Studierende führen gemeinsam mit Lehramtsanwärtern (LAAs) Musikstunden durch, Lehrkräfte ohne Musikstudium nehmen an universitären Lehrveranstaltungen teil und erproben zusammen mit Studierenden neue Anregungen für ihren Musikunterricht, Schulklassen werden von einem Team aus Lehrenden unterrichtet: Eine phasenübergreifende Zusammenarbeit von Studierenden, LAAs und Lehrkräften ermöglicht allen Beteiligten, ihr Repertoire an Fachwissen, didaktischen Grundlagen und praxisbezogenen Beispielen zu erweitern, sich auszutauschen, Erfahrungen weiterzugeben und von jenen der anderen zu profitieren. Julia Lutz gibt einen Einblick in das Projekt „Netzwerk Musikunterricht“ und präsentiert ausgewählte Forschungsergebnisse.
Studierende und Lehrkräfte lernen gemeinsam
Fortbildungen bieten Lehrpersonen die Möglichkeit, ihre Fachkenntnisse und ihr didaktisch-methodisches Handlungsspektrum weiterzuentwickeln. Im Allgemeinen sind Lehrkräfte in Fortbildungsveranstaltungen unter sich. Wie kann ein Qualifizierungsangebot aussehen, das gleichzeitig Aus- und Fortbildung ist? Welchen Gewinn bringt es für die Teilnehmenden, wenn es sich sowohl an Studierende als auch an Lehrkräfte wendet?
Am Institut für Musikpädagogik der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München wurden Kurse der „Basisqualifikation Musik“ erstmals im Wintersemester 2012/2013 für Lehrkräfte geöffnet. Die „Basisqualifikation“ ist für jene Studierende des Lehramts Grundschule, die Musik nicht als Studienfach gewählt haben, Pflicht. An drei beziehungsweise vier Terminen mischen sich 10 bis 15 Lehrkräfte, die ihren Musikunterricht als sogenannte „Fachfremde“ durchführen, unter die Studierenden. Zu einem ausgewählten Themenbereich wie Singen und Liederarbeitung, Musizieren mit Orff-Instrumenten, Musik erfinden oder Rhythmusschulung werden didaktisch-methodische Aspekte thematisiert und unterrichtspraktische Beispiele ausprobiert.
Die Lehrkräfte bringen viele Fragen aus ihrer Unterrichtspraxis mit: Was kann ich tun, wenn es mir schwerfällt, den Kindern ein Lied vorzusingen? Welche Differenzierungsmöglichkeiten sind denkbar, um Kinder mit sehr unterschiedlichen musikalischen Voraussetzungen in die Gestaltung eines Sprechstücks einzubeziehen? Wie kann ich einen organisatorischen Rahmen schaffen, damit Situationen des Improvisierens einerseits Freiraum zum Experimentieren und Ausprobieren bieten und andererseits nicht in einem lauten Durcheinander enden?
Mögliche Antworten werden gemeinsam gefunden – in beispielhaften Musiziersituationen, beim Austausch von Erfahrungen sowie durch Anregungen der Dozentin und im Gespräch über Alternativen. Die Antworten sind für alle bereichernd – für neu in den Schuldienst eingetretene ebenso wie schon länger tätige Lehrkräfte und auch für die Studierenden, die gerade beginnen, erste Unterrichtserfahrungen zu sammeln.
Besonders intensiv arbeiten die Teilnehmenden zusammen, wenn es um die Planung und Durchführung konkreter Unterrichtsstunden geht. In kleinen gemischten Teams bereiten Studierende und Lehrkräfte jeweils eine Musikstunde vor. An den gemeinsamen Seminarterminen werden Fragen und Alternativen zu inhaltlichen Aspekten und zu einzelnen Schritten ebenso wie Impulse für die Reflexion besprochen. Die eigentliche Durchführung der Musikstunden findet im Teamteaching in den Klassen der teilnehmenden Lehrkräfte statt. Dabei wird es meist sehr spannend: Wie funktioniert die Umsetzung des in viele Richtungen gut durchdachten Stundenkonzepts? Welche Erfahrungen macht eine Nicht-Musik-Studentin in ihrer ersten Musikstunde mit einer Schulklasse? Und welche Erfahrungen kann eine Lehrerin, deren Musikunterricht sich bisher meist auf das Singen von Liedern beschränkte, bei der Erarbeitung eines Mitspielsatzes zu einem Hörbeispiel aus der Barockzeit sammeln?
