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Kiew (ddp). Alle Achtung. Da sang sich Gracia beim 50. Grand-Prix-Jubiläum am Samstagabend eben noch zielsicher auf den allerletzten Platz - schon trat sie aus Kiews Sportpalast vor die Presse und strahlte. «Ich fühle mich nicht als Verlierer», sagte sie. Im Gegenteil, sie fahre stolz nach Hause. In der Politik könnte selbst der gewiefteste Generalsekretär solch ein Debakel nicht mehr schön reden.
Doch Gracia nimmt man es fast ab. Ist nun alles halb so schlimm? Auf der Achterbahnfahrt durch die Geschichte des Musikwettstreits der Eurovisionsländer ist Deutschland jedenfalls mal wieder ganz unten angekommen - zum bislang fünften Mal.«Das war eben kein Grand-Prix-Song», sagte Gracias Komponist David Brandes über seinen Grand-Prix-Song. Der Titel «Run & Hide» habe rhythmisch einfach zu wenig hergegeben für ein Showspektakel, wie es heute eben gefordert sei. Im schwarzen Ledermantel hatte sich Gracia, ganz Rocklady, sichtbar ins Zeug gelegt - so sehr, dass ihre Stimme sich beim ohnehin schon etwas jauligen Refrain («Haiiiaiiid») beinahe überschlug. Einzig Monaco und Moldawien waren das je zwei Punkte wert.
Die griechische Sängerin Helena Paparizou, von vielen vorab favorisiert, gab dagegen mit ihrem orientalisch gefärbten Ethno-Popsong «My Number One», viel Temperament und ausgefeiltem Begleittanz die Richtung vor - und kassierte beim abschließenden Zählmarathon reihenweise die begehrten «12 Points» ab. Überglücklich nahm die hübsche Griechin schließlich aus den Händen des neuen ukrainischen Ministerpräsidenten Viktor Juschtschenko die Siegestrophäe entgegen.
Auch sonst ging so mancher originelle Beitrag über die Bühne. Die üppige Malteserin Chiara etwa setzte sich von ihrer durchweg mit Idealfiguren gesegneten Konkurrenz nicht nur optisch ab. Ihr beeindruckendes Stimmvolumen quittierte das Publikum mit Rang zwei.
Das lettische Duo Walters & Kazha sang sich mit rühriger Ballade und putziger Choreografie in die Herzen aller Schwiegermütter und auf Platz fünf. Und die Republik Moldau sorgte bei ihrer Grand-Prix-Premiere für Schmunzeln: Ihre Band Zdob si Zdub garnierte ihren für Eurovisionsverhältnisse ungehörig explosiven Gitarrensound mit einer trommelnden Trachten-Oma im Schaukelstuhl. Daraus wurde Platz sechs.
Dass in Deutschland nun die Alternative zu Gracia & Co. alle Jahre wieder nur die obligatorische Schnulze von Ralph Siegel ist, macht spätestens seit der neuerlichen Blamage auch dem Grand-Prix-Verantwortlichen der ARD, Jürgen Meier-Beer, zu schaffen.
«Im Vorentscheid war kein Titel, der deutlich besser abgeschnitten hätte», kritisierte er das mangelnde Interesse der deutschen Musikbranche an dem eigentlich prestigeträchtigen Eurovisionswettbewerb.
Der ist immerhin die größte Fernsehshow Europas und ließ am Samstag nach NDR-Schätzung wieder mehr als 100 Millionen Menschen zuschauen, die lästerten, sich ärgerten oder freuten.
In der Ukraine ließ dieser Umstand den Wettbewerb zu ganz neuen Ehren kommen. Präsident Juschtschenko persönlich hatte sich der Organisation des TV-Events angenommen, in dem er wenige Monate nach der friedlichen Revolution im Winter ein ideales Prestigeobjekt auf dem langen Weg in die EU sah. Das Volk war stolz darauf und feierte auf Kiews Unabhängigkeitsplatz tagelang dem Finale entgegen. Dass der nationale Beitrag, der Revolutions-HipHop «Razom Nas Bahato» («Zusammen sind wir viele») von Greenjolly, nicht in die Fuß-Stapfen von Vorjahressiegerin Ruslana treten konnte und nur auf Platz 20 landete, trugen die meisten mit Fassung.
Auf dem Weg zu Deutschlands Platz 24 am Tabellenende landeten kurioserweise ausgerechnet die drei anderen großen Beitragszahler der Eurovision - Frankreich, Großbritannien und Spanien. Dort sei, erklärte der Präsident des deutschen Grand-Prix-Fanclubs, Michael Sonneck, das Interesse an dem Wettbewerb ähnlich schwach ausgeprägt wie in Deutschland.