Seit 2003 gehört der Komponist Dr. Ralf Weigand dem Aufsichtsrat der GEMA an. Seit 2017 ist er außerdem Vorsitzender dieses wichtigen Gremiums. Wir sprachen mit ihm über die aktuellen Pläne und Veränderungen im Tarifbereich für Veranstaltungen, die in der für die Musikbranche wichtigsten Verwertungsgesellschaft anstehen und was diese für die Mitglieder des Deutschen Tonkünstlerverbandes bedeuten.
neue musikzeitung: Können Sie in wenigen Sätzen sagen, um was es sich bei der GEMA handelt?
Dr. Ralf Weigand: Eigentlich ist die GEMA sozusagen ein Solidarverein der Musikautor*innen und ihrer Verleger in Deutschland und gleichzeitig eine der größten Verwertungsgesellschaften der Welt mit zirka 80.000 Mitgliedern. Ein Solidarverein deshalb, weil wir uns vor über 100 Jahren mit Hilfe von Richard Strauss gegründet haben, um einfach nicht auf sich allein gestellt zu sein im Dialog mit den Musiknutzern. Es ging darum, eine Gemeinschaft zu bilden, weil wir als Gemeinschaft schlichtweg stärker sind und mehr auf Augenhöhe mit denen verhandeln können, die unsere Musik nutzen.
nmz: Was ist Ihre Aufgabe als Aufsichtsratsvorsitzender der GEMA?
Weigand: Die GEMA als wirtschaftlicher Verein ist so konstruiert, dass das operative Geschäft der Vorstand verantwortet, bei der GEMA ist das an dessen Spitze der Vorsitzende Herr Dr. Heker. Aber natürlich muss eine Aufsicht geführt werden, wie auch in einem DAX-Unternehmen oder einer AG, und deshalb wählen die Mitglieder alle drei Jahre – im Juni übrigens wieder – die Mitglieder des Aufsichtsrates. Und der so gewählte Aufsichtsrat wählt wiederum einen Vorsitzenden, der, was klassisch ist für einen Vorsitzenden, in erster Linie den Kontakt zum Vorstand pflegt und dadurch auch ein bisschen mehr als die anderen involviert ist in die Gesamtbelange der GEMA. Im Prinzip vertrete ich den Aufsichtsrat auch nach außen. Die Aufgabe des Aufsichtsrat ist es, als Vertretungsgremium der Mitglieder darauf zu achten, dass der Vorstand und die ganze Verwaltung im Sinne der Mitglieder agiert. Wir haben also eine demokratische Kontroll- und Lenkungsfunktion.
nmz: Die GEMA befindet sich derzeit in einem Schiedsstellenverfahren mit dem Bundesverband der Musikveranstalter. Worum geht es? Und welche Konsequenzen könnte dieses Verfahren auch für Verbände wie etwa den DTKV haben?
Weigand: Es gibt unterschiedliche Schiedsstellenverfahren, in welche die GEMA involviert ist. Das können Einzelverfahren sein, weil ein Kunde die Tarifanwendung in seinem Fall für nicht angemessen hält. Oder weil ein Gesamtvertragspartner einen ganzen Tarif als nicht angemessen ansieht. Im aktuellen Schiedsstellenverfahren mit dem Bundesverband der Musikveranstalter geht es um den Gesamtvertrag mit der GEMA, und da insbesondere um den Gesamtvertragsnachlass, den die GEMA größeren Verbänden gewährt. Bislang ist im Gesamtvertrag größeren Verbänden bzw. den Mitgliedern dieser Verbände gegenüber ein Pauschalnachlass von 20 Prozent vorgesehen. Das hat einige Jahrzehnte einigermaßen funktioniert.
nmz: Und jetzt nicht mehr?
Weigand: Tatsächlich gibt es da mittlerweile ein Problem. Wir dürfen, weil wir Treuhänder unserer Mitglieder sind und auch wegen der Vorgaben des Verwertungsgesellschaftengesetzes Nachlässe nur dann geben, wenn es dafür gute Gründe bzw. Verwaltungskostenersparnisse auf Seiten der GEMA gibt. Und es ist eben mittlerweile nicht mehr ausreichend, ein großer Verband zu sein oder viele Mitglieder zu haben, um Nutzungsrechte günstiger zu bekommen. Stattdessen braucht es aus Sicht der GEMA einen Gegenwert für den Nachlass im Rahmen der Vertragshilfe. Und dieser Gegenwert sollte in einer nachvollziehbaren Korrelation zum Nachlass stehen.
nmz: Was kann man sich unter einem solchen Gegenwert vorstellen?
