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Fähigkeitsgemischtes auf Ohrenhöhe

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Fachtagung des VBSM-Netzwerkes Inklusion in Passau
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Die Umsetzung einer inklusiven Haltung in der konkreten Unterrichts- und Vorspielpraxis stand im Zentrum der diesjährigen Fachtagung des VBSM-Netzwerkes Inklusion am 11. und 12. März in der Städtischen Musikschule Passau.

Ein Alleinstellungsmerkmal öffentlicher Musikschulen ist das Lernen und Musizieren in kleinen sowie in größeren Gruppen. Ziel der Tagung war es, zeitgemäße Gelegenheiten des gemeinsamen Musizierens von Schüler*innen kennenzulernen, die sich mit geringem organisatorischem Mehraufwand initiieren lassen. Gemeinsame Musiziererfahrungen finden ihren Ursprung bereits im Einzelunterricht, wenn sich die Lehrkraft als Spiel­partner*in und Gruppenmitglied begreift. „Was nicht passt, wird passend gemacht“ – auch auf musikalischer Ebene lässt sich mit einfachen Mitteln zum Beispiel aus einem Klavierstück eine einfache Flötenstimme exzerpieren oder zur Saxophonmelodie eine Begleitstimme für Gitarre oder Akkordeon „bauen“. So profitieren alle Beteiligten vom gemeinsamen Musizieren – eben nicht nur der*die Anfänger*in, der*die dankenswerterweise von einer*m fortgeschrittenen Schüler*in begleitet wird.

Eindrucksvoll ermöglichte die Dozentin Carolin Heuser (Musikschule Fürth e. V.) den Teilnehmenden anhand vieler praktischer Beispiele Einblicke in den Mehrwert einer inklusiven Musizierpraxis. Die Gestaltung einzelner von den Teilnehmenden mitgebrachter Unterrichtswerke machte deutlich, welche Bedeutung es für jedes Gruppenmitglied hat, über Können zu verfügen, das in Form einer Teil-­Gabe sinnvoll und bereichernd in die Gestaltung eines Werkes eingebracht werden kann. Unmittelbar verbunden mit der Herausarbeitung der individuellen Bedeutung der gezeigten Unterrichtsmethoden und einhergehend mit einer inklusiven Haltung wurden in der Tagung immer wieder auch Bezüge zu aktuellen Herausforderungen für unsere Gesellschaft und für die Zukunft öffentlicher Musikschulen thematisiert.

Mit der Potsdamer Erklärung (2014) haben sich die Träger der öffentlichen Musikschulen in Deutschland gemeinsam mit ihren Trägerverbänden auf Landes- und Bundesebene dazu bekannt, die politisch gewollte Entwicklung einer inklusiven Gesellschaft im Rahmen ihrer Zuständigkeit und ihrer Möglichkeiten durch eine inklusive Schulentwicklung zu unterstützen. Eine Herausforderung inklusiver Musikpädagogik wird zukünftig sein, den Aspekt der Teil-Gabe vermehrt in das Blickfeld der inklusiven Musikschulentwicklung zu nehmen und als Zielvorgabe aller Lehrkräfte zu benennen. Musiklehrkräfte öffentlicher Musikschulen haben die Aufgabe, ihre Schüler*innen zur kompatiblen Teil-Gabe zu befähigen und Erfahrungen zu ermöglichen, die den Mehrwert gemeinsamen Schaffens für die eigene Teil-Habe individuell erkennen lassen. Die für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft notwendige Bereitschaft und Fähigkeit jedes*r Einzelnen, Verantwortung zu übernehmen, gründet auf konkreten Erfahrungen der Selbstwirksamkeit und auf einem subjektiven Gefühl der Zugehörigkeit. Die Fähigkeit der Teil-Gabe weckt und stärkt das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer musizierenden Gemeinschaft und weist weit darüber hinaus. Anhand vieler im Plenum und in kleinen Gruppen musizierter Beispiele wurde zugleich deutlich, dass der Qualitätsanspruch der Lehrkräfte an die musikalischen Ergebnisse – bedingt durch eine inklusive, alle mitnehmende Pädagogik – in keiner Weise vermindert werden muss. Für jeden Menschen finden sich individuelle Teil-Gabe-Möglichkeiten. Diese gemeinsam mit den Schüler*innen zu erkennen, zu entwickeln und zu nutzen ist ein zentraler Baustein individueller Entwicklung.