Nachdem alle Teams ihre Unterrichtsstunde durchgeführt haben, erfolgt an einem abschließenden Kooperationstermin ein Austausch der Erfahrungen aus der Unterrichtspraxis und der schriftlichen Unterrichtsvorbereitungen und Materialien. Auf diese Weise können die Teilnehmenden nicht nur aus „ihrer“ Unterrichtsstunde, sondern auch aus jenen der anderen Teams einen Nutzen ziehen. Als besonders gewinnbringend betrachten Lehrkräfte und Studierende den hohen Praxisbezug der „Basisqualifikation“. Dies zeigen Ergebnisse einer formativ angelegten Evaluationsstudie mit qualitativen und quantitativen Anteilen, im Rahmen derer in acht Kursen der „Basisqualifikation Musik“ (Wintersemester 2012/2013 bis Sommersemester 2014) mit teilstandardisierten schriftlichen Fragebögen und in leitfadenbasierten Gesprächen Rückmeldungen der Teilnehmenden erfasst wurden. Aus den für Lehrkräfte geöffneten Basisqualifikations-Kursen liegen Daten von 66 Lehrpersonen und 130 Studierenden vor (vgl. Lutz 2016a, S. 92ff.). In Antworten auf eine offene Frage zur Relevanz des Fortbildungsangebots im Hinblick auf ihren zukünftigen Musikunterricht betonen viele Lehrkräfte, dass sie ihren Musikunterricht nun motivierter und mit größerer Sicherheit durchführen und ihm einen höheren Stellenwert als zuvor einräumen (Ergebnis aus qualitativer und quantitativer Auswertung nach Kategorienbildung). Eine Lehrerin schreibt: „Ich habe bereits verschiedene Anregungen aus der Fortbildung in meinem Unterricht erfolgreich umgesetzt; jetzt hat Musikunterricht für mich einen ganz anderen Stellenwert!“ 55 % der befragten Lehrkräfte weisen explizit auf die Zusammenarbeit mit den Studierenden als gewinnbringendes Moment des Kurses hin – auch wenn die Organisation einer gemeinsamen Unterrichtsstunde teilweise mit großem Aufwand und terminlichen Kompromissen verbunden ist. „Die gemeinsam durchgeführte Unterrichtsstunde mit zwei Studentinnen war eine große Bereicherung für mich und für meine Klasse.“ Ähnlich wie diese Lehrerin äußern sich viele andere Lehrkräfte zur Kooperation mit den Studierenden.
Die Studierenden heben die gemeinsame Planung, Durchführung und Reflexion von Unterrichtsstunden als Besonderheit des Kurses hervor und betrachten die Kooperation und den Austausch mit den Lehrkräften mit Blick auf ihren späteren Musikunterricht als Gewinn. „Die Sichtweise der Lehrerinnen zu bestimmten Themen war sehr interessant – sie schätzen viele Dinge ganz anders ein als wir Studentinnen ohne Erfahrung“ (Studentin, Basisqualifikation Musik, zur Zusammenarbeit mit den Lehrkräften). Allerdings sind die Studierenden mit ihrer Einschätzung deutlich zurückhaltender als die Lehrkräfte, die das Unterrichten eines nicht studierten Faches und die damit verbundenen Herausforderungen und Schwierigkeiten aus ganz anderer Perspektive betrachten als die Studierenden.
Studierende und Lehramtsanwärter kooperieren
Die zweite Form der phasenübergreifenden Kooperation ist eingebettet in ein Seminar für Studierende des Didaktikfachs Musik, an dem an ausgewählten Terminen eines Semesters LAAs (Lehramtsanwärter/-innen) für die Grundschule teilnehmen.1 Hier treffen also Personen aus der ersten und zweiten Phase der Lehrerbildung zusammen, im Mittelpunkt stehen ebenfalls Planung, Durchführung und Reflexion von Unterrichtsstunden in kleinen Teams. Im Unterschied zur „Basisqualifikation Musik“ haben die hier beteiligten Studierenden Musik als Didaktikfach gewählt (Studienumfang: 12 ECTS-Punkte). Dieser Sachverhalt wirkt sich auf die Kooperation sehr positiv aus: Studierende und LAAs können in besonderem Maße voneinander und miteinander lernen – etwa im Hinblick auf musikdidaktische Kenntnisse und musikpraktische Fähigkeiten auf der einen und Erfahrungen in der Konzeption von Unterrichtsstunden und im Classroom Management auf der anderen Seite. In dieser Kooperationsform arbeiten Personen mit teilweise sehr unterschiedlichen Vorkenntnissen zusammen, und die Komplementarität der miteinander Kooperierenden – der „Vorsprung“ der anderen Teammitglieder in jeweils unterschiedlichen Bereichen – wirkt sich förderlich auf die Zusammenarbeit aus (vgl. Neugebauer, 2015).
