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Wien - Konzertaufführungen klassischer Musik sind oft ein eingespieltes Ritual. In den großen Konzertsälen in Berlin, München oder Wien lauscht ein oft überwiegend grauhaariges Publikum in bequemen Plüschsesseln der Musik von Mozart, Beethoven oder Brahms - elegante Abendgarderobe und Pausensekt inklusive. Der österreichische Dirigent Martin Haselböck will die Musik aus diesem Korsett befreien.
In Wien führt er deshalb sämtliche Beethoven-Sinfonien an Originalspielorten auf. Bei den Uraufführungen vor etwa 200 Jahren ging es deutlich ruppiger zu als heute.
«Beethoven wollte in kleinen Räumen mit großen Orchestern möglichst viel Krach machen», sagt Haselböck, der bereits weltweit führende Orchester dirigierte, darunter das Gewandhausorchester Leipzig, die Dresdner Philharmonie und die Symphonieorchester von Pittsburgh, San Francisco und Los Angeles. «Es muss damals eine Atmosphäre wie bei heutigen Rockkonzerten gewesen sein.»
In Säle, die heute für einige hundert Menschen zugelassen sind, habe Beethoven damals mehr als 1000 Zuhörer gequetscht, sagt Haselböck. Etwa in den Festsaal der Akademie der Wissenschaften in Wien. «Die Leute haben dicht gedrängt gestanden, sie konnten während der Aufführungen rein- und rausgehen.» Dieses Stehplatz-Feeling wünscht sich Haselböck auch für seine Konzerte - ob das wegen der heutigen Sicherheitsstandards in den Sälen möglich sein wird, ist allerdings noch offen. Zum Auftakt am Samstag (4. Oktober) im Theater in der Josefstadt steht unter anderem die 8. Sinfonie auf dem Programm.
«Die Aufführungen hatten damals eine viel unmittelbarere und körperlichere Wirkung als heute in den weiten Konzertsälen», meint die Musikwissenschaftlerin Birgit Lodes von der Universität Wien. In der österreichischen Hauptstadt gibt es viele der Originalspielstätten noch. Heutzutage werden sie jedoch kaum noch für Musikveranstaltungen genutzt, wie etwa das Theater in der Josefstadt oder das Palais Niederösterreich.
In seiner Konzertreihe, die bis 2015 angesetzt ist, will der 59-Jährige Haselböck jedoch auch musikalisch der Zeit des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts so nah wie möglich kommen.
Die Musiker seines Originalklangorchesters Wiener Akademie spielen auf historischen Instrumenten. Teilweise handelt es sich um Originale aus dem 18. und 19. Jahrhundert, teilweise um Nachbauten. Die Streichinstrumente sind mit Darm- statt Stahlsaiten ausgestattet, die Blechinstrumente haben keine Ventile.
«Beethovens Musik hatte damals Provokationspotenzial», sagt Lodes. Sie sei teilweise als bizarr, als zu modern und zu exzentrisch wahrgenommen worden. Die 2. Sinfonie beispielsweise wurde nach der Uraufführung im Jahr 1803 vom Schriftsteller und Komponisten Friedrich Rochlitz, dem Gründer der bedeutenden «Allgemeinen Musikalischen Zeitung», als «crasses Ungeheuer» bezeichnet, das «vergeblich wüthend um sich schlage». «Heute verbinden wir hingegen immer etwas Erhabenes damit», sagt Lodes.
«Ich will dem Klang nahekommen, der damals gehört und gefühlt wurde», sagt Haselböck. Doch an dieser historisch orientierten Aufführungspraxis, als deren Vorreiter der Dirigent Nikolaus Harnoncourt gilt, gibt es von Musikern und Zuhörern auch oft Kritik. Hätte Beethoven moderne Flügel mit größerem Tonumfang und breiterem Klang zur Verfügung gehabt, hätte er auch dafür komponiert, lautet eines der Gegenargumente. Oder: Hätte Bach mehr Sänger gehabt, hätte er sie auch eingesetzt.
«Die eine, «richtige» historische Aufführungsart gibt es nicht», sagt Musikwissenschaftlerin Lodes. Stattdessen habe die Art der Darbietung und die Zahl der Musiker bei ein- und demselben Stück extrem variiert, je nachdem wo es gespielt wurde. «Aber die Originalschauplätze, in denen heutzutage kaum noch musiziert wird, eröffnen in jedem Fall neue Perspektiven.»
Alkimos Sartoros