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Johannes Maria Staud (l.) und Durs Grünbein. Foto: Presse Staatskapelle, Creutziger
Johannes Maria Staud (l.) und Durs Grünbein. Foto: Presse Staatskapelle, Creutziger
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Blutiger Wörtersee: „Der Riß durch den Tag“ von Johannes Maria Staud mit Bruno Ganz und der Staatskapelle Dresden

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Der "Capell-Compositeuer" ist bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden seit 2007 eine feste Einrichtung. In Kooperation mit dem "KlangNetz Dresden" - Projekt des Netzwerk Neue Musik. Nach Isabel Mundry, Bernhard Lang und Rebecca Saunders ist es in diesem Jahr der Österreicher Johannes Maria Staud (*1974), der vornehmlich zum Ende der laufenden Saison drei neue Werke präsentiert. Am vergangenen Sonnabend feierte das Monodram „Der Riß durch den Tag“ von Staud in der Halle der VW-Manufaktur in Dresden seine Premiere.

Dabei kam es zum Treffen zweier Capell-Compositeure, denn Isabel Mundry, erste Capell-Compositrice der Staatskapelle wurde eingeladen, ihre "Scandello-Verwehungen" für Chor und Ensemble, 2010 in einem Konzert zum 450jährigen Bestehen der Sächsischen Kunstsammlungen uraufgeführt, erneut zu präsentieren. Der Chor "Vocal Concert Dresden" präsentierte zunächst Gloria und Credo aus der 1553 entstandenen Messe von Antonio Scandello - ebenfalls ein früher Hofcompositeur in Dresden und einer der ersten, der aus Italien eintraf und damit eine äußerst fruchtbare musikalische Epoche in Dresden einleitete. Mundrys "Verwehungen" bewegen sich ganz auf dem Boden dieser Musik; sie verwischen, verstärken und spiegeln bestimmte Aspekte - eine Art neuer Renaissance-Drive entsteht da, der Altes nicht verleugnet und mit Wahrnehmungsphysiologien bewusst spielt.

Gastdirigent Asher Fish hob dann Johannes Maria Stauds Monodram "Der Riß durch den Tag" aus der Taufe - es ist nach der Oper "Berenice" (2004) Stauds zweite Zusammenarbeit mit dem Dichter Durs Grünbein. Zwar ist dieser in Dresden geboren und sein Text (aus: "Nach den Satiren" aus dem Jahr 1999) zeigte ganz eindeutig die Beschäftigung mit urbanen Perspektiven und Atmosphären, doch ist der Rahmen weiter gefasst. Im Mittelpunkt steht eine dramatische, be- und aufgeladene und kaum optimistische städtische Bilderwelt, die Staud vermutlich eine mühelose musikalische Projektionsfläche anbot - Poesie wird hier zu einer Litanei des kaum Erträglichen, der Ausweg geht nur über Ignoranz oder einer möglichen Wendung nach innen. Die bleibt (fast) aus in Grünbeins Text - Wandlung oder Reinigung ist nicht beabsichtigt. Trotzdem ordnet Staud die musikalischen Formen fast klassisch an und strukturiert daher den oft blutigen Wörtersee stimmig, findet in den Möglichkeiten eines großen Kammerensembles aber auch plastische Gesten des Kommentars.

Eine bessere Besetzung als Bruno Ganz in der Sprecherrolle war kaum denkbar - Ganz füllte das Monodram nicht mehr und nicht weniger als ein professionell geführtes Instrument aus, stellte sich in den Dienst der Musik und des Textes und ließ so Gedankenfreiheit beim Zuhören zu.

Vor Monatsfrist hob die Staatskapelle im 10. Sinfoniekonzert bereits Stauds Orchester-Preludio "Tondo" unter Leitung von Christoph Eschenbach aus der Taufe. "Tondo" ist trotz seiner klanglichen Kanten und Ecken eine "runde Sache", denn das Stück bezieht seinen Reiz aus einer absichtsvoll vom Komponisten gewählten Kreisform, die auch beinhaltet, dass das Stück eigentlich kein Ende hat. Doch der Fluss der Zeit und die Konvention eines Sinfoniekonzertes konnten hier auch nicht gebrochen werden und so endete das Werk bereits nach der Wiederholung des ersten Teils. Im Publikum kam das durchaus komplexe Stück nicht wirklich an, obwohl Staud mit dem Instrument Orchester bestens vertraut ist und in "Tondo" klare Klangsituationen komponierte, die oftmals im Untergrund mit einer welligen Unruhe einhergehen.

In einem Kammerkonzert der Staatskapelle wird am 7.6. in der Semperoper das dritte Stück von Staud für die Dresdner uraufgeführt, ein Solowerk für Fagott namens "Celluloid".