Die Ergebnisse aus der Befragung von 132 Studierenden und 149 LAAs geben Auskunft darüber, was die Teilnehmenden mit Blick auf ihren zukünftigen Musikunterricht als besonders bedeutende Elemente der Kooperation betrachten (schriftliche Befragung mit teilstandardisiertem Fragebogen Wintersemester 2011/2012 bis Wintersemester 2016/2017; Auswertung der offenen Fragen durch Kategorienbildung). Aus Sicht der Studierenden sind dies folgende Aspekte (Reihenfolge gemäß der Häufigkeit der Nennungen):
- Ermöglichung von Praxiserfahrungen durch die gemeinsame Planung und Durchführung von Musikstunden in Teams aus Studierenden und LAAs
- Austausch mit den LAAs – insbesondere bei Fragen zur Unterrichtsorganisation und zur Strukturierung von Unterrichtsstunden
- Einblick in den Vorbereitungsdienst.Die LAAs führen folgende Punkte als besonders gewinnbringend an:
- Neue Anregungen für Musikstunden
- Ermöglichung von Praxiserfahrungen durch die gemeinsame Planung und Durchführung von Musikstunden in Teams aus Studierenden und LAAs
- Austausch mit den Studierenden – insbesondere zu Fragen rund um das Fach Musik von musikalischem Grundwissen über Musikpraxis bis hin zu didaktischen Aspekten
- Zunehmendes Selbstbewusstsein im Hinblick auf das Erteilen von Musikunterricht durch positive Erfahrungen beim Unterrichten und durch begeistertes Feedback von Schülern.
Rückmeldungen der Teilnehmenden zum Item „Die Bedeutung der Kooperation für meine Unterrichtstätigkeit schätze ich als hoch ein“ belegen: Aus Sicht der Studierenden ist die Bedeutung der phasenübergreifenden Kooperation höher als aus Sicht der LAAs (Antworten auf fünfstufiger Skala von 1 „trifft überhaupt nicht zu“ bis 5 „trifft voll und ganz zu“; Studierende: Mittelwert 3,95, Standardabweichung: .785; LAAs: Mittelwert 3,45, Standardabweichung .705). Gespräche mit den Teilnehmenden geben Auskunft über die Gründe für diesen Sachverhalt: Die Musik-Studierenden können davon ausgehen, dass sie im Schuldienst mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Musikunterricht erteilen werden. Für sie spielt das Fach Musik auch zum Zeitpunkt der Teilnahme am Seminar eine wichtige Rolle. Die LAAs konzentrieren sich im Vorbereitungsdienst auf jene Fächer, die sie gerade unterrichten. Dem aktuell nur von wenigen LAAs unterrichteten Fach Musik schenken sie insgesamt eher wenig Aufmerksamkeit – obwohl auch viele von ihnen dieses Fach voraussichtlich später einmal unterrichten werden.
„Nicht nur für die Durchführung der Musikstunde in meiner eigenen Klasse hat mir der Austausch mit den Studierenden viel gebracht; auch aus der Vorstellung und Besprechung aller Unterrichtsstunden im Plenum nehme ich viele Impulse für meinen Unterricht mit.“ Diese Äußerung einer Lehramtsanwärterin bringt zum Ausdruck: Eine phasenverbindende Kooperation kann gleichzeitig ein Geben und Nehmen sein. Und es kann einen großen Gewinn bedeuten, wechselnde Rollen als Lehrende und Lernende einzunehmen.
1 In den bayerischen Grundschulseminaren der zweiten Phase werden die LAAs nicht nach Studien- bzw. Unterrichtsfächern getrennt. In manchen Seminargruppen befinden sich sowohl LAAs, die Musik studiert haben (geringer Anteil), als auch jene ohne Musik als Studienfach (deutlich überwiegender Anteil). Andere Gruppen bestehen ausschließlich aus LAAs, die das Fach Musik nicht studiert haben.
Literatur
- Lutz, J. (2016a). Vernetzt und lebenslang lernen und lehren: Lehrerbildung für den Musikunterricht an Grundschulen am Beispiel eines phasenübergreifenden Ansatzes. In J. Knigge & A. Niessen (Hrsg.), Musikpädagogik und Erziehungswissenschaft. Musikpädagogische Forschung: Bd. 37 (S. 89–105). Münster: Waxmann.
- Lutz, J. (2016b). Vernetzt und lebenslang lernen und lehren. Das „Netzwerk Musikunterricht an der LMU“. In S. Anselm & M. Janka (Hrsg.), Vernetzung statt Praxisschock. Konzepte, Ergebnisse, Perspektiven einer innovativen Lehrerbildung (S. 198–211). Göttingen: Edition Ruprecht.
- Neugebauer, U. (2015). Gelingensbedingungen für kooperative Strukturen. Möglichkeiten und Grenzen von Netzwerk-arbeit. Newsletter Lehrerbildung der Westfälischen Wilhelms-Universität Müns-ter 01/2015, S. 4–10.