgruppen bröckelt das Bild von der Zufriedenheit allerdings. Unter den fest angestellten Berufsmusiker*innen sind zwar 80 Prozent mit ihrer Einkommenssituation zufrieden. Bei ihren freiberuflich tätigen Kolleg*innen sind es allerdings mit 42 Prozent nur etwa halb so viele. Von den Berufsmusizierenden, die in der Künstlersozialkasse versichert sind, bezeichnen sogar nur 32 Prozent ihre eigene wirtschaftliche Situation als gut oder sehr gut. So richtig pessimistisch, was ihre wirtschaftliche Situation angeht, sind in dieser Befragtengruppe 19 Prozent.
In einer ersten Reaktion auf die Studie des miz äußerte sich der Deutsche Musikrat jetzt vor allem zum finanziellen Gap zwischen den deutlich schlechter gestellten selbstständigen Musiker*innen gegenüber angestellten Berufsmusizierenden. Diese unterschiedliche Einstufung widerspreche der ansonsten in Deutschland vorherrschenden Logik der Selbstständigkeit. Das unternehmerische Risiko freiberuflicher Musiker*innen müsse ebenso wie Vorsorgeaufwendungen für Arbeitslosigkeit und Alter in das Einkommen „eingepreist“ sein. Um die Situation von Selbstständigen im Musikleben zu verbessern, hat der Deutsche Musikrat nun eine verbändeübergreifend erarbeitete Empfehlungen für Honoraruntergrenzen bei öffentlich geförderten Projekten und Institutionen vor.
Prof. Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates betont in seiner Stellungnahme die wichtige Funktion freischaffender Musikere*innen „Selbstständige Musikerinnen und Musiker sind für das reiche Musikleben Deutschlands unverzichtbar – doch sie arbeiten oft unter schwierigen, bisweilen existenzgefährdenden Bedingungen. Es ist jetzt höchste Zeit für eine Kehrtwende in Bezug auf die gesellschaftliche Wertschätzung für die Arbeit der künstlerisch-pädagogischen Musikerinnen und Musiker und damit auch eine faire Vergütung dieser Arbeit.“
Der Deutsche Musikrat hat verbändeübergreifend Honorarempfehlungen für die öffentliche Förderung erarbeitet. Um den darin errechneten, wirtschaftlich angemessenen Tagessatz perspektivisch zu verankern, müssen öffentliche Fördertöpfe aufgestockt werden. Höppner fordert darüber hinaus eine „laufende Evaluation, Weiterentwicklung und statistische Datenerhebung zu diesem Thema“, da es immer noch keine aussagekräftige Bundeskulturstatistik gebe. Der Deutsche Musikrat erwarte von den politischen Entscheidungsträgerinnen und -träger auf kommunaler, Landes- und Bundesebene auf, im Zuge der kommenden Haushaltsberatungen stufenweise dieser Kehrtwende Rechnung zu tragen. „Es ist höchste Zeit“, so Höppner, „der Selbstausbeutung und den oft prekären Einkommenssituationen von Freiberuflichen ein Ende zu bereiten! Denn wenn sich in Musikberufen nur ein Hungerlohn verdienen lässt, verarmt mit dem Schwund der kulturellen Vielfalt auch die ganze Gesellschaft.“ Die Empfehlungen wurden von der Arbeitsgruppe „Faire Vergütung“ erarbeitet. Sie sehen u.a. als Honoraruntergrenze für Musiker*innen bei selbstständiger Tätigkeit perspektivisch einen Tagessatz in Höhe von 675 Euro vor, der stufenweise über mehrere Jahre erreicht werden soll. Berücksichtigt wurden in den Berechnungen u.a. die hohe Qualifizierung und die „unsichtbare“ Arbeitsleistung mit Planungs-, Probe- und Reisezeiten, Betriebskosten sowie die Finanzierung von Rücklagen und Urlaubstagen. Mehr dazu auf der Webseite des Deutschen Kulturrats: www.https://www.musikrat.de.
Und zum Schluss noch eine gute Nachricht: Für die überwältigende Mehrheit der Berufsmusizierenden, so das Ergebnis der miz-Umfrage, steht außer Frage, dass sie mit ihrer Berufsentscheidung richtig lagen: 82 Prozent der Musikerinnen und Musiker würden sich demnach auch heute wieder dafür entscheiden, professionell Musik zu machen.