Peter Röbke ist seit 2010 Leiter des Instituts für Musikpädagogik (IMP) an der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien. Er ist ausgebildeter Schulmusiker und hat von 1985 bis 1994 die Musikschule Berlin-Wedding geleitet. Daneben hat er sich in Gremien und Kommissionen verschiedenen musikpädagogischen Themen gewidmet. Peter Röbke ist Plenumsredner des Musikschulkongresses 2011, der vom 20. bis 22. Mai in Mainz stattfindet. Das Gesamtprogramm des Kongresses findet sich im Internet unter www.musikschulen.de. Die nmz sprach mit Röbke über inhaltliche und strukturelle Veränderungen im Berufsbild des Musikschullehrers.
neue musikzeitung: Sie werden in Ihrem Plenumsreferat auf dem Musikschulkongress über die Identität der Lehrkräfte in Musikschulen sprechen. Wie hat sich aus Ihrer Sicht das Berufsbild des Musikschullehrers in den letzten Jahren verändert?
Peter Röbke: Seit circa 1970 erleben wir eine Professionalisierung in diesem Bereich. Der Beruf des Musikschullehrers war mal eine Nebenbeschäftigung von Orchester-, Schul- und Kirchenmusikern oder auch von Hausfrauen – und ist heute ein Beruf mit einer eigenen Identität. Inzwischen gibt es zum Beispiel auch Hauptfachstudiengänge mit elementarer Musikpädagogik. Man organisiert sich in Fachverbänden, es gibt Kongresse zum Thema und ein dezidiert fachliches Selbstverständnis.
Die andere Sache ist: Das Selbstverständnis und die Identität des Musikschullehrers ist ganz stark an die Institution Musikschule gebunden. In der Gegenwart erlebt er nun den Anspruch, dass wirklich jedes Kind eine instrumentale Grunderfahrung machen soll. Da ist er erst einmal irritiert, wenn plötzlich größere Gruppen und Kinder mit unterschiedlichem Bildungshintergrund vor ihm stehen. Dazu kommt die Einrichtung ganztägiger Schulformen. Das, was sich bisher auf verschiedene Bildungsinstitutionen aufgeteilt hat, müsste sich jetzt mehr und mehr unter einem Dach abspielen. Die Frage lautet: Wie bringen sich Musikschullehrer in die jetzt notwendigen Kooperationsformen ein? Und wie verändern sich möglicherweise das Selbst- und das Fachverständnis, wenn alle unter einem Dach arbeiten?
nmz: Für die Veränderungen braucht der Lehrer neue Kompetenzen, sowohl fachlicher als auch methodischer und sozialer Art. Was kommt da auf ihn zu? Kann er das denn aufgrund seiner Ausbildung überhaupt bewältigen?
Röbke: Man muss sich davor hüten, so etwas zu kreieren wie die eierlegende Wollmilchsau. Der Musikschullehrer hat ja schon zuvor ein ungeheuer breites Spektrum abgedeckt. Man erwartet von einem Musikschullehrer, dass er mit Kindern im Vorschulalter klarkommt, also instrumentale Früherziehung praktiziert. Man erwartet selbstverständlich, dass er mit Kindern im Grundschulalter, mit Pubertierenden, mit jungen und älteren Erwachsenen umgehen kann, und inzwischen arbeiten wir auch musikalisch mit Senioren.
Man erwartet vom Musikschullehrer inzwischen auch, dass er musikalisch mit allen Wassern gewaschen ist, weil die vielen Schüler aus verschiedenen musikalischen Szenen kommen, unterschiedliche musikalisch-stilistische Bedürfnisse haben. Insgesamt sind wir damit schon stark an der Grenze der Überforderung. Zum Dritten: Natürlich haben wir gelernt, in bestimmten Formen zu arbeiten, in der Form des Einzelunterrichts oder der Kleingruppe. Das bedingt ein besonderes Verhältnis zum Schüler, ein besonders individualisiertes und differenziertes Arbeiten. Ein Schulmusiker hat demgegenüber andere Kompetenzen. Der kann sich im System Schule bewegen und mit der Dynamik großer Gruppen umgehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Musikschullehrer nun mit großer Selbstverständlichkeit auch noch die Anforderungen an die Schulmusiker erfüllen soll. Das würde das Profil dann tatsächlich sprengen. Viel sinnvoller ist es doch, zu fragen, wie die jeweiligen Kompetenzen und Herangehensweisen am besten miteinander kombiniert werden können.
nmz: Wie muss sich die Musikschule als Institution umstellen und auf neue Anforderungen reagieren?