Weigand: Wenn die großen Verbände, die die Power haben, zum Beispiel gemeinsam mit der GEMA Erleichterungen auch für unser Geschäft realisieren, so dass wir weniger Verwaltungskosten haben. Dann haben wir ein Anrecht, auch unseren Mitgliedern gegenüber zu sagen, das ist gut, wenn wir das gemeinsam machen, dann haben wir weniger Kosten und können dafür den Nachlass geben. Wir haben gesehen, dass das Nachlassprinzip nicht mehr so über einen Kamm geschoren werden kann. Wir müssen differenzieren, weil die Verbände natürlich unterschiedlich leistungsstark sind im Übernehmen dieser sogenannten Vertragshilfen.
nmz: Die Neuverhandlungen laufen also darauf hinaus herauszuarbeiten, welcher Verband was „gegenleisten“ kann?
Weigand: Ja, und wir wollen das neu aufstellen und die Eckpunkte gemeinsam mit unseren Vertragspartnern, den Musikveranstaltern, fair, angemessen und transparent festlegen. Wir fragen sie, was sie in unserem Sinne leisten könnten (z.Bsp. Beratung zur Tarifanwendung oder Informationen über GEMA-Prozesse), etwas, was sie vielleicht sowieso gerne machen, sodass sie dafür dann einen Nachlass auf Tarife von uns bekommen. Im ersten Schritt würden wir also erst einmal ein Vertragskonstrukt erstellen, in dem die Möglichkeiten aufgeführt sind, was ein Verband im Detail an Vertragshilfe leisten kann. Wenn dieser Gesamtvertrag geschlossen ist, dann kann man sich mit jedem einzelnen Verband hinsetzen. Der Verband bringt sich ein und auf der anderen Seite kann vielleicht die GEMA sogar ein bisschen bei der Digitalisierung helfen, so dass wir am Schluss eine Win-Win-Situation haben: Die Musikveranstalter bekommen Nachlässe auf Tarife, und wir sparen durch deren Leistungen Kosten. Wenn Musikmeldungen zum Beispiel digitalisiert gesammelt bei uns ankommen, können wir leichter alles abrechnen und haben weniger Arbeitsaufwand. Und das, was wir da durch deren Mitarbeit sparen, geben wir gern an die Musikveranstalter weiter.
nmz: Das heißt, es geht nicht mehr um einen Mengenrabatt...
Weigand: Nein, Mengenrabatt ist ein bisschen unmodern. Es geht wirklich darum, differenziert zu arbeiten. Es könnte auch ein total schlagkräftiger kleiner Verband sein, der zum Beispiel nur die Musicalveranstalter repräsentiert, aber der total fit ist in Sachen Beratung oder Digitalisierung und wahnsinnig gut die Daten zusammenführen kann und uns auch mit seinen Mitgliederdaten versorgt, sodass wir unsere Datenbank immer auf dem aktuellsten Stand haben. Die Höhe des Nachlasses sollte sich durch die geleistete Vertragshilfe ableiten bzw. damit korrelieren.
nmz: Inwieweit können die betroffenen Verbände in diesem Veränderungsprozess mitreden?
Weigand: Wir haben versucht, dieses Thema in unseren Gesprächen mit den Musiknutzern sehr transparent anzufangen. Wir wollten das Verfahren unbedingt partizipativ gestalten und haben vor zwei Jahren ein Meet-Up veranstaltet. Wir hatten die Verbände bzw. Gesamtvertragspartner eingeladen und gesagt, wir wollen mit euch darüber sprechen, wollen euch nicht überraschen, sondern den Prozess gemeinsam mit euch entwickeln. Dann können wir uns viel besser annähern, weil ihr uns sagt, was ihr leisten könnt, und wir würden sagen, was wir noch brauchen, wo die Vertragshilfen für uns zu echten Vereinbarungen führen. Wir sind natürlich ein bisschen traurig, weil leider die Gespräche mit mehreren Verbänden nicht erfolgreich waren. Aber wir sind nach wie vor der Überzeugung und beweisen das tagtäglich in unserer Zusammenarbeit mit unseren Partnern, dass die beste und von der GEMA präferierte Lösung eine gemeinschaftlich ausgehandelte Basis ist. Leider wurde in diesem Fall die Notwendigkeit unserer Forderungen nicht gesehen oder anerkannt. Wir sind fest überzeugt, dass eine Korrelation von Nachlässen und effizienter Vertragshilfe fairer und angemessen wäre – für die aktiven Partner und eben auch für unsere Mitglieder.
nmz: Darüber hinaus gibt es Planungen, die Meldungen bei der GEMA komplett auf Online-Formulare umzustellen. Was würde das für Ihre Mitglieder ebenso wie für die Musiknutzer bedeuten? Und natürlich für die GEMA selbst? Alles einfacher ohne Papier?