Unverhandelbare Gelingensbedingung einer inklusiven Musikschulentwicklung ist zugleich, dass der Qualitätsanspruch der Musikschulen nicht nur individuell in der Unterrichtspraxis erfahrbar, sondern auch als Ergebnis von Lernprozessen öffentlich präsentiert wird. So war es ein schlüssiger Bestandteil der Fachtagung, gemeinsam mit den Teilnehmenden in einem Konzert unmittelbar Erfahrungen zu machen und zu reflektieren, welche Wirkung von Qualität getragenes fähigkeitsgemischtes Musizieren auf das anwesende Publikum haben kann. Eigens nach Passau angereist war die Band „Vollgas Connected“ der Musikschule Fürth e. V. Im Konzert trafen die Musiker*innen mit und ohne Behinderung auf die Stadtkapelle Passau, geleitet von Gottfried Wölfl, der als stellvertretender Schulleiter der Städtischen Musikschule Passau auch für die hervorragende Organisation der Fachtagung verantwortlich war. Nach getrennten Darbietungen fusionierten die Ensembles mit zwei typischen Werken der Blasmusik. Zwei Welten begegneten sich. Hier die Band aus Fürth, Beschäftigte in Lebenshilfe-Werkstätten sowie Schüler*innen und Lehrkräfte der Musikschule, dort die Musiker*innen der Stadtkapelle. Eine kurze Anspielprobe am Vorabend in der Jugendherberge Passau und der Bann war gebrochen. Es begegneten sich Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Vorlieben und Bezügen, es begegneten sich Menschen mit verschiedenen Fähigkeiten. Jede*r war gut vorbereitet und mit einer kompatiblen Teil-Gabe gerüstet: Jede*r spielt so gut er*sie kann, niemand spielt, was er*sie nicht kann. Nicht nur die Musiker*innen auf der Bühne, sondern auch das Publikum zeigte sich vom perfekten Zusammenspiel der beiden Klangkörper begeistert. Die Erfahrung des Abends nährte den Respekt vor der bislang eher fremden Welt. Der herzliche Abschied aller Musiker*innen nach dem gemeinsamen Konzertausklang in freundschaftlicher Verbundenheit aufgrund einer gemeinsamen Erfahrung wurde verknüpft mit dem Wunsch, bald wieder einmal gemeinsam zu musizieren. Auch in der Feedbackrunde der Fachtagung wurde übereinstimmend ausgedrückt, „viel gelernt und viel gelacht“ zu haben. Und dies in einer Atmosphäre, die allen Teilnehmenden die Möglichkeit bietet, das Eigene als Potential in das Gemeinsame einbringen zu können.

Inklusives Musizieren – so das gemeinsam gezogene Fazit – ermöglicht, sich als wichtigen Teil der musizierenden Gemeinschaft zu erleben (Teil-Sein). Hervorgehend aus einem inklusiven Selbst- und Weltverständnis leitet sich für alle in der und für die Musikschule Handelnden der Auftrag ab, im Rahmen der eigenen Zuständigkeit eine inklusive Schulentwicklung zu unterstützen, die mit attraktiven Angeboten den Willen zur Teil-Nahme weckt und stärkt, das Menschenrecht auf Teil-Habe umsetzt, die Möglichkeit einer individuellen Teil-Gabe fördert und deren Notwendigkeit begründet und so das subjektive Gefühl der Zugehörigkeit (Sense of Belonging) unterstützt. Dem Wunsch der Teilnehmenden der Fachtagung nach einer Vertiefung der gewonnenen Einsichten entspricht das VBSM-Netzwerk Inklusion mit weiteren Fortbildungsangeboten, aber auch mit Konzertformaten, die die Qualität fähigkeitsgemischter Gruppen erlebbar machen. So zum Beispiel mit dem neunten Fürther Inklusiven Soundfestival #FIS am
5. und 6. Mai 2023 im Kulturforum Fürth unter dem Motto „Einzigartig. Gemeinsam genial.“ Eine herzliche Einladung geht an alle Interessierten.

Weitere Infos zum #FIS auf:
musikschule-fuerth.de

Der Autor des Artikels, Robert Wagner, ist Sprecher des Netzwerkes Inklusion im VBSM

 

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