Die Punkte zwischen den Wörtern sind ein bisschen modisch, aber nur ein bisschen. Sie trennen Begriffe, die nicht zufällig in einer Reihe stehen, Begriffe, die zusammengehören. Sie signalisieren, dass es für jede Musiklehrerin, für jeden Musiklehrer im Grunde notwendig, in jedem Fall aber hilfreich ist, zunächst einmal für sich selbst diese Begriffe samt den dazugehörigen Emotionen zu klären, um schließlich zu einem Entwurf dessen zu gelangen, was im Unterricht geschehen soll.
Da ist zunächst einmal die Musik und eine Liebesgeschichte. Dass irgendjemand Musik studiert, ohne die Musik zu lieben, ist schwer vorstellbar. Besser vorstellbar ist, dass die Schülerinnen und Schüler eine ganz andere Musik lieben, als die, die Musiklehrerinnen und Musiklehrer studiert haben. Was ist zu tun? Aneinander vorbei lieben? Die Dramen enttäuschter Liebe enden schon seit der griechischen Antike in Tod und Verzweiflung. So schlimm muss es im Musikunterricht nicht werden, aber Frust und Spott, Beschämung und Unverständnis sind auch schon schlimm genug. Wenn ein Musiklehrer hoffentlich nur zu seiner Kollegin sagt, „Brahms mit Schülern ist Perlen vor die Säue“, ist das nicht nur unwissend – man könnte auch sagen arrogant – es ist auch ein Aneinander-vorbei-lieben. Wenn das Hören des Operngesangs von einer koreanischen Mutter mit einem behinderten Kind als ein gewisser Trost empfunden wird, weil „die Person statt meiner schreit“, ist das kein Aneinander-vorbei-lieben, sondern eine Bedeutungszuweisung, die den operngesanggewohnten Europäer hoffentlich berührt und überrascht: Stimmt, so kann man es auch erleben. Der Umgang mit der Musik der anderen ist freilich gar nicht so einfach. Ein Großteil der Musik im eigenen Land, die ein Code für ein ganz anderes als das eigene Milieu ist, mag so fremd wirken wie jodelnde Cowboys. Stichwort Helene Fischer. Welchen Musikunterricht hatten eigentlich die Fans, die in den Konzerten strahlend diese Applausplastiknudeln aneinander schlagen? Es ist nicht immer leicht mit der Toleranz, das darf auch einmal gesagt werden. Bei aller Liebe.
Neugier auf Vielfalt ist eine Haltung, die nicht verordnet werden kann, und man muss nicht alles Neue mögen. Aber man darf schon staunen darüber, was es alles gibt. Andauerndes Staunen ist auch keine Lösung, man darf auch nachfragen, wie die Dinge geworden sind, wie sie sind. „Nature loves variety, but unfortunately, society doesn’t.“ Nature loves variety – was heißt das für den Unterricht? Die Suche nach dem Gleichen innerhalb der Vielfalt kann – interdisziplinär – bei den Chladnischen Figuren beginnen und in der Wahrnehmung von Symmetrien in Natur, Kunst und Musik enden. Sie kann bei der Suche nach Instrumenten gleichen Prinzips aber verschiedener Bauart in einem Rundgang einmal um die Welt beginnen und beim Staunen darüber, wie Menschen unter besonderen Bedingungen Instrumente wie Gitarre oder Horn spielen, zum Beispiel mit nur einer Hand oder ohne Hände, enden. Die Haltung und Methode des forschenden Lernens führt unweigerlich in die Wahrnehmung von Vielfalt, in die Wahrnehmung der Vielfalt der Töne und Tonordnungen, der Rhythmen, der Spannungsbögen, der Instrumente und die Bandbreite ihrer Spielweisen in aller Welt. Kennen Sie den beatboxenden Blockflötisten aus Ägypten?
Das aktuelle Integrationsbarometer sagt, dass die große Mehrheit der Deutschen Migration als Bereicherung sieht, was angesichts gewisser Entwicklungen im Wählerspektrum doch auch positiv überraschen mag. Integration bleibt als Thema in jedem Fall auf unabsehbare Zeit erhalten.
Die kulturelle Heterogenität der Schülerinnen und Schüler verlangt einen Ansatz jenseits einer bisher gedachten Schülerorientierung, der die Kulturen der Herkunftsländer oder die längst entstandene Migrantenprotestmusikszene thematisiert. Könnte es nicht ein lehrreiches und ebenso humorvolles Unterrichtsprojekt sein, die deutsche Kulturlandschaft mit den Augen eines Ethnologen von woher auch immer zu betrachten? Und daraus eine Performance zu machen? Oder: Man nehme ein Phänomen, zum Beispiel ein Instrument mit einer Saite, und wandere in der Suche nach ihm in Geschichte und Gegenwart einmal um die Welt. Vom Monochord des Pythagoras über das Berimbao bis zum vietnamesischen Đàn bâu ist allerhand zu entdecken – und auch zu spielen. Wenn auf der Suche – im Zuge des forschenden Lernens suchen die Kinder und Jugendlichen selbst – eine der Kulturen berührt wird, zu der es herkunftsbedingt besondere Beziehungen gibt, auch gut. Die besondere Beziehung darf und muss freilich freiwillig erscheinen, sie wird nicht abgefragt. Forschungsvorhaben, Musikpraxis, Performance, so könnte die Reihenfolge sein, wobei Forschungsvorhaben und Musikpraxis permanent ineinandergreifen.
Das Thema Inklusion verliert seine Dramatik bei genauerem Hinsehen sozusagen spontan: Die größte Zahl der sogenannten „Inklusionskinder“, ein politisch inkorrektes Wort, muss im Musikunterricht überhaupt nicht auffallen: Wie drückt sich sogenannte Lernbehinderung beim Singen, Musikhören, Experimentieren, bei Bodypercussion und forschendem Lernen aus? Natürlich muss „man“ etwas über die Folgen bei Beeinträchtigungen der Wahrnehmung etwa bei Autismus wissen, wenn ein Kind mit Autismussyndrom in der Klasse ist, natürlich ist es zweckmäßig, im Zweifelsfall etwas über Methoden zu wissen, wie mit sogenannter Verhaltensauffälligkeit umzugehen ist. Inklusion ist kein Beschluss, sondern auch ein Handwerk.
Vor Jahren war die Rede von einer Untersuchung, welche der psychotherapeutischen Verfahren am effektivsten sei. Das erstaunliche Ergebnis: Es ist egal, nach welcher Methode die Therapeutinnen und Therapeuten arbeiten, entscheidend sind die Vermittlung des Gefühls von Akzeptanz und die Beziehung. Dieses auf Unterricht „hochgerechnet“ heißt, die Liebesgeschichte, von der anfangs die Rede war, immer wieder neu zu beleben. Dann kann es schon passieren, dass Kinder auch zu Ihnen kommen: „Herr …“ oder „Frau …“, Sie sind ja ein richtiger Lehrer!“ Dann stimmt es: Happy teachers change the world.
- Lesen Sie auch den Themenschwerpunkt „Schulmusik heute“ ab Seite 17.