Anfang Mai hatte das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin (DSO) im neuen Probenzentrum in den Wilhelm Hallen BURNING ISSUES meets Orchestra auf dem Programmzettel. Es war die bereits siebte Ausgabe des Konferenzformats BURNING ISSUES, das alljährlich Missstände und Ungerechtigkeiten an und auf deutschen Bühnen verhandelt. Gemeinsam mit dem DSO und der Interessenvertretung Freier Ensembles und Orchester (FREO) standen nun erstmals Kontexte aus Musik und Orchester im Fokus.

Mit Keynotes und Konzert: Siebte Ausgabe der „Burning Issues“-Konferenz. Fotos: Jonas Walter
Brennende Fragen nach Gerechtigkeit und Gleichstellung
Zu den „Burning Issues“ zählen Themen wie Gleichstellung, Gender-Gerechtigkeit, Kunst & Care, Diversität sowie Abbau des Gender Pay Gaps und struktureller Diskriminierungen von FLINTA*. Diesen dringenden Problemen widmet sich die Theaterszene in Form einer gleichnamigen Konferenz seit 2018, als die beiden Theatermacherinnen Nicola Bramkamp, Kuratorin und Gründerin der Art meets Science Initiative „Save The World“, und Lisa Jopt, mittlerweile Präsidentin der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger, dieses Format ins Leben riefen. Bei der diesjährigen Ausgabe lag der Schwerpunkt in Kooperation mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin (DSO) und FREO, der Interessenvertretung freier Ensembles und Orchester in Deutschland, zum ersten Mal auf dem Musikleben unter dem Motto: Performing Arts and Classical Music. Am 10. Mai trafen sich Vertreterinnen der Darstellenden Künste von Stadt- und Staatstheatern, freischaffende Regisseurinnen mit Vertreterinnen der Orchesterlandschaft, der Musikwissenschaft und der Kulturpolitik in den Wilhelm Hallen in Berlin-Reinickendorf. Am 11. Mai vertrat Jopt „Burning Issues“ auf dem Podium & Arbeitstische „Und Jetzt? Strategien & Allianzen gegen die große Kulturdepression“ des Theatertreffens Berliner Festspiele.
Eröffnet wurde die Konferenz am Samstag nach einer kammermusikalischen Begrüßung durch das DSO mit einer Keynote der designierten Senatorin für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt Berlins Sarah Wedl-Wilson, in der sie sich zu einer feministischen Kulturpolitik und zu Kultur für alle bekannte. Als Kulturpolitikerin verspricht sie, sich für eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, für die Förderung der jungen Generation, insbesondere der Frauen, für die Reduzierung des Gender Pay Gaps, für mehr FLINTA* in Kuratorien und Intendanzen sowie für mehr Diversität einzusetzen. Der Kultursektor Berlins soll offen, transparent, gerecht und zugänglich für alle werden.
Beim nachfolgenden Panel mit einem Impulsvortrag der Musikwissenschaftlerin Susanne Wosnitzka diskutierten mit ihr die Hamburger Regisseurin Mable Preach („Opera of Hope“) sowie die Co-Intendantin des Hessischen Landestheaters Marburg Eva Lange über die Frage der Darstellung von Frauen im Musiktheater und wie die Narrative der sterbenden und stöhnenden Frau, der femme fragile/fatale, von sexueller Gewalt und Femiziden feministisch umgedeutet und neu erzählt werden können.
Nach der Mittagspause ging es mit sechs Schlaglichtern von ermutigenden Initiativen, Projekten und Karrieren weiter, und zwar Music S Women* (Kulturmanagerin Anna-Lena Öhmann), Bühnenmütter e.V. (Dirigentin Magdalena Klein), Auszüge aus Patty Kim Hamiltons Stück „Sex Play“ (Carla-Frieda Nettelnbreker, Performance; Tjana Thiessenhusen, Regie), das zeitgenössische Musikensemble LUX:NM (Kulturmanagerin Katrin Thomaneck), die Leiterin der Werkstätten der Staatsoper Hamburg Steffi Braun sowie der nichtbinäre Schauspieler, Regisseur und Choreograph Heinrich Horwitz.
Das Abschlusspanel mit der Co-Intendantin am Schauspiel Essen Selen Kara, der Verwaltungsdirektorin und Co-Geschäftsführerin des Staatstheaters Hannover Doris Beckmann sowie der ehemaligen Leiterin Finanzen und Verwaltung des DSO Alexandra Uhlig widmete sich vor allem der strukturellen Benachteiligung von Frauen im öffentlich geförderten Musik- und Theaterbereich. Einige Aspekte wurden dabei besonders kritisiert, und zwar die großen Gehaltsunterschiede zwischen den Orchestermitgliedern und der -verwaltung, die sehr unterschiedlichen, im Orchester angewendeten Tarifverträge sowie die mangelnde Transparenz und Informationsweitergabe, insbesondere an Frauen in Führungspositionen, in den jeweiligen Institutionen.
Beim Podium des Theatertreffens am Sonntag waren sieben Vertreter*innen der Theaterszene geladen, die von ihren Erfahrungen mit der Bedrohung durch den Rechtsextremismus und durch die Kulturetatkürzungen berichteten und gemeinsam mit dem Publikum darüber diskutierten. Dabei wurde vorgeschlagen, der derzeitigen Kulturdepression mit Transformation der Institutionen, mit Solidarität und Teilhabe des Publikums, politischem Druck, Vernetzung in andere Bereiche wie den Bildungssektor, Skill Sharing und dem gemeinsamen Nutzen vorhandener Ressourcen zu begegnen.
Die diesjährige siebente Ausgabe von „Burning Issues“ war in Zeiten knapper Kassen auch die letzte. Nun folgt eine Fortsetzung in Form der „Burning Issues Academy“ mit Online-Workshops und Seminaren in Kooperation mit der Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel. Gerade für die erstmalige Kooperation mit dem Musikbereich ist das bedauernswert, denn eines wurde deutlich: Im Musikbereich, besonders im Klassiksektor, fangen viele oft gerade erst an, diese Themen überhaupt wahrzunehmen, und könnten vom Theaterbetrieb noch einiges lernen. Nun ist es anderen Initiativen wie Music Women* Germany oder dem Internationalen Arbeitskreis Frau und Musik überlassen, diese Themen auch im Bereich der klassischen Musikszene stärker anzugehen.
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