Alexander Keuk

 

„Das treibt mich auf eine wunderbare Weise an“

Michael Ernst hatte Gelegenheit, vorab mit Bruno Ganz zu sprechen

Bruno Ganz ist mal wieder in Dresden, geht fremd und gibt den Star an einem Abend der modernen Musik. Während der Proben zu einem neuen Stück des Capell-Compositeurs Johannes Maria Staud, das am ersten Juni-Wochenende von der Sächsischen Staatskapelle unter Gastdirigent Asher Fisch uraufgeführt wird, ließ sich der von zahlreichen Filmen und auch durch das Theater bekannte Mime über die Schulter blicken und gab Auskunft zu diesem Projekt. Dieses Sonderkonzert bringt immerhin erstmals zwei mit dieser Position – traditionsreiche Vorform der heutigen Composer-in-Residence – geehrte Komponisten zusammen. Von der einstigen Capell-Compositrice Isabel Mundry erklingen die zum 450-jährigen Bestehen der Dresdner Kunstsammlungen geschriebenen „Scandello-Verwehungen“, der aktuelle „Amtsinhaber“ Johannes Maria Staud steuert „Der Riß durch den Tag“ als von der Kapelle in Auftrag gegebene Uraufführung bei.

Dass der aus Zürich kommende Bruno Ganz mit tätigen Nachfahren von Heinrich Schütz, Johann Sebastian Bach, Richard Wagner und Richard Strauss zu tun hat, scheint ihm gar nicht recht bewusst: Er sei der Musik „nicht so sehr verhaftet“ und habe auch von Mundry und Staud zuvor noch nichts gehört. Das teilt der 70-Jährige wahrscheinlich mit der Masse des Publikums, doch wenn die Konzertbesucher eine ähnliche Begeisterung empfinden wie Ganz schon nach den ersten Proben, dann dürfte sich jede Mühe gelohnt haben. „Für mich sind die handwerklichen Möglichkeiten der Musik immer wieder phänomenal. Aus dem Zusammentreffen mit Klang bekommt jedes Wort einen ganz anderen Wert, wird zu einer Materie, die tiefe Empfindungen auslösen kann,“ sagt Ganz.

Das Uraufführungswerk trägt den Titel „Der Riß durch den Tag“ und basiert auf dem 1999 erschienenen Gedichtband „Nach den Satiren“ des Dichters Durs Grünbein. Bruno Ganz ist dem in Dresden geborenen Autor mehrfach begegnet und schwärmt heftig von dessen Schreib- wie auch von seiner Vortragskunst. Auch Komponist Johannes Maria Staud, der bereits für seine Oper „Berenice“ mit Grünbein zusammengearbeitet hatte, spricht von „glücklicher Fügung.“ Die beiden begegneten sich vor knapp zehn Jahren anlässlich der Berliner Festspiele und hätten sich sofort wechselseitig inspiriert gefühlt, erklärt der Musiker. „Wir arbeiten beide sehr akribisch, haben ähnliche Vorlieben und sind davon durchdrungen, Wege zu finden, eine Idee bestmöglich auszudrücken,“ begründet dies der 1974 in Innsbruck geborene Komponist.

Unmittelbar nach der ersten Probe zeigt sich Bruno Ganz von Text und musikalischer Umsetzung faszinert: „Ich glaube, Herr Staud hat ein enormes Verhältnis zu diesem Text, eine Affinität geradezu.“ Angenähert habe sich Ganz diesem Projekt „ganz einfach: Lesen, lesen, lesen!“ Die Musik aber als weitere Ebene bringe ihn in ein anderes Tempo, wecke Emotionalität, die wiederum hinter die Zeilen blicken lasse. „Das treibt mich auf eine wunderbare Weise an,“ gesteht Ganz, „ich fühle mich gefordert und gerate so auf Wege, die ich vorher gar nicht beabsichtigt hatte.“

Dass es von Stauds „Riß durch den Tag“ vorerst nur zwei Aufführungen geben soll, die in der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen stattfinden werden, störe ihn nicht. Kino sei „zwar haltbarer, aber eigentlich mag ich die Einmaligkeit.“ Ähnlich pragmatisch klang Bruno Ganz auch in seiner 2007 in der Semperoper gehaltenen Laudatio auf den Musikfestspiel-Preisträger Gidon Kremer, so wird er auch in künftigen Projekten – demnächst etwa musikalische Lesungen von Ovid bis Goethe, Viktor Ullmanns „Cornet“-Oper in Salzburg – genreübergreifend beschäftigt sein. Dass der Viel-Leser so wenig zum Musikhören komme, empfinde er freilich als „lamentabel“.

Glücklich mit dieser Zusammenarbeit ist der Capell-Compositeur Johannes Maria Staud: „Ich hab viel von Bruno Ganz gesehen, das hat mein Schreiben inspiriert. Dass eine solche Persönlichkeit hilft, Neuer Musik ein Podium zu geben, ist großartig!“

Michael Ernst

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