Röbke: Ein Stück weit sind die Musikschulen von dieser Entwicklung überrollt worden. In der ersten groß angelegten Studie zum Thema „Musik in der Ganztagsschule“ in Deutschland (MUKUS) wird zum Beispiel das Thema Musikschulen praktisch nicht erwähnt. Bei den ganztägigen Grund- und Hauptschulen scheinen Musikschulen als flächendeckende Institution keine große Rolle zu spielen.
nmz: Sie bilden selbst angehende Instrumentalpädagogen aus. Wie beurteilen Sie den aktuellen Stand der Ausbildung für Musikschullehrer? Muss die Hochschullehre nicht immer hinter neuen Entwicklungen hinterherhinken? Agiert sie, oder reagiert sie?
Röbke: Zunächst einmal sind die Hochschullehre und Studienpläne in mancher Hinsicht definitionsgemäß etwas schwerfällig. Dennoch hat sich meines Erachtens in der Schulmusik und in der Instrumentalpädagogik einiges getan: zum Beispiel in den Bereichen Gruppenunterricht, Improvisation, Elementarmusizieren, Stilistik. Freilich hatte das auch die bereits angesprochene Überforderung zur Folge: Die Studenten hier an der Wiener Universität für Musik werden mit allem konfrontiert, was gut und wichtig ist, hecheln oft von einem zum nächsten und drohen den Überblick zu verlieren. Den neuen schulpolitischen Entwicklungen begegnen wir, indem wir neben der traditionellen Didaktik auch mit einbeziehen, wie sich das Unterrichten unter verschiedenen neuen Bedingungen abspielt, welche neuen Formen des Lernens entstehen und sich einbeziehen lassen.
Auch Studienrichtungen können sich im Übrigen aufeinander zubewegen. So lassen sich zum Beispiel in der Schul- und in der Instrumentalpädagogik ähnliche Schwerpunkte erkennen, die als Studienfächer oder -richtungen kombinierbar sind, zumal bereits viele Studenten beide Studienrichtungen belegen. In manchen Hochschulen hat man versucht, die Bachelor-Studiengänge nicht von vornherein ausschließlich auf eine bestimmte Schulform hin auszurichten. Es gibt also erste Versuche, Lehrer auszubilden, die sich in beiden Systemen zurechtfinden.
nmz: Das klingt nach einer Gratwanderung zwischen der „eierlegenden Wollmilchsau“ einerseits, die Sie ja gerade vermeiden wollen, und einer Spezialisierung andererseits, mit der sich die Studenten jedoch ab einem bestimmten Punkt die beruflichen Chancen verbauen würden.
Röbke: So kann man es sagen. Aus den wenigen empirischen Studien, die bis jetzt vorliegen, geht übrigens hervor, dass sich die funktionierenden Beispiele für Zusammenarbeit zwischen Schul- und Musikpädagogen hauptsächlich den individuellen, konkreten Umständen verdanken: Sie beruhen vor allem auf dem persönlichen Engagement der Beteiligten und ihrer Motivation und hängen ab von den fachlichen, regionalen, kulturellen, räumlichen Umständen. Hier ist wenig normierbar.
nmz: Wenn man zurückblickt, hat man den Eindruck, dass die Hinwendung zum Gruppen- oder Klassenmusizieren gar nicht so neu ist, wie es heute den Anschein hat.
Röbke: In der Geschichte des Musikschulwesens ist in der Tat eine Pendelbewegung zwischen Individual- und Gruppenmusizieren erkennbar: Die ersten Musikschulen waren Vorstufen des Konservatoriums. Dieser Orientierung am Bildungsbürgertum folgte Anfang des 20. Jahrhunderts als Gegenbewegung die Fokussierung auf gemeinschaftliches Musizieren. Da gab es unter anderem die Jugendmusikbewegung und die Gründung der Musikschulen für Jugend und Volk und deren ideologisch bedingte Förderung während des Nationalsozialismus. Die Gegenbewegung folgte wiederum in den 60er-Jahren – auch im Zusammenhang mit der Adorno-Kritik – mit der Forderung, dass das Kunstwerk im Mittelpunkt stehen müsse.
Momentan scheint das Pendel wieder in die andere Richtung zu schlagen, hin zum gemeinschaftlichen Musizieren. Die Aufgabe besteht meines Erachtens darin, nicht einfach die Idee des Gemeinschafts-Musizierens aus den 20er-Jahren kritiklos aufzugreifen und dabei den Instrumentalunterricht sowie den Qualitätsanspruch zu vernachlässigen, sondern im Gegenteil zu einer Synthese zu finden. Das ist der Anspruch an die aktuelle Musikpädagogik.