Weigand: Wir haben schon 2019 damit angefangen, alles auf Online-Formulare umzustellen und die Meldungen zu digitalisieren. Die Sende- und Programmmeldungen sollen schon jetzt, wenn möglich, hauptsächlich online erfolgen. Papier wird nicht bleiben. Und weil der Prozess, in dem wir noch mit beidem arbeiten, besonders teuer ist, wollen wir ihn möglichst schnell abschließen. Es geht auch darum, weniger Reibungsverluste zu haben, sowohl an Personal als auch an Material. Deshalb schreiben wir immer wieder unsere Mitglieder an, bitte macht eure Meldungen online. Das Gleiche gilt natürlich für die Veranstaltungsmeldungen. Ich weiß, dass es da einen ziemlichen Widerstand gibt, oftmals natürlich auch deshalb, weil Künstler nicht gerade Digitalisierungsfreaks sind, sondern eher analoge Menschen, die im Wesentlichen ja auch noch analog Musik machen, und natürlich wollen die lieber noch die alten Gewohnheiten beibehalten. Aber auf die Dauer können wir das nicht leisten, weil es unfassbar teuer wird. Im Übrigen hatten wir schon immer wahnsinnig viele Probleme damit, die Papiermeldungen zu digitalisieren, es gibt da eine große Fehlerquelle. Hingegen, wenn wir die Meldungen sauber digital bekommen, dann ist das auch im Interesse der Autoren, übrigens auch im Interesse der Komponist*innen im DTKV, dass die Abrechnungen solide sind und nicht wegen Unleserlichkeit etwa nur zum Teil abgerechnet werden.
nmz: Die Neugestaltung des Gesamtvertrags betrifft explizit ja auch die Mitglieder des Deutschen Tonkünstlerverbands, die Musikautor*innen ebenso wie viele kleine DTKV-Veranstalter, etwa von Schüler*innenkonzerten in den Landes- und Ortsverbänden. Worauf müssten sie sich vorbereiten?
Weigand: Zunächst muss man natürlich abwarten, bis die Schiedsstelle gesprochen hat. Durch das Monopol, das die GEMA hat, ist sie gezwungen, sich der Beaufsichtigung durch das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA) zu unterwerfen, bei der auch die neutrale Schiedsstelle angesiedelt ist.. Wenn diese Schiedsstelle angerufen wird, dann wird in den meisten Fällen von der Schiedsstelle ein Einigungsvorschlag entwickelt. Solange laufen meines Wissens die Verträge noch so weiter, wie sie sind. Wir können nicht einseitig sagen, wir geben jetzt einfach einen geringeren Vertragsnachlass oder es gibt neue/andere Pflichten. Anpassungen bei den Gesamtverträgen wird es, da es erst einen Einigungsvorschlag der Schiedsstelle geben muss und diesem die beiden Parteien zustimmen müssten, nicht vor Mitte, Ende 22 geben. Natürlich kann bei einer Nichteinigung auf Basis des Einigungsvorschlags der Instanzenweg – also über die Gerichte – weiter beschritten werden.
nmz: Wäre eine mögliche Vertragshilfe bei einem Verband wie dem DTKV, dass die Mitgliederdaten zur Verfügung gestellt werden?
Weigand: Ja, beziehungsweise ist das schon jetzt Teil der Vertragshilfe und damit stehende Pflicht der Verbände. Wir sind nicht scharf auf die Daten, weil wir damit Geld machen wollen, sondern hauptsächlich damit wir den Nachlass auch den richtigen Kunden geben können. Wichtig ist für uns eine aktivere Beratung der GSVT-Mitglieder, eine weitreichendere Informierung der Kunden. Diese Beratung, diese Informationen helfen den DTKV-Mitgliedern richtig mit der GEMA zu interagieren und die Geschäftsvorgänge effizienter für alle zu gestalten.
nmz: Die Herausgabe von Mitgliederdaten unterliegt natürlich seit einiger Zeit der Datenschutzgrundverordnung...
