Der 70. Band der „Komponistinnen und Komponisten in Bayern“ (Allitera Verlag) widmet sich dem außergewöhnlichen Musiker Nikolaus Brass, dessen Leben und Werk weit über das Musikalische hinausgehen. In beiden Bereichen verbindet der Komponist eine scheinbar gegensätzliche Welt: die Medizin und die Musik. Als Arzt hat er sich intensiv mit dem Unterbewusstsein des Menschen beschäftigt, dessen Auseinandersetzung sich ebenfalls in seinen Kompositionen wiederfinden. Brass’ Musik ist ein Statement gegen die Schnelllebigkeit des 21. Jahrhunderts: Sie verlangt nach Tiefe, nach Differenzierung und nach einem intensiven Klangerleben.

Vom Bodensee in die Klanggalaxie
Zu Beginn schildert Helmut Rohm biografische Episoden aus dem Leben von Brass und gibt einen lebendigen Einblick in dessen Leben – von Lindau am Bodensee bis zu seinem ganz eigenen Platz in der deutschen Musiklandschaft. Rohm gelingt es, den künstlerischen Weg zu schildern, auf dem Brass’ Musik immer eigenständiger wurde. Anschließend folgen Notizen des Komponisten, die von ihm persönlich zur Verfügung gestellt wurden und die weitere persönliche Einblicke geben.
Franzpeter Messmers Interview mit Brass ist besonders lohnend, da es Facetten entdecken lässt, die in reinen Biografien unsichtbar bleiben. Es macht Brass nicht nur als Musiker, sondern auch als Menschen erfahrbar, was der nachfolgende Bildteil weiter unterstützt.
Musik im Zentrum
Im nächsten Kapitel wird Brass’ Musik ins Zentrum gerückt. Zusammenfassende Darstellungen seiner Musiktheater-, Vokal- und Orchestermusiken werden vielfältig bebildert, so dass die Leser die Entwicklung seiner Klangsprache mitverfolgen können. Angereichert wird das Buch durch eine Anekdote von Sopranistin Irene Kurka, die erzählt, dass Brass’ innige Liebe zu seiner Musik ihn auch immer wieder zurückhalten, manchmal fast zögern lassen würde. Ein weiteres, analytisches Kapitel von Hans-Peter Jahn zu Brass’ Vokalmusik gibt noch mehr Detail und ergänzt ein weiteres Puzzleteil in der Beschreibung seiner Musik, ohne dabei zu wissenschaftlich oder „sperrig“ zu werden, so dass auch Laien davon profitieren können.
Brass’ Klangwelt
Einen großen Teil des Buches nehmen die Analysen der Solo-Werke des Komponisten ein, in denen Rolf Bengen Brass’ Klangwelt und seine teils komplexe Arbeitsweise nachvollziehbar macht. Ein Highlight des Buches ist das Kapitel zu Brass’ Werken für Akkordeon, verfasst von Hans Maier. Es verdeutlicht, dass der Komponist nicht nur die „typischen“ Besetzungen gut in Szene setzen konnte, sondern auch das Akkordeon, ein Instrument, das in der klassischen Kompositionspraxis nicht gerade im Fokus steht, mit besonderen Klängen besetzt hat. Obwohl das Kapitel noch ausführlicher hätte sein können, bildet es einen gelungenen Abschluss – oder einen perfekten Einstieg, um sich mit Brass’ vielseitigem Schaffen näher zu beschäftigen.
Der Wechsel zwischen Gesprächen, biographischen Notizen, Anekdoten und Sachtexten macht dieses Werk so einzigartig wie überzeugend und zeigt, wie vielfältig das Leben und Schaffen von Brass war.
Insgesamt ist der 70. Band der Reihe ein Buch, das kein Musikinteressent in seinem Bücher-Regal vermissen sollte. Es lehrt viel über einen außergewöhnlichen Komponisten und bringt diesen auch seinen Lesern auf persönlicheren Wegen nahe. Die Kombination aus wissenschaftlicher Gründlichkeit, erzählerischem Schwung und gelungener Visualisierung macht diesen Band zu einer gelungenen Würdigung von Nikolaus Brass’ Leben und Werk.
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