Body
Bonn (ddp). Im Vorfeld herrschte helle Aufregung in der ehemaligen Bundeshauptstadt. Mit der Ankündigung des Bonner Ballettchefs Johann Kresnik, mit seinem neuen Tanztheaterstück nicht nur Hannelore Kohl, die verstorbene Gattin des ehemaligen Bundeskanzlers, sondern auch die Bonner Republik mit ihren Machenschaften zu porträtieren, begann eine heftige Diskussion.
Am Freitagabend fand nun die Uraufführung von «Hannelore Kohl» an den Bonner Bühnen statt, die mit langhaltendem Beifall und Jubel überraschend einstimmig aufgenommen wurde.Selbst Kresnik als Altmeister und Enfant Terrible des zeitgenössisches Tanzes wurde ohne jede Missfallensbekundung gefeiert. Aus der Idee der Librettisten Uschi Otten hatte er eine Tanz-Revue mit Musik von Richard Wagner bis Conny Froboess gemacht, um das Leben der Titelfigur vor allem mit seinen Schattenseiten in neunzig Minuten pointiert nachzuzeichnen.
Und natürlich kommt Kresnik nicht ohne die von ihm gewohnten Aktualitätsbezügen aus, mit denen er den langen Weg der Hannelore Kohl bis zur fürsorglichen und schließlich enttäuschten Gattin Helmut Kohls markiert. So schwebt gleich zu Anfang auf die karge, nur von riesigen Stoffbahnen eingezäumten Bühne eine kleine Fallschirmspringer-Puppe herunter. In den Farben Blau-Gelb und damit als Anspielung auf den spektakulären Tod des FDP-Politikers Jürgen Möllemann.
So sehr Kresnik das politische Schicksal mit dem persönlichen Schicksal der Hannelore Kohl kombiniert, die 2001 aufgrund einer schweren Krankheit Selbstmord beging, so beginnt damit ein Reigen von 22 Szenen, in denen sich ständig private Demütigungen und machtpolitische Ränkespiele abwechseln. Aus der Tochter eines Nazi-Täters wird so zunächst eine flotte Wirtschaftswunder-Braut - in Pettycoat und kaugummikauend.
Bis zum ersten Mal Helmut Kohl auftaucht. Bei Kresnik hat er so viele Gesichter, wie gleich mehrere Tänzerinnen zur Hannelore Kohl mit wasserstoffblonder Perücke werden. Während Hans-Jürgen Moll von seiner Statur und seines Gewichts her ganz zum perfekten Kohl-Double wird, sehnt sich Hannelore Kohl mit drahtigen Tänzern aus der Enge des Hausfrauendaseins heraus.
Dieser Wechsel von Außen und Innen, von Pflichtbewusstsein und Wunschträumen ist auch die Stärke des Abends. Auf der einen Seite ist Hannelore Kohl hautnah dabei, wie ihr Mann sich mit den USA und der ehemaligen Sowjetunion um die splitternackte DDR reißen. Und auch später wird sie vergeblich versuchen, ihren Helmut von den Spendenvorwürfen reinzuwaschen, der nebenbei seinen Weggefährten Wolfgang Schäuble einfach aus dem Rollstuhl in den Orchestergraben stürzt. Zwischen diesen bisweilen schrill inszenierten Momentaufnahmen der bundesdeutschen Politik gibt es immer wieder Szenen, in denen Kresnik zum reinen Tanz zurückkehrt. Wenn er Hannelore Kohl in eine monologische Einsamkeit treibt und die im fulminanten Schlussbild gipfelt. Auf einen Schlag verwandelt sich die Bühne in eine grelle, blendende Licht-Installation, wird sich die an einer Lichtallergie leidende und auch körperlich dahinsiechende Kohl verbrennen.
So sehr Kresnik auch hier eindrucksvolle Bilder erfand, so wurde jedoch damit Hannelore Kohl zu einer Frauenfigur der Zeitgeschichte aufgewertet, die sie nicht war. Mit Leni Riefenstahl oder Ulrike Meinhof, denen Kresnik bereits Tanzprojekte widmete, kann sie nun doch nicht mithalten. http://www.theater-bonn.de
(Johannes Fischer)