Weigand: Die Datenschutzverordnung schützt keine Daten, sondern legt m.W. die rechtlichen Grundlagen und Verpflichtungen für den Datenumgang, die Datenverwendung fest. Und dies bindet alle, die mit Daten arbeiten. Aber wenn die DTKV-Mitglieder einen Nachlass – gegenwärtig 20% - erhalten wollen, dann muss die GEMA diese Mitglieder ja auch identifizieren können. Und darum geht es hier, die Mitgliederdatenübergabe ist doch eigentlich voll in deren Interesse. Die GEMA darf diese Daten ja sowieso nur für die Wahrnehmung ihrer Kernaufgabe verwenden.
nmz: Für Musiknutzer*innen aus dem pädagogischen Bereich – und davon gibt es viele im DTKV – sind reduzierte Tarife natürlich auch deshalb wichtig, weil sie mit ihren Veranstaltungen keine Gewinne erzielen. Was ist die Haltung der GEMA gegenüber dieser Nutzergruppe?
Weigand: Die GEMA selbst hat das größte Interesse, dass Musikpädagogik möglichst landesweit gefördert wird, dass möglichst viele junge Menschen an Musik herangeführt werden, dass sie selbst Instrumente spielen oder singen und dadurch einen anderen Kunstbegriff entwickeln können. Nur so entsteht Interesse an einer etwas komplexeren Musik und die Möglichkeit, diese zu perzipieren und damit umzugehen. Das ist unser ureigenstes Interesse. Aber wie in allen künstlerischen Bereichen ist es so, dass die Künstler*innen in der Tat nur davon leben, dass ihre Arbeit irgendwie vergütet wird. Wenn zum Beispiel Fotograf*innen für ihre Fotos kein Geld mehr bekommen, dann haben wir irgendwann nur noch Handyfotos. Das führt zu einer enormen Verarmung der Kunstbereiche, weil sich niemand mehr leisten kann, tiefer in künstlerische Prozesse einzutauchen, eine sehr aufwändige Ausbildung zu genießen und abzuschließen und als ausgebildete*r Spezialist*in die Werke zu schaffen, die andere dann vielfältig nutzen können. Das wird alles nicht mehr möglich sein, wenn sie nicht irgendwo in der Verwertungskette auch vergütet werden; einfach, um ihre Existenz abzusichern. Alle Kreativen müssen sich im Klaren sein, dass sie da in einem Boot sitzen. Da sollte man immer aufpassen, bevor man sich vielleicht zu bekämpfen beginnt. Man sägt dann schnell am eigenen Ast. Deshalb gibt es für bestimmte pädagogisch-sozial ausgerichtete Veranstaltungen immer die Möglichkeit, Rabatte eingeräumt zu bekommen bzw. sind dafür extra Tarife und Nachlässe in Tarifen etabliert. Am besten ist es, das vor der Veranstaltung zu klären bzw. sich von seinem aktiven Verband gut informieren und beraten zu lassen.
nmz: Ich gehe davon aus, dass Sie als Komponist die Verwertungsrechte Ihrer Werke auch an die GEMA gegeben haben. Fühlen Sie sich bei der GEMA gut aufgehoben?
Weigand: Ja, absolut. Ich bin ein totaler Verfechter des Prinzips Verwertungsgesellschaft und die GEMA ist immer noch eine der besten weltweit. Das kann ich mit gutem Gewissen sagen. Es gibt auch immer Gründe für Kritik und man kann immer noch besser werden, aber die GEMA ist im Prinzip gut organisiert und sehr gerecht. Es gibt viel Einflussmöglichkeit der Mitglieder, das System ist sehr demokratisch aufgebaut. Und wir kämpfen auch dafür, dass es so bleibt, dass die Mitglieder sich einbringen können in die Prozesse und in vielen Ausschüssen mitwirken. Insofern kann ich sagen, es ist eine tolle Verwertungsgesellschaft, aber die Randbedingungen verschlechtern sich leider. Angesichts der großen Monopolisten weltweit wünsche ich mir, dass die GEMA noch viele Jahrzehnte erhalten bleibt. Sie bietet einfach den besten Schutz für die Kreativen, angemessen vergütet zu werden – und ist damit ein Garant für ein hohes künstlerisches Niveau auch in disruptiven Zeiten!