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Mit einem Galakonzert im Großen Sendesaal des RBB hat Ingo Metzmacher gestern Abend seine erste Saison als neuer Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin (DSO) begonnen. In der gerade erschienenen September/Oktober-Ausgabe von politik und kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates, schreibt Ingo Metzmacher, warum er sich auf die Suche nach der deutschen Seele in der Musik begeben will.
Quelle: politik und kultur Nr.05/07 • September/Oktober 2007Gastkommentar
Was ist deutsch an der Musik?
Von Ingo Metzmacher
Wenn ich meinen Freunden im Ausland erzähle, dass ich mich in der Zukunft besonders mit dem „Deutschen“ in der Musik beschäftigen möchte, rollen sie verwundert mit den Augen. Das sei ja Eulen nach Athen tragen. Die deutsche Musik würde doch ohnehin überall gespielt. Sei es nicht viel wichtiger, geradezu zwingend, heute, im Zeitalter der Globalisierung, das Internationale der Musik, ihre grenzüberschreitende, Völker verständigende Kraft hervorzuheben. Hm, stimmt. Da ist was dran. Beethoven, Brahms und Bruckner, Wagner und Strauss, Schumann und Mendelssohn sind omnipräsent auf den Konzertpodien dieser Welt. Kein Tag vergeht, an dem ihre Stücke nicht gespielt werden, von Shanghai bis San Francisco, von Helsinki bis Kapstadt. Was gäbe es da noch zu entdecken. Musik sei doch sowieso deutsch. Das ganze große Erbe. Vom alten Bach angefangen. Stimmt haargenau. Trotzdem, seien wir ehrlich: Wissen wir Deutschen etwas davon, sind wir uns dieser Tatsache wirklich bewusst? Ist diese Erkenntnis etwa Teil unserer neu gewonnen Identität?
An dieser Stelle gilt es, einem Missverständnis vorzubeugen. Natürlich meine ich die Musik des deutschsprachigen Kulturraums. Mozart und Haydn, Schubert, ja der vor allem, Schubert also und Mahler, schließlich Schönberg und die Explosion der Moderne haben auch in diesem Raum gelebt und stattgefunden. Wenn ich in Wien bin, spüre ich dieses Bewusstsein an jeder Strassenecke. Komme ich nach Berlin, fällt mir das schwerer. Und davon spreche ich. Denn wie kann es sein, dass in einem Land, in das Jahr für Jahr junge Menschen aus der ganzen Welt strömen, um an der Quelle die Sprache zu lernen, die sie vor allem mit Deutschland verbinden, nämlich die Musik, wie kann es also sein, dass ausgerechnet dieses Land den Musikunterricht an seinen Schulen verkümmern lässt? Wie kann es sein, dass ein Land, das von der gesamten übrigen Welt darum beneidet wird, dass es eine unvorstellbare Anzahl an Opernhäusern, Theatern und Orchestern beheimatet, eine kulturelle Vielfalt also sein eigen nennt, die ihrem Reichtum und ihrer Qualität nach tatsächlich einzigartig ist, wie kann es also sein, dass dieses Land es zulässt, dass eine so einmalige kulturelle Landschaft, ererbt über viele Generationen, allmählich immer mehr ausdünnt? Es kann nur damit zu tun haben, dass wir uns eben dieser unserer eigenen Tradition nicht genug bewusst sind. Jetzt, da die Suche nach einer Identität des „Deutschen“ neu begonnen hat, ist es vielleicht an der Zeit, sich auch mit dem ganz besonderen Verhältnis der Deutschen zur Musik zu beschäftigen. Es handelt sich eben nicht um eine reine Liebhaberei, sondern um eine tief verwurzelte, ja fast leidenschaftliche Beziehung, die seit Jahrhunderten andauert und in der sich weit mehr abbildet als ein Feierabendvergnügen. Nicht umsonst waren es die Nazis, denen es gelang, diese ganz besondere Beziehung für sich auszunutzen, indem sie Wagner und Beethoven für ihre Sache missbrauchten, andere Komponisten dagegen kurzerhand zu „Entarteten“ erklärten, Aufführungen ihrer Werke verboten, sie zum Gang ins Exil zwangen oder zur Bedeutungslosigkeit verdammten. Die Folgen spüren wir noch heute. Gerade im 20. Jahrhundert spiegelt die Geschichte deutscher Musik allen Glanz und alles Elend dessen wider, was aus Deutschland über die Welt hereinbrach. In der Musik von Hans Pfitzner und Kurt Weill, von Carl Orff und Karl Amadeus Hartmann finden wir Haltungen wieder, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten. Und auch nach dem Zweiten Weltkrieg war es wieder in Deutschland, genauer gesagt in Darmstadt, dass die Neue Musik – eine bisher ungehörte – entstand. Deutschland ist ein Ort der Musik und sollte es bleiben. Hören wir auf, von Standortfaktoren, Umwegrentabilität und anderen scheinbar greifbaren Effekten zu reden. Seien wir uns einfach bewusst darüber, dass unser Selbstverständnis, unser Blick auf die Welt und deren Blick auf uns sehr viel mehr mit Musik zu tun hat, als wir uns eingestehen.
Meine Freunde im Ausland sind nachdenklich geworden. Sie haben mir versprochen, im Herbst nach Berlin zu kommen und sich einige Konzerte anzuhören. Die Suche nach dem „Deutschen“ in der Musik hat gerade erst begonnen.
Der Verfasser ist Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des Deutschen Symphonieorchesters Berlin
Quelle: politik und kultur Nr.05/07 • September/Oktober 2007