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Bayreuth: Hasen, Sängerkrieg und Technikprobleme - Bayreuth ist immer noch kein bisschen langweilig, und wenn es schon nicht im heiligen Musentempel kracht, so doch wenigstens vor den Toren.
Der von vielen erwartete Skandal um Christoph Schlingensiefs neuen «Parsifal» blieb bekanntlich aus, der Bürgerschreck von einst präsentierte eine Inszenierung, über die eher diskutiert als gestritten wurde. Denn das Premierenpublikum gab sich offen für Voodoo, Video plus Nahtod-Erfahrung, und damit landete der medienwirksame Hügel-Zwist auf den Nebenschauplätzen: Tenor und Technik sorgten für die Schlagzeilen. Gleich zum Auftakt lieferten sich Endrik Wottrich, der Sänger des Parsifal, und Schlingensief einen hässlichen Disput um «Rassismus» und «Reinheitsbegriff», bei dem sich der Tenor völlig entblößte. Die Wellen schlugen also schon einigermaßen hoch, als auch noch Wolfgang Wagner und Schlingensief aneinander gerieten. Man stritt um die Video-Technik, der Hügel bebte für ganze zwei Tage, und dann war auch schon wieder Ruhe im (Grals-)Karton. Endlich richtete sich der Fokus auf die eigentlichen Festspiele und somit auf sechs weitere Produktionen neben dem «Parsifal».Die Unterschiede konnten kaum größer sein, von Claus Guths feinsinniger Deutung des «Holländer» bis zum leichtgewichtigen Sängerwettstreit im Deko-Land. Das brachte immerhin Abwechslung und dazu ein paar Neuerungen. Während sich Philippe Arlaud zu seinem harmlos bunten «Tannhäuser» keine weiteren Gedanken machte, griff Jürgen Flimm noch einmal in die Regie- und Requisitenkiste. Denn obwohl seine Version von Wagners «Ring» in diesem Jahr zum letzten Mal über die Bühne geht, setzte der viel beschäftigte Theatermann auf Bayreuths Werkstattgedanken.
Was er sich einfallen ließ, trug allerdings zur weiteren Überfrachtung der Szenen bei. In seiner Inszenierung, die vor der Premiere 2000 voreilig als «Jahrtausend-Ring» gepriesen wurde, menschelt es heftig, von den angekündigten «Global Players» keine Spur. Doch im Gegensatz zu Arlaud arbeitet Flimm mit seinem Bühnenpersonal, und daraus resultieren immer wieder Szenen von großer Eindringlichkeit. Selten lagen die Emotionen von Göttern, Riesen und Menschen so offen. Nur resultiert daraus ein Wagner im Kleinformat.
Passend dazu kam auch aus dem Orchestergraben nur wenig Mächtiges. Adam Fischer verrannte sich in Details, wob an einem dauerhaften «Waldweben» und löschte den Weltenbrand noch bevor er angezündet wurde.
Dagegen waren seine Pult-Kollegen für die Höhepunkte dieser Festspiele zuständig: Christian Thielemann etwa, der neben den formidablen Chören zum Rettungsanker des «Tannhäuser» wurde, Marc Albrecht, der als jugendlich frischer Draufgänger die musikalische Seite des «Holländer» rettete, und schließlich Hügel-Heimkehrer und Magier Pierre Boulez, der wie kein anderer Kurzweil mit Tiefe zu verbinden vermag und im «Parsifal» für die eigentliche Sensation sorgte.
as musste als Trost herhalten für manches, was auf der Bühne zu hören war, wenngleich die Festspiele für eine echte Stimm-Entdeckung gut waren: Stephen Gould, der als Tannhäuser auf dem Hügel debütierte, löst auf wundersame Weise das Siegfried-Problem für den neuen «Ring» 2006. Ein Nachfolger für Regisseur Lars von Trier, der erst im Juni ausstieg, ist zwar gefunden, nur gibt ihn Gralshüter Wolfgang Wagner noch nicht preis. Jetzt bringt sein Experiment «Schlingensief» erst einmal neue Bilder Für Bayreuth, auch wenn manches aus der postmodernen Mottenkiste gezogen wurde und im überdimensionalen Hasengrab landete. Christoph Marthaler kann sich damit ruhig ans Werk machen und sich ganz auf den «Tristan» 2005 konzentrieren. Einen Medienhype à la Schlingensief wird er kaum brauchen, wenn schon, dann provoziert der Opern-Profi auf der Bühne. Und der Enkel? Der sitzt als 84-jähriger Greis fester den je im Festspiel-Sattel und hat nun wieder Zeit gewonnen, das Terrain für seine Wunschmaid zu sichern. Seiner Tochter Katharina übertrug Wagner für 2007 die «Meistersinger», und wenn ihr damit ein Erfolg gelingen sollte, werden es Nike & Co. im Kampf um den Thron schwer haben. In diesem Jahr enden die Festspiele am 28. August mit dem «Tannhäuser» - vermutlich ohne Zwischenfälle, denn für die war ja Christoph Schlingensief vorgesehen.